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Ausgabe:

September/1997

Spalte:

843–845

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Freyer, Thomas

Titel/Untertitel:

Sakrament – Transitus – Zeit – Transzendenz. Überlegungen im Vorfeld einer liturgisch-ästhetischen Erschließung und Grundlegung der Sakramente.

Verlag:

Würzburg: Echter 1995. 284 S. gr. 8 = Bonner Dogmatische Studien, 20. Kart. DM 39,-. ISBN 3-429-01692-4.

Rezensent:

Reinhard Slenczka

"Verbirgt sich hinter einer solchen Perspektive nicht das pragmatische Interesse, sich dem gegenwärtigen Ästhetik-Boom un-kritisch anzupassen und damit die Eigenart einer Theologie der Sakramente leichtfertig aufs Spiel zu setzen?" - Was sich als bedenkenswerte Frage schon bei der Lektüre des geballten Ti-tels aufdrängt, wird vom Vf., einem katholischen Theologen, der in freier wissenschaftlicher Tätigkeit und als Subsidiar in Peine arbeitet, gleich im Vorwort aufgegriffen, und sie begleitet den Leser bis zum Schluß, wenn er sie vermutlich mit einem aufseufzenden Ja beantworten wird. Freilich bedarf es erheblicher Geduld, den weitgreifenden Erwägungen in allen ihren Verzweigungen zu folgen, selbst wenn nach jedem Wegabschnitt ein Thesenblatt den Überblick festhält. Das Thema hatte der Vf. als Privatdozent an der Bonner Katholisch-Theologischen Fakultät in einer Vorlesungsreihe und einer Seminarveranstaltung behandelt, und das Buch bietet daher auch eine Bündelung von weitgestreuten Materialien und vielschichtigen Er-wägungen im Zusammenhang der neueren Sakramentenlehre sowohl der katholischen als auch der evangelischen Theologie. Darin liegt sein besonderer Nutzen.

Die Gliederung in sieben Kapiteln macht am besten das Projekt in seinen Gedankenschritten verständlich, und das soll bewußt in engem Anschluß an die eigenen Formulierungen des Vf.s vorgeführt werden:

1. Die "Rahmenbedingungen und Konstruktionsprinzipien einer liturgisch-ästhetischen Interpretation der Sakramente" ergeben sich aus dem Diskussionsstand der gegenwärtigen ka-tholischen Sakramententheologie, wobei allerdings darauf hingewiesen wird, daß nicht jedes Konzept mit einer "theologischen Ästhetik, die sich als liturgische Ästhetik versteht" kompatibel ist (16). 2. Als nächster Schritt wird das "Terrain Ästhetik - Theologie nach Berührungspunkten zwischen spätmoderner Ästhetik in Kunst und Philosophie einerseits und jüdisch-christlicher Theologie andererseits" sondiert. Als Hauptvertreter werden T. W. Adorno, E. Levinas, J.-F. Lyotard und später W. Benjamin herangezogen. Daß die durchaus wichtigen jüdisch-christlichen Beziehungen zum theologischen Alibi ohne persönliche Gespräche verkommen sind, ist ebenfalls eine verbreitete Erscheinung. - Dem folgt 3. der Versuch, "mögliche ästhetische Implikationen und Strukturelemente der liturgischen Feier zu erhellen und sie zur ,ästhetischen Erfahrung' im Bereich von Kunst und Philosophie in Beziehung zu setzen". 4. radikalisiert er "anhand von Taufe und Eucharistie den im Fragehorizont einer liturgischen Ästhetik sich herauskristallisierenden Problemüberhang der klassischen und zeitgenössischen Sakramententheologie". Dabei steht vor allem zur Debatte: "Sind die Sakramente ,Phänomene' der jüdisch-christlichen Offenbarung bzw. genauer: erschöpfen sie sich darin, Korrelate menschlichen Bewußtseins zu sein?"

Dieses Kapitel enthält eine wichtige Weichenstellung. Denn einerseits wird der naheliegende Einspruch vom biblischen Verständnis der Sakramente antizipiert, aber andrerseits soll im Anschluß an W. Benjamin und E. Levinas die Hypothese be-gründet werden, "den Sakramenten eigne eine bleibende Ambivalenz, sie stünden im Schnittpunkt zwischen dem, was Levinas einerseits ,Phänomen' und andrerseits ,Spur' nennt". "Der To-pos der ,Spur' ist für Levinas eine zentrale Metapher, mittels derer er zeigen will, daß es so etwas wie ein ,Jenseits' des Seins bzw. der Phänomenalität des abendländischen Logos gibt. Levinas ist der Auffassung, daß die abendländische Philosophie mit der Enthüllung des Anderen zusammenfällt...". Der Vf. zi-tiert Levinas: "Der Andere ,kommt her vom unbedingt Abwesenden, von dem er herkommt, bezeichnet dieses Abwesende nicht, enthüllt es nicht; und dennoch hat das Abwesende im Antlitz eine Bedeutung'" (131).

An dieser Stelle werden das Anliegen und die Problematik der Untersuchung greifbar. Das Anliegen besteht darin, die Wirklichkeit des sakramentalen Geschehens im Anschluß an die neuere Ästhetik, und das ist im rechten Verständnis die Lehre von der Sinneswahrnehmung, zu erschließen. Das Mittel dazu bieten vor allem jüdische Philosophen mit ihren denkerischen Bemühungen, die Wahrnehmung der Wirklichkeit Gottes mit der Unaussprechlichkeit des Gottesnamens und dem Bilderverbot zusammenzuhalten. Ex 3,1-14 wird, wenn auch in lediglich sehr dürftiger Reflexion, in diese Erwägungen einbezogen (71ff.). Dem Vf. ist nicht bewußt, wie Name und Sein Gottes auch für jüdisches Denken zusammenhängen, und es ist ihm offenbar nicht aufgegangen, daß das "Antlitz" (panim/prosopon/persona) die personale Zuwendung Gottes auch in der christlichen Trinitätstheologie ist.

Die beiden folgenden Kapitel 5 und 6 dienen dem verwegenen Versuch, die Vermittlung der Sakramentenlehre in die spätmoderne Ästhetik mit der Theologiegeschichte von der Alten Kirche über Scholastik und Reformation mit der Neuzeit zu verbinden. Wenn man versucht, den Entscheidungspunkt in der Fülle von Materialien zu erfassen, so liegt er offenbar in der Auseinandersetzung mit der Konzentration der Sakramentenlehre auf das Verhältnis von ,verbum' und ,elementum', die aufgebrochen werden soll. Man muß zur Beurteilung dieser Ab-sicht zunächst einmal daran erinnern, daß die klassische Sakramentenlehre sich keineswegs auf die Interpretation im jeweiligen geistesgeschichtlichen Horizont richtete, sondern daß sie in erster Linie damit beschäftigt war, den Wucherungen der natürlichen sakramentalen Bedürfnisse des Menschen im Raum der Kirche zu wehren, indem reduktive Abgrenzungen nach der Zahl und formale Unterscheidungen im Vollzug z. B. zwischen ,necessitas' und ,solemnitas sacramenti' vorgenommen wurden. In diesem Sinne sind dann Wort und Element die im Handeln des dreieinigen Gottes konstituierenden Bestandteile für den Vollzug der Sakramente im Unterschied zu allen möglichen menschlichen Ausschmückungen. Die Entartungen, die heute in unseren Gemeinden vorkommen, haben ihren Grund nicht zu-letzt darin, daß die Kriterien der rechten Sakramentsverwaltung nicht mehr bekannt sind.

Aus verschiedenen Gründen wird die Distinktion der Sakramente nach Wort und Zeichen heute sowohl in der katholischen wie in der evangelischen Theologie aufgelöst, z. B. dadurch, daß mit der Problematisierung der Authentizität der Herrenworte die Sakramente als Gemeindebildung aufgefaßt werden oder daß die Kirche als das eigentliche Subjekt der Sakramente erscheint. Es ist seltsam, was am Beispiel neuer Konsensdokumente (Lima!) genauer auszuführen wäre, wie sich hier Neuprotestantismus und römischer Katholizismus im ökumenischen Konsens begegnen. Der Rekurs auf die Kategorien der ,Spur', der ,Nähe', des ,Begehrens', wie sie vor allem von Levinas übernommen werden, sollen theologisch den "Transitus Jesu Christi", d.h. die Realpräsenz oder, wie der Vf. nun sagt, "ein Widerfahrnis der ,Nähe' Jesu Christi"(265) im sakramentalen Geschehen festhalten, nachdem die distinkte Relation von wirksamem Wort des Herrn und sinnlich wahrnehmbarem Zeichen problematisiert oder ganz aufgehoben ist.

Zum Schluß wird noch einmal der Vorwurf Adornos aufgegriffen, christliche Religion und Theologie "haben ihre jüdischen Wurzeln, das Bilderverbot, preisgegeben, indem sie ihre Zuflucht zu einem abbildenden Denken genommen haben, das seinerseits die Verdinglichung der Tauschgesellschaft reproduziert" (262). Daß sich daraus ganz erhebliche Konsequenzen für Christologie und Trinitätslehre ergeben, wird lediglich kurz angedeutet, und das ist angesichts der Implikationen schon als oberflächlich zu bezeichnen, zumal wenn allen Ernstes von einem christlichen Theologen dazu die Frage gestellt wird: "Be-sagt der Vorgang der Inkarnation nicht eine ,Verendlichung', ,Idolisierung' Gottes?" (sic! 265). Dazu kommt noch die Er-wartung, mit diesen Überlegungen werde "es auch gelingen, die gesellschaftskritische bzw. -verändernde Dynamik der Sakramente neu und vertieft zur Geltung zu bringen" (265).

Wenn der Vf. überzeugt ist, daß diese Erwägungen auch "für den evangelisch-katholischen Dialog von Belang" sind (265), mag das mindestens insofern zutreffen, als sich zeigt, wie die Konsequenzen der sechziger und siebziger Jahre von den Theologen aller Kirchen aufzuarbeiten sind, wenn man sich nicht in einer verflachten Zeitgemäßheit in ökumenischer Gemeinschaft verlieren will.