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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

876–878

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Dieckmann, Elisabeth

Titel/Untertitel:

Personalität Gottes – Personalität des Menschen. Ihre Deutung im theologischen Denken Wolfhart Pannenbergs.

Verlag:

Altenberge: Oros 1995. X, 380 S. 8o = Münsteraner Theologische Abhandlungen, 40. DM 72,-. ISBN 3-89375-116-5.

Rezensent:

Werner Brändle

1. Was in der Geschichte der Theologie als Qualitätsmerkmal des christlichen Glaubens geglaubt und oft herausgestellt wur-de - die Ermöglichung einer personalen Gottesbeziehung bzw. von Gott als den Personen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes sprechen zu können -, stößt derzeit vielfach auf Skepsis und Unverständnis. Wie soll man sich Gott als Person vorstellen und wie den einen Gott in drei Personen denken, ohne ihn im Sinne eines autonomen Subjekts mißzuverstehen? Und wie verhält sich das derzeit häufig verwendete Werturteil von der Würde der menschlichen Person zum trinitätstheologischen Personbegriff? - Schon vor Jahren hat W. Pannenberg in einem Interview die Forderung aufgestellt, man müsse das Wort Person, den Sachverhalt des Persönlichen sowohl im Blick auf den Menschen als auch auf die göttliche Wirklichkeit ganz neu und tiefer ergründen und beschreiben. Nach dem Erscheinen seiner ,Anthropologie in theologischer Perspektive' (1983) und seinem Opus magnum: ,Systematische Theologie' (1988-93) liegt nun seine Antwort auf die gestellte Aufgabe vor, wie "glaubwürdig von der Wirklichkeit Gottes und der Bezogenheit des Menschen auf sie" (335) gesprochen werden kann. Die Münsteraner Dissertation von E. Dieckmann rekonstruiert und pointiert mit großer Gründlichkeit, Ausdauer und präziser Begrifflichkeit die Argumentationsstränge P.s.

2. Der zunächst einfach erscheinende Aufbau der Arbeit: Teil A ,Die Personalität des Menschen' (8-187); Teil B ,Der Personbegriff der Gotteslehre' (188-334) entpuppt sich dann jedoch als Interdependenz theologischer Argumente und anthropologischer Sachverhalte. Damit folgt die Vfn. der Methode P.s selbst: die "theologische Anthropologie ,hinsichtlich ihrer Fundamentalfunktion aufzuheben in das Konzept einer systematischen Theologie', die die christliche Lehre in ,geschichtstheologischer Entfaltung' zur Sprache bringt." (32) Indem D. die Spannung zwischen Exzentrizität und Zentralität der menschlichen Person herausarbeitet, erbringt sie damit im Sinne P.s den "Nachweis der konstitutiven Bedeutung der religiösen Dimension für das Menschsein des Menschen". (31) Für den Fortgang der Darstellung bedeutet dies, "zugleich mit den "atheistischen Implikationen des Selbstverständnisses des heutigen Menschen den Begriffen Selbstbewußtsein, Freiheit und Subjektivität besondere Aufmerksamkeit" (66) zu schenken. Bei der Erarbeitung dieser Erörterung kann D. zeigen, daß die philosophische Diskussion um die Schwierigkeiten der Transzendentalphilosophie und der daraus resultierenden Unhaltbarkeit der Vorstellung einer ursprünglichen Einheit des Selbstbewußtseins für P. die Funktion haben, "die philosophische Frage nach der Identität der menschlichen Person mit den Erkenntnissen psychologischer Untersuchungen zu vermitteln" (86). Sowohl diese Diskussion als auch eine Erörterung der Frage nach dem Ursprung der Freiheit erbringt, daß in einer geschichtlich verfaßten Wirklichkeit gegenwärtige Identität "immer auf Antizipationen beruht, die nur als Wirkung des göttlichen Geistes verstehbar sind" (125). D. integriert folglich in die Darstellung von P.s Deutung der menschlichen Personalität sehr gekonnt das konstitutive Wirken des Heiligen Geistes, wie es P. für die Bestimmung des Menschen vor Gott sieht. Als Ergebnis der Aufarbeitung kann folgende Formulierung D.s zitiert werden:

"Die von Pannenberg als Wirkung des göttlichen Geistes aufgefaßte Selbsttranszendenz des Menschen verweist diesen letztlich auf die Wirklichkeit Gottes. Die Relation zu ihr ist es, durch die die menschliche Person konstituiert wird, denn das eigene Leben in seiner Ganzheit, deren gegenwärtige Erscheinung die Personalität des Menschen begründet, ist ungeachtet seiner in jedem Augenblick fragmentarischen Gestalt nur in der Beziehung zu seinem Schöpfer zugänglich." ( 170)

Die von D. zugespitzte Frage, die im 2. Teil der Arbeit aufgearbeitet werden soll, lautet dann, ob und mit welcher Begründung es möglich ist zu sagen, daß Gott dem Menschen als personale Wirklichkeit begegnet und daß die menschliche Personalität letztlich durch die Erfahrung einer solchen Begegnung sich konstituiert. Erkenntnisleitendes Interesse der Rekonstruktion ist dabei, "nach der erhellenden Kraft des in der Gotteslehre gewonnenen Personbegriffs für das Verständnis der menschlichen Personalität" (187) zu fragen.

3. Dieser 2. Teil der Abhandlung ist insofern m. E. spannender zu lesen und theologisch ertragreicher, weil es D. in differenzierter und doch dichter Darlegung gelingt, sowohl das Grundanliegen des theologischen Denkens P.s - den Erweis der Wahrheit des Gottesgedankens bzw. des christlichen Glaubens im Zusammenhang neuzeitlichen Denkens - überhaupt als auch die enorme Leistung trinitätstheologisches Denkens für eine Revision des Personbegriffs herauszuarbeiten.

Dabei wird deutlich, wie stark P. darum bemüht ist, dem derzeit erreichten Problembewußtsein auf anthropologisch und theologischem Felde gerecht zu werden. "Das bedeutet näherhin, daß die Lehre von Gott den biblischen Zeugnissen und dem aus der Theologiegeschichte zu erhebenden Problembewußtsein gerecht zu werden und daß sie zugleich die Integration des menschlichen Selbst- und Weltverständnisses zu ermöglichen hat." (201) Zweifellos ist das zentrale und gelungenste Kapitel der Arbeit D.s dasjenige zur Explikation des trinitarischen Personbegriffs (210-267), wobei freilich anzumerken ist, daß die Qualität der Vorlage sich bei ihrer Reproduktion durchaus widerspiegelt; es lohnt sich deshalb, darauf etwas näher einzugehen.

Getreu dem theologisch methodischen Grundsatz P.s, daß eine systematische Theologie ihren Inhalt nur dann angemessen begründen kann, wenn sie auch die Geschichte seiner Überlieferung in kritischer Weise in ihre Darstellung einbringt, stellt D. zunächst das Verhältnis zwischen Trinitätslehre einerseits und der traditionellen Lehre von Gottes Wesen und Eigenschaften dar. Die Gefahren der herkömmlichen Ableitung der trinitarischen Personen aus einem vorweggefaßten Wesensbegriff Gottes - sei es Geist oder Liebe - und die daraus fast zwangsläufige Reduktion auf eine theistische Gottesvorstellung werden überzeugend deutlich gemacht. Die Darlegungen gipfeln in der Erkenntnis, daß die Christologie insofern Zentrum der theologischen Urteilsbildung bei P. ist, als der Begriff der gegenseitigen Selbstunterscheidung zwischen Vater und Sohn die Schlüsselrolle einnimmt. "Die klassische Trinitätslehre hat im Interesse der Einheit des göttlichen Wesens die innergöttlichen Beziehungen nur im Sinne von Ursprungsrelationen gedeutet. P.s Ausführungen verdeutlichen, warum er dieses Vorgehen für eine unzulässige Vereinfachung hält: Sowohl der Sohn als auch der Geist nehmen nicht einfach die passive Rolle der vom Vater durch Zeugung bzw. Hauchung hervorgebrachten Hypostasen ein, sondern sie stehen auch - zum Beispiel durch ihr Wirken zur Verherrlichung des Vaters - jeweils in aktiver Beziehung zu diesem." (241)

Die pneumatologische Akzentuierung von P.s Trinitätslehre wird ebenfalls deutlich herausgearbeitet. Da der Geist dadurch, daß er vom Vater ausgeht und vom Sohn empfangen wird, die Gemeinschaft von Vater und Sohn vermittelt, "also nicht einfach mit dieser Gemeinschaft selbst identifiziert werden kann, wird er als ,eine dritte Gestalt des Daseins des einen göttlichen Wesens neben Vater und Sohn' erkennbar." (265) D. h. weiter, daß P. die trinitarischen Personen als Gestalt des Daseins des in sich differenzierten göttlichen Wesens versteht. D. expliziert dann in ihrem vorletzten Kap. P.s Auffassung von der Identität von immanenter und ökonomischer Trinität als Schlüssel, um die Eigenschaftslehre als adäquates Weltverhältnis Gottes zu verdeutlichen. Resultat des Referats zu P.s Gotteslehre heißt: P. gelingt es über die "Entwicklung eines relational strukturierten Wesensbegriffs, deren Notwendigkeit sich aus der Bestimmung der trinitarischen Personen als Relationen ergibt, zu einer Be-schreibung des göttlichen Wesens, die in allen ihren Aspekten trinitarisch vermittelt ist und die es deswegen ermöglicht, die Einheit des unendlichen Gottes in der Dreiheit der Personen und der in seinem Handeln in der Welt sich ausdrückenden Vielzahl seiner Eigenschaft zu denken." (325)

Es ist plausibel, wenn D. auf ihre Schlußfrage, wie denn nun nach P. von der Personalität Gottes zu reden sei, antwortet, daß sich Gott in seinem Offenbarungshandeln immer schon als personale Wirklichkeit erschließt: "Sind also die trinitarischen Personen ohne ihre Bezogenheit auf das göttliche Wesen nicht denkbar, so kann umgekehrt auch das eine Wesen Gottes nicht als für sich bestehend gedacht werden." (328)

4. Im Schlußteil ihrer Arbeit zeigt D. kurz noch die möglichen Konsequenzen einer solch verstandenen Personalität Gottes für ethische und interreligiöse Erörterungen auf. Eine kritische Anfrage an P. wird nur hinsichtlich dessen Ontologie bzw. geschichtsphilosophischen Implikationen angedeutet. Dies soll nicht als Mangel gewertet sein, zeichnet sich doch die Arbeit durch ihre korrekte und stringente Darlegung der Trinitätstheologie P.s aus. Wer P.s trinitäts-theologische Leistung und systematische Kraft kennenlernen will, ist mit dieser Arbeit D.s gut bedient. Wer nach Schwächen P's sucht, wird sie auch hier finden: Über den erkenntnistheoretischen Status der theologischen Aussagen wird (und kann nach P.) fast gar nicht reflektiert (werden).