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Ausgabe:

Mai/1996

Spalte:

487 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Keil, Günther

Titel/Untertitel:

Kritik der theologischen Vernunft. Die Frage nach der Möglichkeit einer Lehre von den Eigenschaften Gottes.

Verlag:

Frankfurt/M.- Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1995. 175 S. 8o = Europäische Hochschulschriften. Reihe XX: Philosophie, 473. DM 65,-. ISBN 3-631-49079-8.

Rezensent:

Werner Brändle

1. Die Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Theologie und ihrem Reden von Gott und, daran sich anschließend, diejenige nach der Wahrheitsfähigkeit ihrer Aussagen ist sowohl eine Notwendigkeit als auch ein schmerzlicher Stachel theologischer Arbeit. Die Bedrohung durch religionskritische Anfragen auf der einen Seite, wie es mit der Möglichkeit von Aussagen über Gott in rationaler Hinsicht bestellt sei, und die durch charismatisch bewegte Gruppierungen auf der anderen Seite, die meinen ein unmittelbares Wissen und wahrhaftiges Reden von und aus Gott zu besitzen, - diese Bedrohungen zwingen die theologische Arbeit dazu, sich über die transzendentallogischen Bedingungen theologischer Aussagen immer wieder möglichst weitgehende Klarheit zu verschaffen. Es ist zweifellos das Verdienst des Vf.s, sich dieser Problematik scharfsinnig und - im Blick auf seinen Gegenstand - schonungslos angenommen zu haben.

2. Ziel der Arbeit ist es nicht, im herkömmlichen Sinne eine Eigenschaftslehre Gottes zu entwickeln, sondern nach der Möglichkeit zu fragen, "ob Gott überhaupt Objekt von Aussagen werden könne" (16). Die angestrebte Kritik der theologischen Vernunft ist also eine kritische Analyse möglicher theologischer Aussagen (biblischer wie rationaler) überhaupt. Der Vf. hat seine Abhandlung so aufgebaut, daß er nach einer Einleitung, in der er sich über die Fragestellung, Methode, Begrifflichkeit und das erkenntnisleitende Interesse (Disposition) Rechenschaft gibt, seinen Stoff in drei etwa gleich große Kapitel gliedert, die jeweils einen Typus von theologischem Denken darstellen: der direkte Typ, der indirekte Typ und der negative Typ. Mit dieser Gliederung will der Vf. nicht nur das ganze Spektrum theologischer Aussagen über Gott einfangen und analytisch bzw. formallogisch bearbeiten, sondern die Pointe ist dabei - um nicht zu sagen: die Eigenwilligkeit des Vf.s - , daß sich im negativen Typ der Gottesrede zugleich die beiden erstgenannten Typen aufheben sollen und so die Gottesfrage, die "in ihrer positiven wie negativen Version nur eine" (169) ist, sich in einem unendlichen dialektischen Prozeß aufhebt und fortsetzt. Die transzendentallogische Analyse der drei Typen von und über Gott zu reden soll also von einer Dialektik mit geschichtsphilosophischer Absicht überboten werden. Doch die Stärke der Arbeit liegt nicht in dieser spekulativen Absicht, sondern in der analytischen Kraft, mit der der Vf. seine Typologie durchführt. Auch der unvermittelte Versuch, die Kritik theologischer Vernunft im Schlußwort in eine Rechtfertigungstheologie münden zu lassen: "Alle Typen sind in der Feindesliebe Christi sowohl relativiert als auch gerechtfertigt; alle gehören sie hinein in den alles wiedervereinigenden unendlichen Meta-horizont Gottes." (174) leuchtet vom Argumentationsverlauf der Arbeit her gesehen keineswegs ein.

3. In der Beschreibung des direkten Typus geht der Vf. vor allem auf die Orthodoxie und die rationale Theologie des
19. Jh.s ein, wenngleich er letztlich vor allem jegliche rational-dogmatische Aussage über Gott damit charakterisieren will. Dabei wird Gott als "das Alleroberste, sei es als oberstes Sein oder als höchster Wille" (46) definiert. Die Kritik dieses Typus führt der Vf. so durch, daß er sowohl die These - die Denknotwendigkeit des Einen - mit der Antithese - Gott kann uns Menschen auch nie im Begriff gegeben sein - in einer Antinomie des Redens über Gott enden läßt, die er dann als prozeßhaft versteht. "Das bedeutet aber, daß jede direkte Lehre von dem transzendenten Gotte, daß jede statische, ontologische Metaphysik daran scheitern müssen, daß der Begriff der Transzendenz wie der eines ,alles in allem' dynamische, prozeßhafte Begriffe sind. Was wir in unsrer Kritik aufgezeigt haben, daß wir einerseits die Transzendenz immer denken müssen, sie andererseits gar nicht denken können, faßt sich hier logisch zusammen." (72).

Die theologischen Gewährsleute des indirekten Typs sind für den Vf. neben Paul Tillich und Karl Heim vor allem Schleiermacher; charakterisiert werden die Aussagen dieser indirekten Gottesrede vor allem durch Verwendung der Begriffe Paradox, Gefühl und Symbol. Die Kritik dieser möglichen irrationalen Aussagen über Gott führt freilich wieder in eine Antinomie: "Wir können Gott nicht rational erfassen, aber weil wir ihn andererseits immer schon im Scheitern der Ratio als das Irrationale selbst erfaßt haben, müssen wir ihn ständig neu zu erfassen suchen, um wieder daran zu scheitern, um dann doch wieder zu erfahren, daß wir ihn ja schon je und je erfaßt haben usw." (124). Um nicht aporetisch enden zu müssen, behauptet der Vf., daß "alles Irrationale das Irrationale schlechthin und damit Gott ist." (129) Alle rationale Kritik an Aussagen über Gott ist deshalb religiös gesehen nur ein Moment innerhalb der Frage nach Gott.

Unter dem negativen Typ bespricht der Vf. die Formen negativer Theologie, den Skeptizismus und den Atheismus. Da der Atheismus daran scheitert, daß er sich verpflichtet, über etwas Transzendentes Aussagen machen zu wollen, und auch der Skeptizismus sich in Widersprüche verstrickt, weil auch er eine Bewußtseinstranszendenz annehmen muß, was nach seinen eigenen Regeln nicht möglich ist, endet alles Reden über Gott in einer solchen negativen Theologie, die die "positiven Aussagen über Gott nicht einem platten, unantinomischen, sich selbst immer schon am Ende wissenden Rationalismus überläßt, sondern das Gottesfragen in die Tiefe des Irrationalen, des Antinomischen, des indirekten Ausdrucks zwingt, um diese doch auch immer wieder in die (zumindest indirekte) Aussagbarkeit und damit Rationalität zurückzuholen..." (166).

4. Die apologetische Tendenz, den dialektischen Prozeß aller möglichen Aussagen über Gott in der Rechtfertigungslehre (s.o.) enden zu lassen, stört die ansonsten teilweise sehr klare und logische Argumentation der Abhandlung. Da viele Thesen und Folgerungen nicht anhand von theologischen Aussagen belegt werden - die Aufarbeitung neuerer theologischer Werke (Jüngel, Pannenberg, Moltmann) wie auch die Berücksichtigung der stärker analytisch ausgerichteten englischen Theologie fehlt gänzlich - behalten die Ausführungen des Vf.s auf weiten Strecken den Status von Behauptungen. Dies ist deshalb ein Defizit, weil gerade für das Studium der zeitgenössischen theologischen Werke eine Kritik der theologischen Vernunft ein Desiderat ist.