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Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

641 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Sebastian, Joseph

Titel/Untertitel:

God as Feminine: Hindu and Christian Visions. A Dialogue.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1995. XVII, 458 S. 8 = Europäische Hochschulschriften. Reihe XXIII: Theologie, 523. Kart. DM 118,-. ISBN 3-631-48211-6

Rezensent:

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Die umfangreiche Dissertation wurde an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom angefertigt und vollzieht einen wichtigen, in der Literatur bisher nur sparsam behandelten Vergleich der hinduistischen und der christlichen Vorstellungen in Bezug auf die "Weiblichkeit" Gottes. Der Vf., selbst katholischer Priester, ist durch seine Herkunft aus Indien prädestiniert für einen solchen interkulturellen und interreligiösen Vergleich.

Die Monographie unterscheidet in sieben Kapiteln zunächst grundsätzlich Konzepte des Gottesbildes bei Subramania Bharati (1882-1921). Der bedeutendste tamilische Dichter und Prophet hat insbesondere in der Tradition der Bhakti-Verehrung neue Akzente gesetzt. Seine Qualitäten als Journalist und Patriot sind demgegenüber nur als biographischer Unterbau von Wichtigkeit. Bei Bharati ist die Fassung der Gottheit als mütterliche Grundenergie ausgeprägt und in besonders schöne, gehaltvolle Poesie umgeschmolzen. Dieser mütterlichen Grundqualität ge-genüber ist eben jene Bhakti, die Hingabe, auch als eine bis in persönliche Formulierungen hineinreichende Verehrung sprachlich gefaßt.

In derselben "poetischen Theologie" wird eine Personifikation der mütterlichen Gottheit in der Gestalt der traditionellen indischen Shakti im einzelnen durchgeführt (Kap. 3). In dieser Göttin und weiblichen Gegenkraft zu Shiva wird die Ur-sprungsenergie - die im Hinduismus immer weiblich ist - personifiziert. Vorrangige Eigenschaften der Shakti als Mutter sind die gütigen und barmherzigen, weniger die zerstörenden und tötenden Kräfte. Gleichwohl enthält diese Urenergie unter anderem Namen neben den aufbauenden auch die destruktiven Potenzen; eingebunden ist etwa unter dem Namen der Kali die bekannte, ihren Gatten nach dem Sexualverkehr tötende, seine Eingeweide auffressende schwarze Göttin, andererseits unter dem Namen Lakshmi die barmherzige und huldvolle Göttin und Gemahlin Krishnas. Andere Verkörperungen werden unter dem Konzept von Sarasvati, der Göttin der Kunst, und Mariamman, der Regengöttin, behandelt.

In Kap. 4 wird aus dem vorhandenen Bestand die Frage nach der göttlich-menschlichen Beziehung in Einzelaspekten untersucht. S. zeigt, daß die Erfassung der Bhakti-Gottheit Kannan als Mutter wie als Vater jeweils verschiedene Aspekte oder Eigenschaften aufruft, von seiten des Menschen also unterschiedliche Reaktionen herausfordert: Freundschaft, Gehorsam im Dienen, Unterwerfung, Schülerschaft und ähnliches. Diese Beziehungen sind häufig austauschbar, so daß sich von daher eine lebendige, immer wechselnde Form der Näherung des Gläubigen an die Gottheit vollzieht.

Im religionswissenschaftlichen Vergleich arbeitet S. darauf die Tradition des Alten Testamentes in bezug auf das verwendete Vokabular durch. Das weibliche Antlitz Gottes im biblischen Judentum findet sich z. B. in dem Ausdruck "Mutterschoß" = Erbarmen (Râcham, Rachamim) und "Eingeweide" (Beten). Darauf folgen die weiblichen Bilder, die auch schon aus anderen Untersuchungen bekannt sind: Gott als liebende, barmherzige, sorgende Mutter, als Gebärerin, Hebamme, Hausfrau. Die Weisheit (Chokma) vor allem als Mitschöpferin, Mutter und Braut wird dem Abschnitt des feminin empfundenen Gottesgeistes (Ruach) vorgeordnet. Die weiblichen Bilder Gottes im Neuen Testament gruppieren ebenfalls bereits Bekanntes: Gleichnisse Jesu, worin Gott als Hausfrau oder Bäckerin vorkommt, mit der Selbstauffassung Jesu als Mutter und dem mütterlichen Heiligen Geist im Johannes-Evangelium. Eine gute, von der Stoffülle beeindruckende Zusammenschau der patristischen, sowohl griechischen wie lateinischen Tradition bieten die folgenden Abschnitte, die als einzigen syrischen Kirchenvater Ephräm einschließen.

Die mystische Tradition des Mittelalters zählt auch Autorinnen (neben Anselm von Canterbury und Bernhard von Clairvaux) auf, darunter die wichtige Mechthild von Hackeborn, Birgitta von Schweden und Caterina von Siena. Ein ausführliches Kapitel 6 dient der Darstellung der in der Sekundärliteratur bereits gut erforschten Juliana von Norwich. Hier verarbeitet S. vor allem die Forschungen von Collier-Bendelow (1989) und Bynum (1982).

Ohne weitere Begründung hört freilich dieser Durchgang durch die Bild-Theologie des Christentums mit dem späten Mittelalter auf. Die Neuzeit kennt zumindest bis zur Aufklärung sowohl in der katholischen als auch in der protestantischen Tradition eine ungebrochene Fortsetzung der Motive göttlicher Weiblichkeit. S. schließt vielmehr in einer Art Synopse mit einem Vergleich von Bharatis femininer Vision Gottes mit den genannten christlichen Visionen. Insofern ist eine ge-wisse zeitliche "Schieflage" zu bemerken, als hier eine tamilische Hindu-Theologie des 20. Jh.s mit jüdisch-christlichen Entfaltungen desselben Themas, aber nur bis zum 15. Jh., verglichen wird. Immerhin wäre es eindrucksvoll gewesen, zeitgleiche Entwürfe, wie etwa auf der christlichen Seite Teilhard de Chardin, aufeinander zu beziehen. Der Vf. kommt zu großen Konvergenzen, was die Übereinstimmung von Sarasvati und der "Weisheit", aber auch Shakti und "Heiligem Geist" betrifft. Divergenzen sieht er stärker in der Art der Eigenschaften dieses Göttlich-Weiblichen: auf der hinduistischen Seite ein stärker ar-chetypisches Modell, auf der christlichen Seite ein stärker alltägliches und personales Modell.

Das Ergebnis des Buches liegt in drei Forderungen: das christliche Reden von Gott stärker einer inklusiven Bildsprache zu öffnen, prophetische Kritik an einem vordergründigen und damit "götzenhaften" Katalog von Vorstellungen zu üben und drittens weibliche Bilder für Gott zur Inkulturation des Christentums in Indien zu nutzen. Das Buch wird durch eine Auflistung von Bharatis Gedichten und durch eine ungewöhnlich umfangreiche Bibliographie abgeschlossen.