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Ausgabe:

September/1997

Spalte:

792–794

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wild, Stefan [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Qur'an as Text.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1996. XI, 298 S. gr.8 = Islamic Philosophy, Theology and Science, 27. Lw. hfl 136.-. ISBN 90-04-10344-9.

Rezensent:

Christoph Elsas

Im November 1993 veranstaltete das Orientalische Seminar der Universität Bonn ein 5tägiges Symposion zum Thema "Der Koran als Text". Es wollte damit zum Ausdruck bringen, daß anders als in früheren Jahrzehnten das Interesse heute unwiderruflich nicht mehr den Fragen von jüdischen, christlichen oder sonstigen Einflüssen auf den Koran gelte, sondern dem Koran als "textus receptus" "regardless of its scriptural prehistory", wie der Bonner Semitist und Islamist Wild in seinem Vorwort zum Band schreibt, der diese Tagung dokumentiert. Das bedeutete, den Koran in den Blick zu nehmen als ein literarisches Dokument, das als solches seine eigene Struktur hat, wenn dieser literarische Aspekt auch eng seiner liturgischen Funktion als Rezitation verbunden ist. Dem gelten die ersten neun deutschen, englischen und französischen Beiträge (3-153). Ihnen folgen sechs "Studien zur Rezeption des Textes" (157-282) in christlicher Polemik und bei späteren Generationen von Muslimen.

Der Symposion-Vortrag von Nasr Abu Zaid "Levels of context and the problem of interpretation in contemporary religious discours" konnte "umständehalber" nicht rechtzeitig zum Druck eingereicht werden - Abu Zaid sollte aufgrund seines hermeneutischen Ansatzes zur Koraninterpretation in Ägypten nach richterlichem Entscheid als vom Islam abgefallen betrachtet und deshalb nicht zum Professor ernannt und zwangsgeschieden werden, weshalb er 1995 nach Europa ins Exil ging.

Daß das Symposion in das Bonner Graduierten-Kolleg "In-terkulturelle religiöse bzw. religionsgeschichtliche Studien" or-ganisatorisch eingebunden und damit auch der Diskussion mit Studierenden und Kollegen von Nachbardisziplinen der Islamwissenschaft geöffnet war, wird leider abgesehen von der Er-wähnung im Vorwort nirgends deutlich. Die Publikation hat nur die engste Fachwissenschaft im Blick - diese freut sich über die Indices und hat genug an der knappen Vorstellung der Autorinnen und Autoren allein durch ihre Instituts-Zugehörigkeit: fünfmal zum Orientalischen Seminar Bonn, fünfmal zu sonstigen deutschen orientalistischen Universitätsabteilungen und fünfmal zu vergleichbaren ausländischen Einrichtungen. Trotzdem enthält der Band auch für die Nachbarwissenschaften mancherlei Anregendes, das hier angedeutet sei:

T. Nagels Arbeitsbericht über seine ausführliche Studie "Me-dinensische Einschübe in mekkanischen Suren" (Göttingen 1995) betont in scharfer Abgrenzung von der Literatur über die "Vorgeschichte der Herabsendung (der Koranverse)", die den Koran dem Prophetenbild der Traditionssammlungen einpasse, die Notwendigkeit textimmanenter Interpretation. Sie soll allein Hinweise der Überlieferung auf Einfügungen von Koranversen, die dem Propheten in Medina geoffenbart wurden, in Suren, die er schon in Mekka vorgetragen hatte, berücksichtigen. Das orientiert sich an der Kairoer Koranausgabe von 1962, für die der "Ausschuß zur Überprüfung der Koranexemplare" im Auftrag der Al-Azhar-Universität eine entsprechende Kennzeichnung verabschiedete. Grundannahme wird damit, daß die Verschriftlichung der "Lesung" (qur'an) schon in Mekka begann und der Prophet sich allmählich darüber klar wurde, daß damit ein der Tora und dem Evangelium vergleichbares heiliges Buch entstand, das es als mindestens gleichwertig plausibel zu machen galt.

Von methodologischen Überlegungenen neuerer alttestamentlicher Wissenschaft angeregt, stellt dem A. Neuwirths Beitrag "Vom Rezitationstext über die Liturgie zum Kanon" einleuchtende Thesen zu einer innerkoranischen Kanon-Rezeption zur Seite, die mit der "Entstehung und Wiederauflösung der Surenkomposition im Verlauf der Entwicklung eines islamischen Kultus" greifbar wird: Orientierung an altarabischen Ri-ten, danach am heiligen Buch wie bei den Juden und Christen, in Medina dann am Bewußtsein vom hohen Auftrag des Propheten, sozial und politisch relevante Weisungen durchzusetzen, in Verbindung der monotheistischen Riten Abrahams mit dem altmekkanischen Heiligtum.

Eine interessante Dialogmöglichkeit deuten M. Radscheids koranimmanente Untersuchungen an, nach denen der Koran statt auf die Unnachahmlichkeit seiner Sprache vielmehr auf die Unwiderlegbarkeit der prophetischen Botschaft vom Bund Got-tes mit den Menschen hinweise. Doch bei den Erörterungen zum Korankonzept von "Offenbarung" als Herabkommen göttlicher Gnade, mit denen W. den Teil "Studien zum Text" ab-schließt, wünschte man sich, christliche Theologie fungierte nicht nur als zurückgewiesene Hintergrundfolie, sondern würde wirklich in wissenschaftliches Gespräch eingezogen.

Im zweiten Teil gibt H. Bobzin ein Beispiel davon, wie christliche Polemik im Koran Biblisches und Phantastisches ge-mischt wahrnahm, und folgert daraus zu Recht die Notwendigkeit, die Kontroversliteratur in Kooperation von christlichen und muslimischen Gelehrten aufzuarbeiten - doch bleibt es bei dieser Aufforderung. Bei J. von Ess' interessantem Nachweis, daß strenge Verbalinspiration in der islamischen Rezeptionsgeschichte nur bei Hanbaliten Tradition habe, bleibt es leider wieder bei Polemik gegen protestantische Theologie, statt daß ein wissenschaftliches Gespräch geführt würde. Daß in der Diskussion etwas hinterfragt wurde, merkt W.s Einführung nur angesichts des Skeptizismus an, die der linksorientierte muslimische Philosoph H. Hanafi aus Ägypten äußerte, ob es eine Koranauslegung ohne politische Rücksichten oder mindestens Implikationen geben kann.

Bei aller Kritik verständnisvoll verdeutlicht dann der schöne Schlußbeitrag von R. Wielandt zu "Wurzeln der Schwierigkeit innerislamischen Gesprächs über neue hermeneutische Zugänge zum Korantext" die Kontexte, in denen pluralistisch-offene Be-handlung des Koran wie anderer Texte unter Absehung von jedem religiösen Sonderstatus sich entwickelte bis hin zur Affäre um Abu Zaid.

Das thematisch verwandte Symposion "Hermeneutik in Is-lam und Christentum" der Universität Marburg, die R. Bultmanns existentialer Hermeneutik ebenso wie R. Ottos Verbindung von Theologie mit Religionswissenschaft verpflichtet ist, setzte 1996 bei den für Bonn festgestellten Desideraten an(1).

Fussnoten:

1 H.-M. Barth/Ch. Elsas [Hrsg.]: Hermeneutik in Islam und Christentum. Beiträge zum interreligiösen Dialog (Rudolf-Otto-Symposion 1996), Hamburg-Rissen1997; Tagungsbericht von K. W. Tröger, in: CIBEDO 2/1996, 74 f.