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Ausgabe:

Mai/1996

Spalte:

485–487

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Kaiser, Alfred

Titel/Untertitel:

Möglichkeiten und Grenzen einer Christlogie "von unten".

Verlag:

Münster: Aschendorff 1992. XVI, 334 S. gr.8o = Buchreihe der Cusanus-Gesellschaft, 11. Kart. DM 58,-. ISBN 3-402-03161-2.

Rezensent:

Christofer Frey

1. Diese von einem katholischen Theologen vorgelegte Dissertation will auf vorsichtige Weise die berechtigten Anliegen einer Christologie "von unten" innerhalb der katholischen Theologie verteidigen. Ihr Hauptgegenstand ist Schoonenbergs Entwurf "Ein Gott der Menschen" (Zürich, Einsiedeln, Köln 1969). Dieser Entwurf war nach seiner Veröffentlichung innerhalb der katholischen Theologie stark umstritten und fand auch lehramtliche Beanstandung, weil er die Präexistenz des Sohnes Gottes zu gefährden schien. K. kann die oft konservative Kritik nicht in allen Punkten abwehren; deshalb baut er sich mit christologischen Aussagen Karl Rahners und seines Lehrers Rudolf Haubsts eine Auffangstellung auf: Eine Christologie von unten sei dem Bekenntnis von Chalkedon nicht entgegen, vor allem wenn sie im Blick auf die Vollendung des Menschseins Jesu Christi interpretiert werde (99, 105). Die Ansätze zur Vermittlung des Unendlichen und des Endlichen, des Ewigen und des Geschichtlichen sucht der Vf. bei Nikolaus von Cues. Auf Nikolaus von Cues geht auch das vom Vf. aufgegriffene Maximitätsprinzip zurück: Das Individuum gelange bis an seine Möglichkeitsgrenze, wenn es durch den Seinsgrund Gott aktuiert werde. Diese Aktuierung im Leben des geschichtlichen Jesus von Nazareth sucht K. - wohl deutlicher als Schoonenberg - in der historisch aufgefaßten und damit faktischen Auferweckung Jesu von den Toten. Hierhin liegt wohl auch der Grund für seine Beschäftigung mit protestantischen Christologien des 19. und 20. Jh.s. Vor allem Pannenbergs Ansatz einer Christologie "von unten" erlangt damit Gewicht.

2. Ein Einleitungsteil versucht, anhand der protestantischen Theologie seit Ferdinand Christian Baur die Bedeutung einer "Christologie von unten" zu klären. Weil K. den Entwurf von Schoonenberg offenbar in der Nähe von Dorners Christologie sieht (VIII, 22 ff. usw.), findet diese sein Interesse. Vielleicht hätte noch genauer herausgestellt werden müssen, daß Dorner auch auf die Hegelsche Vermittlung des kontingenten Daseins Christi und seines Todes mit der Idee des Absoluten reagierte; er hatte ein praktisches Interesse an der konkreten Person, das sich trotz seiner These vom "Zentralindividuum" antispekulativ gab. K. bezieht sich weiterhin auf Elert (34 ff.) und auf Althaus (43 ff.) sowie auf Otto Webers Stellungnahme zum Thema (56 ff.). Ein Akzent liegt auf Pannenbergs christologischem Entwurf von 1964 (66 ff.). In K.s Referat treten indirekt die wichtigsten Probleme einer Christologie "von unten" hervor. Wie kann ein "unten" ontologisch festgestellt werden, wenn nicht zuvor oder zugleich auch ein "oben" feststeht? Wie kann die Individualität Jesu zugleich allgemeine Bedeutung erlangen? Eine Geschichtstheorie, die sich diesen Fragen stellt, muß auf Hegelsche Elemente zurückgreifen. Als K. seine Dissertation fertigstellte, war Pannenbergs Selbstkorrektur (Systematische Theologie, Bd. 2, 326 ff.) noch nicht veröffentlicht. Sie besagt, daß der methodische Primat dem Ansatz beim geschichtlichen Jesus Christus gebühre, während der sachliche beim ewigen Sohn liege. Damit ist die Aufteilung von "oben" und "unten" endgültig relativiert.

3. Die Verlagerung des Interesses auf die geschichtliche Entwicklung des Personseins Jesu und dessen Vollendung in der Auferweckung ließ Pannenberg von der Zentralstellung der Inkarnation abrücken (Systematische Theologie II, 428). K. wie Pannenberg (und auch Schoonenberg) haben aber das von Hegel zentral angesetzte Thema des Todes des Sohnes Gottes nicht in die Mitte gestellt. Ein Interesse an einer theologia crucis fehlt deshalb sowohl den behandelten Ansätzen als auch der Dissertation von K. Eine theologia crucis kann sich nicht mit einem statisch festgestellten Gegenüber von "oben" und "unten" begnügen, sondern muß eine Bewegung Gottes nach "unten" feststellen, die zugleich die hermeneutische Vorgabe eines "nach oben" konterkariert. Hier ist alles in Bewegung, was zuvor ontologisch festgestellt schien.

4. Der größere Teil der Dissertation analysiert Schoonenbergs bereits erwähnten Entwurf (122 ff.). Ansatzpunkt ist - mit Nikolaus von Cues - eine Intuition, die das "von oben" und das "von unten" zugleich erfaßt ("ganzheitliches Erfassen"). Das "von oben" solle neue Perspektiven einbringen, während das "von unten" in nichts herabgemindert werde (124 f.). Die Analyse des Schoonenbergschen Ansatzes weist eine (nicht vom Vf. selbst festgestellte) Annäherung an Schleiermachers Ansatz auf. Zwar spielt für K. nicht das Bewußtsein der Gläubigen die zentrale Rolle, aber Jesu Gottesbewußtsein tritt doch in die Mitte. Deshalb muß das Bekenntnis von Chalkedon bzw. seine spätere Interpretation (139) ergänzt werden: Jesus existiert nicht anhypostatisch in Gott, sondern hat eine Person. Der Vf. bemüht sich, die Personalität Jesu im Gegenzug zu dem spätantiken und scholastischen Begriff der Person vom eigenständigen Bewußtsein und eigenständiger Freiheit her zu erfassen (144, 151 ff.). Statt "Gott und Mensch" muß es nun "Gott im Menschen" heißen (142). Das Menschsein Jesu darf nicht verkürzt werden (197). In diesem Zusammenhang setzt sich K. mit der These von der menschlichen "Endvollendung" (167) auseinander. Jesus ist nicht zugleich viator et comprehensor. Zwar fand Jesu Selbstbewußtsein Gott ganz in sich gegenwärtig (179), aber die Vollendung widerfuhr Jesus erst in der Auferstehung (187 ff.).

Das prekäre Interesse an der Präexistenz des Sohnes Gottes soll nicht außerhalb des Zusammenhangs der Person Jesu Christi artikuliert werden. Damit fließen Gedanken Karl Rahners ein, die Gott zwar als unverändert betrachten (157 - im Bezug auf die innere Trinität), aber zugleich sich am anderen verändern lassen (261). Es wäre notwendig gewesen, die biblisch bezeugte Zeit Gottes deutlicher als mit dieser Dialektik von Unveränderlichkeit und Veränderlichkeit, von Unendlichkeit und Endlichkeit auszulegen. Im übrigen wählt die oft als Christologie "von oben" verdächtigte Dogmatik Barths denselben Weg: KD IV,1,58 sagt, daß keine Rede vom "logos asarkos" möglich sei. Über die Selbstbezeugung Gottes in Jesus Christus erschließt sich die Rede von der Präexistenz.

5. Die von K. referierte Kritik anderer an Schoonenberg will angesichts dieser Fragen als eher oberflächlich erscheinen. Seine eigene vorsichtige Kritik besteht in einem Ergänzungsvorschlag: Die Wege der Deduktion uund der Induktion seien mit Nikolaus von Cues zusammenzusehen; auch das "von unten" (der Ansatz der Induktion) sei bereits deduktiv vermittelt, weil Gott der Schöpfer seinem Geschöpf voraus sei (247 ff.). Vielleicht hätte der Vf. diese Überlegungen fortführen können, indem er stärker auf den Ansatz einer transzendentalen Theologie im neueren Katholizismus eingegangen wäre. Was ist die Bedingung der Vermittlung des Unendlichen und Endlichen in der ganz menschlichen Person Jesu Christi? Sind "oben" und "unten" wie Sache und Methode einander zu konfrontieren (vgl. Pannenberg)? Worin liegt die Bedingung der Möglichkeit theologischer Erkenntnis vom Menschsein Jesu Christi: in einer Ontologie aus metaphysischer Tradition oder in einer Geschichte, die Begriffe und Dasein beweglich macht? Das hätte den neuplatonischen Ansatz Nikolaus von Cues' stärker profiliert.

6. Bei aller liebevollen Darstellung neuerer protestantischer Christologie ist das zentrale Element reformatorischer Christologie eher verstellt worden, unterscheidet sie doch nicht ein statisches "oben" und "unten", sondern den Zug des hohen Gottes nach unten ans Kreuz. Dann gilt nicht eine Intuition des Ineinanders von Unendlichem und Endlichem, sondern eine metaphysische Schemata kritisch behandelnde Paradoxalität: Was aus der alten Sicht heraus nicht zusammengehört, gehört nun doch zusammen: Gott und das ihm extrem Widersprechende, der Tod. Die neueren protestantischen Ansätze einer Christologie von unten wären deshalb noch einmal zu durchleuchten, weil Hegel diesen Weg Lutherscher Kreuzestheologie spekulativ einholen wollte und gerade dabei theologisch an der Kontingenz des Daseins des Sohnes Gottes und an seinem Kreuz scheiterte. Haben das die Hegelkritiker, aber auch die Fortsetzer Hegels gesehen?