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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

878 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Jones, L. Gregory

Titel/Untertitel:

Embodying Forgiveness. A Theological Analysis.

Verlag:

Grand Rapids, Mich.: Eerdmans 1995. XIX, 313 S. gr.8o Kart. $ 28.-. ISBN 0-8028-3806-5.

Rezensent:

Christian Walther

Der Vf., der methodistischen Kirche angehörend und in ihrer Tradition beheimatet, aber an einer katholischen Universität lehrend, legt hier eine Arbeit vor, deren Intention in einer Wiederbelebung und Intensivierung der Auseinandersetzung mit dem Problem der Vergebung besteht. Damit wird ein zentrales Thema der Theologie wieder in das Blickfeld gerückt, das der Vf. von der Folgenlosigkeit bloßer verbaler Beschwörungen befreit und stattdessen als Agens christlicher Praxis installiert sehen möchte. Bereits der Titel weist darauf hin: Vergebung soll eine verbindliche Gestalt und Kraft im Leben erhalten. Seine Intention verbindet der Vf. mit der Kritik an oberflächlichen, im wesentlichen von der Psychologie entlehnten Techniken der Selbstvergebung, aber auch mit der Absage an jede Art der Eliminierung der Vergebung durch eine Straf- und Rachepraxis. In seiner Kritik weiß er sich zudem durch Bonhoeffer unterstützt, dessen Gedanken zur Vergebung verbunden mit der Kritik der billigen Gnade darum auch nicht zufällig am Anfang erörtert werden.

Zwei methodische Voraussetzungen liegen den Ausführungen zugrunde: 1. Die Realität göttlichen vergebenden Handelns; 2. die Aufgabe der Theologie, dieses Handeln verständlich zu machen. Zu welchen Konsequenzen das führt, wird in drei großen Abschnitten ausgeführt: Der erste Abschnitt dient einer detaillierten Darstellung der gegenwärtigen Diskussion der Vergebungsthematik. Der zweite Abschnitt entfaltet die theologische Grundlegung, wobei Vergebung in eine trinitarische Perspektive gestellt wird. Der dritte Abschnitt behandelt Probleme, die sich aus der Praxis der Vergebung ergeben.

Zwei Gedanken ziehen sich wie ein roter Faden durch die ganze Arbeit: 1. Christen müssen die Kunst oder das Handwerk der Versöhnung immer wieder neu erlernen. In diesem Zusammenhang gebraucht der Vf. den englischen Begriff "craft", zu deutsch eben Kunst oder Handwerk. Vergebung beruht danach auf einem Können, das sich nicht schon automatisch mit dem Glauben einstellt, sondern zu dem die Befähigung erworben und immer wieder eingeübt werden muß. 2. Christen müssen zudem auch immer wieder neu lernen, falsche Weisen der Vergebung von authentisch-christlichen zu unterscheiden. Beides geschieht dadurch, daß man sich an Beispielen der Bibel orientiert und die Auseinandersetzung, aber auch Kommunikation mit säkularen Vorstellungen von Vergebung nicht scheut. Es ist bemerkenswert, wie sich gerade in dieser Hinsicht der Vf. mit Karl Barth und seinem exklusiv christologischen Ansatz auseinandersetzt. Denn sein trinitarischer Grundansatz führt dazu, Vergebung keineswegs nur auf den Raum der Kirche zu beschränken. Folgt man dem Vf., dann ist Vergebung vielmehr ein wesentliches Element in der friedlichen und gerechten Gestaltung des Daseins, das sich dem Wirken des Heiligen Geistes verdankt. In dieser Gestalt, als in der Welt wirkende Kraft, bildet sie dann zu recht auch einen Gegenstand in philosophischen, soziologischen und politologischen Überlegungen. Mit ihnen sich nicht zuletzt im Blick auf die Voraussetzungen auseinanderzusetzen, unter denen sie sich dem Thema der Vergebung zuwenden, stellt durchaus eine Aufgabe für eine zeitgemäße Theologie dar. Wenn aber Christen nicht ein Monopol auf die Vergebung haben, welches ist dann ihr besonderer Beitrag? In dieser Hinsicht vertritt der Vf. die Meinung, daß der dort zu suchen ist, wo die Frage nach besseren Ausdrucksformen der Vergebung gestellt wird, Christen sich also der Herausforderung stellen, Alternativen für eine Verbesserung des Prozesses der Vergebung zu eröffnen. Für diese Praxis, die ihre Bewährungsprobe besonders auf dem Gebiet der Feindesliebe zu bestehen hat, empfiehlt er vier Schritte: 1. Die Analyse von Ursachen für Haß und Ressentiments. 2. Die Diskussion zentraler biblischer Texte, die Haß, Rache und Vergeltung zu rechtfertigen scheinen. 3. Die Beschreibung, was Feindesliebe inhaltlich konstituiert, wenn sie zu Vergebung in Beziehung gesetzt wird. 4. Die Darlegung, in welcher Hinsicht Vergebung auch Sanktionen und Strafen bedingen kann.

Von besonderem Interesse sind dann die am Schluß der Untersuchung aufgeführten Beispiele, die er nicht als Beiträge zu einer im christlichen Sinne zu bejahenden Vergebungspraxis gewertet wissen will. Darunter hat die Auseinandersetzung mit Simon Wiesenthal für den deutschen Leser naturgemäß einen besonders aktuellen Reiz.