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Ausgabe:

Juni/1996

Spalte:

537 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Widengren, Geo, Hultgård, Anders, et Marc Philonenko

Titel/Untertitel:

Apocalyptique Iranienne et Dualisme Qumrânien.

Verlag:

Paris: Libr. Adrien Maisonneuve 1995. VI, 225 S. gr. 8o = Recherches Intertestamentaires, 2. ISBN 2-7200-1098-7.

Rezensent:

Manfred Hutter

Die Frage nach dem iranischen Einfluß auf die spätatl. und jüdische Apokalyptik ist ein häufig diskutiertes Forschungsgebiet mit sehr unterschiedlichen Positionen, wobei die drei Autoren sich für einen solchen Einfluß aussprechen. Widengren skizziert in der Einleitung (1-21) den historischen und kulturellen Rahmen der Möglichkeiten des Einflusses. Jener iranische Text des Zoroastrismus, der in der Diskussion am häufigsten genannt wird, ist der sogenannte Bahman-Yast (= BYt), der im Mittelpunkt der beiden nächsten Beiträge steht.

Widengren (23-62: Les quatre âges du monde) geht von Dan 2,29 ff. (Vision vor der aus verschiedenen Metallen zusammengesetzten Statue und den vier Reichen) und Dan 4,7 ff. (Traum von einem [Welten]-Baum) aus und fragt nach dem religonsgeschichtlichen Ursprung. Aufgrund der Diskussion verschiedener Texte (die indische Lehre der vier Zeitalter (Yugas im Mahabharata; die vier bzw. sieben Zeitalter im BYt; die fünf Zeitalter bei Hesiod und die Lehre von vier [Welt]-Reichen in der hellenistischen Welt; Danielbuch) kommt W. zu folgendem Schluß: Da die Struktur der genannten Texte zu unterschiedlich ist, kann nicht von einer direkten Beeinflussung gesprochen werden. Vielmehr - und dies ist das Neue an W.s Ergebnis - ist die Thematik des Danielbuches Teil einer indo-iranischen Tradition, die eine menschliche/göttliche Statue als Symbol der Welt sieht, was etwa auch im Atharvaveda oder in einem Textfragment bei Bardesanes bezeugt ist. Auch die Lehre der vier Reiche kann als indo-iranische Tradition gelten, während die Siebenzahl der Reiche eher aus dem mesopotamischen Bereich entlehnt worden ist.

Hultgård (63-162: Mythe et histoire dans l'Iran ancien. Études de quelques thèmes dans le Bahman Yast) liefert eine vorzügliche Analyse (literarisch, thematisch, religionsgeschichtlich) des Textes, dessen Endredaktion aus frühislamischer Zeit stammt, der aber zum Großteil avestisches Material bewahrt hat (v.a. Sutkar Nask, Hordad- bzw. Astad-Yast). Dabei zeigt er, daß Kosmologie und Apokalyptik eng zusammengehören, wobei für uns diese mythologische Überlieferung ab der nach-achämenidischen Zeit nur noch als Zusammenfließen verschiedener Elemente unterschiedlicher Herkunft faßbar wird, d. h. es ist praktisch unmöglich, orthodoxe oder heterodoxe (z. B. zervanistische) Traditionen zu unterscheiden. Dies ist hervorzuheben, weil die hier zur Diskussion stehenden iranischen Überlieferungen meist dem Zervanismus zugewiesen werden. Für die - gerade im Vergleich mit dem Danielbuch angesprochenen - Elemente des BYt (4 Metalle/Zeitalter; Weltenbaum) betont H. einerseits die Altertümlichkeit der Vorstellung der vier Zeitalter im BYt, hinsichtlich des Weltenbaums hebt er zurecht die selten berücksichtigte Verbindung mit analogen Vorstellungen in der skandinavischen Religionsgeschichte hervor. Der kosmische Baum, dessen Wurzeln bis in primordale Wasser hinabreichen, in dessen Geäst ein großer Vogel wohnt und dessen Früchte ein heilendes Lebenselixier sind, kann dabei als indoeuropäisches Erbe gelten, das in verschiedenen Einzelreligionen weiterlebt; das Danielbuch hat dieses Erbe - wohl über den Iran - vermittelt bekommen.

Philonenko (163-211: La doctrine Qoumrânienne des deux Esprits) skizziert den iranischen Ursprung der Lehre der beiden Geister und ihr Weiterwirken im Judentum und im frühen Christentum. Ausgehend von der "Belehrung über die beiden Geister" (1QS 3,13 ff.) zeigt er, daß die Vorstellung von zwei entgegengesetzten Geistern, der im qumranischen Schrifttum auch andere Antithesen (z. B. Licht/Finsternis, Wahrheit/Lüge; Wohlgeruch/Gestank; zwei Herrscher) entsprechen, in der strikten dualistischen Form dem AT vollkommen fremd ist. Daher führt er diese Vorstellung auf einen iranischen, speziell zervanistischen Ursprung zurück. Auch das "Testament der 12 Patriarchen", dessen essenischen Charakter Ph. betont, und die Henochliteratur sind davon beeinflußt. Es darf nach Ph. für die Zeit ab dem Ende des 2. Jh.s v. Chr. als gesichert gelten, daß in Teilen des Judentums eine stark dualistisch strukturierte Lehre existierte, die aus dem Zervanismus stammt. Ein jüdisch vermitteltes Weiterwirken dieses Dualismus betont Philonenko für das joh. Schrifttum (Licht/Finsternis; zwei Geister), den Pastor Hermes oder die Pseudo-Clementinen.

Als Resümee wird man dem Gesamttenor der drei Beiträge zustimmen und die Frage eines iranischen Einflusses auf Teile der jüdischen Überlieferung positiv beantworten. Gewisse Vorbehalte sind hinsichtlich der Identifizierung dieser iranischen Traditionen als "zervanistisch" angebracht, auch die kurze Bemerkung Philonenkos (204), daß der Mandäismus und Manichäismus diesen iranischen Dualismus durch jüdisch-christliche Vermittlung erhalten haben, ist kaum ausschließlich zu verstehen. Wünschenswert wäre gewesen, wenn - gerade unter dem Stichwort "Manichäismus" - die Gnosis in den Fragenhorizont des vorliegenden Buches einbezogen worden wäre. Insgesamt kann das vorliegende Werk - besonders die Beiträge von Hultgård und Philonenko - als wichtige Behandlung der im Titel genannten Thematik empfohlen werden.