Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

720–722

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Beyer, Uwe

Titel/Untertitel:

"Die Tragik Gottes". Ein philosophischer Kommentar zur Theologie Eugen Drewermanns.

Verlag:

Würzburg: Königshausen & Neumann 1995. 247 S. gr. 8o. Kart. DM 39,80. ISBN 3-88479-984-3.

Rezensent:

Gerhard Marcel Martin

Auch wenn Drewermanns Werk in den letzten sechs Jahren von Themen und vom Umfang her weiter erheblich zugenommen hat, gilt immer noch, was ich schon 1990 zu dessen kritischer Charakterisierung festgestellt habe: daß D. seine "Theologie" nirgendwo explizit und monographisch entfaltet, sondern daß sie sich, im engeren Sinne als Gotteslehre verstanden, verstreut über seine verschiedenen Werke in sehr verschiedenen Schreib- und Redegattungen und Denkbewegungen finden läßt, die aber ihrerseits kaum je näher zusammengebracht werden (vgl. ThLZ 115, 1990, 321-332; bes. 330).

Angesichts dieser Beobachtung ist dem Unternehmen des Hamburger Philosophen Uwe Beyer höchste Aufmerksamkeit zu schenken, dem es - so der Untertitel - um einen "philosophischen Kommentar zur Theologie Eugen D.s" geht. B. berücksichtigt freilich weniger die verschiedenen Gattungen der D.schen Äußerungen, sondern liest, interpretiert und kritisiert trotz hermeneutischer Differenzierung verschiedener Denk- und Sprachebenen durchgängig philosophisch-kategorial. Dabei bezieht er in seine Analyse zahlreiche und zentrale, keineswegs aber alle Werke D.s ein, verzichtet auf jede Diskussion mit Sekundärliteratur (verweist aber ganz zum Schluß auf G. Fehrenbacher und H. Raguse) und arbeitet in außerordentlich gründlichen Schritten - von der Einleitung an - eine fundamentale selbstwidersprüchliche Grundspannung in D.s Gottesverständnis heraus: "Zum einen" verstehe D. "Gott als absolute Person, die sich in ihrer Eigenschaft als Liebe in der gott-menschlichen Gestalt Jesu Christi offenbart" habe. "Zum anderen" sehe D. "in Gott aber auch den ,Schöpfer' dieser Welt des kreisenden Werdens und Vergehens: die Selbstorganisationskraft der kosmischen Evolution." So verstanden zeige "Gott dem Menschen... kein wirkliches ,Außen' zu dessen Todesverfallenheit als Individuum." (18)

Nach einem weniger umfangreichen Eingangskapitel, in dem anfänglich Arbeitswege und wesentliche konkrete Inhalte von D.s Gottesverständnis dargestellt und diskutiert werden, behandeln die beiden Hauptkapitel zunächst wie, sodann als wer oder was sich Gott offenbart. Dabei geht es im 2. Kapitel um kategoriale Klärungen der auch und gerade bei D. unabdingbaren notwendigen Wirkgrößen Historie/Geschichte/Archetyp und darin um das Verständnis von strukturell und inhaltlich durchaus verschieden zu bestimmenden, einander widerstreitenden Grundmustern geschichtlichen Existierens: Angst gegen Vertrauen. B. stellt die D.sche theologisch-dogmatische Setzung gerade dieser Grundopposition und die Bestimmung eines heils- und existentialgeschichtlichen deutlichen Gefälles von der Angst hin zur begnadeten Angst historisch und philosophisch in Frage, so deutlich er geklärte Glaubenspositionen nicht nur für möglich, sondern im Grunde - trotz und wegen radikaler philosophischer Skepsis - für unabdingbar hält. B. arbeitet aber heraus, daß D. den archetypischen Konstellationen in ihrer Eigenbewegung außerhalb ihrer Wahrnehmung im Lichte Gottes weniger und der Historie durchaus mehr Beachtung schenken müßte, wenn denn "der Weg zum Gottvertrauen nur durch das radikale Ausstehen der Menschenangst führt" (94), die gerade mitten im gelebten Leben um sich greift.

Im 3. Kapitel entfaltet B. den in seinen Augen fundamentalen und nicht vermittelbaren Widerspruch in den bei D. nebeneinanderstehenden Gottesbildern: absolute Person einerseits, Schaffenskraft, die im zyklischen "Stirb und Werde" wirksam ist, andererseits. B. diskutiert neben D. andere Modelle, die Aspekte der existentialen Tragik (schuldloses Schuldig sein; existentielles Scheitern; Tod als Verlust der einzigartigen Persönlichkeit) des Menschen in den Blick nehmen, und zeigt, wie bei D. Gott mit in die Tragik, das Scheitern, die Verfehlungen, die Überforderungen, die Existenzangst seiner Geschöpfe hineingezogen wird. D. stellt diese doppelte Tragik in seiner Interpretation des Christusgeschens und in dessen Repräsentation im Abendmahl dar; auch und noch hier spricht D. von der "zutiefst tragischen Struktur der Erlösung" (Zitat 157), werden doch noch im "Gottessen" lebensvernichtende Triebe - wenn auch rituell - ausagiert. Dann aber zeige sich Gott "nicht als das qualitativ Andere zur naturgesetzlichen Ordnung, sondern: schlicht als diese selbst. Mit diesem fatal-fatalistischen Gottesbild wird die Welt des Werdens und Vergehens nicht überwunden, sondern an sich selbst bestätigt, verfeierlicht, vergöttlicht." (159) Aus dieser Beobachtung wird B.s zentrale Frage einsichtig: "wie kann Gott als umfassende Wirklichkeit die Widerspruchseinheit von absoluter Liebe und universaler Tragik sein?" (176)

B. bleibt durchgängig den schließlich auch trinitarisch ausgerichteten theologischen Denkbewegungen D.s zugewandt ge-nug, um zu akzeptieren, daß in solchem Denken beide Grunderfahrungen im bleibenden "Geheimnis Gottes" unversöhnt und nebeneinander Platz haben könnten. Aber für ihn hat - angesichts religionsphilosophischer und religionsgeschichtlicher Plausibilitäten auch ganz anderer Art - die philosophische Skepsis das letzte Wort, eine Skepsis, in der B. das "Geheimnis Gottes" deutlich noch radikaler denken will als D. - so aber, daß dadurch ein "Transzendenzraum" (220), Gottes unabdingbare Freiheit für Offenbarung und Verborgenheit noch zunehmen.

Im abschließenden 4. Kapitel entfaltet B. diese seine Position einer philosophischen Skepsis des Näheren. Im kritischen Gegenüber zu tiefenpsychologischen, therapeutischen und theologischen Ansätzen leitet er die ontologisch keineswegs abzusichernde existentielle Bedeutung eines wirklichen "Außen" Gottes im Gegenüber zu dieser "Welt" ab. Dabei entsteht freilich nach meinem Eindruck aufs Ganze gesehen eine Polarität zweier Welten, die sich zwar - mit D. - auf die "jesuanische Liebe, die absolut das Individuum meint" (231) rückbezieht, aber doch deutlicher geprägt ist einerseits von idealistischen und Idealismus-kritischen Vorstellungen, andererseits vom johanneischen Schrifttum als von weisheitlichen und schöpfungstheologischen Pointen der synoptischen Botschaft Jesu.

B. denkt D. religionsphilosophisch konsequent über ihn selbst hinaus. Sein Werk ist reich an analytisch rekonstruierender Zustimmung zu D. und zugleich an entscheidender Kritik; gerade so ist es ein notwendiges Buch in der theologischen und philosophischen Diskussion mit D.