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Ausgabe:

November/1998

Spalte:

1103 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Wünsche, Matthias

Titel/Untertitel:

Der Ausgang der urchristlichen Prophetie in der frühkatholischen Kirche. Untersuchungen zu den Apostolischen Vätern, den Apologeten, Irenäus von Lyon und dem antimontanistischen Anonymus.

Verlag:

Stuttgart: Calwer 1997. 315 S. 8 = Calwer Theologische Monographien. Reihe B: Systematische Theologie und Kirchengeschichte, 14. DM 98,-. ISBN 3-7668-3466-5.

Rezensent:

Gerd Buschmann

Die leider mit fünfjähriger Verzögerung in der Drucklegung erschienene Kieler Dissertation von 1992 (bei Prof. Dr. R. Staats/Prof. Dr. G. Maron) problematisiert unter dem doppeldeutigen Begriff "Ausgang" (Fortsetzung? Ende?) die christliche Prophetie im 2. Jh. und gerät damit neben einem themenorientierten Durchgang durch die Apostolischen Väter, die Apologeten, Irenäus von Lyon und die antimontanistischen Väter insbesondere zu einer Darstellung des Montanismus (auch wenn das nicht die vorrangige Intention des Vf.s ist). Die bisherige Deutung des Phänomens "Ausgang der Prophetie" unter dem Stichwort des "Gegenübers von Charisma und Amt" (1) wird vom Vf. in Frage gestellt mit dem Ergebnis: In der Kirche des 2. Jh.s ist die Prophetie keineswegs erloschen oder hinausgedrängt (gegen F. Overbeck), auch die Fähigkeit zur Unterscheidung wahrer und falscher Prophetie ist nicht verloren, aber: "Die Kirche hat sich im Verlaufe des 2. Jahrhunderts - auch und gerade in der Reaktion auf den Montanismus - ... ein Verständnis von Prophetie erarbeitet, das den ,Propheten’ in dem Genus, das die Montanisten für sich beanspruchen, überflüssig macht" (299). Neue Prophetie wird in dem Maße überflüssig, wie zukunftsorientierte Prophetie mit dem Kommen Christi schon als eigentlich erloschen angesehen wird und der Anspruch der Propheten auf diejenigen übergeht, die der Gemeinde ihre Gegenwart und Zukunft aus den schon vorfindlichen Glaubens-Dokumenten der Tradition erklären und erhellen (vgl. 300 f.): Prophetie wird "belehrend im Sinne der Auslegung schon ergangener Prophezeiungen!" 302).

Nach 1. Einleitung (1-12), die aus den antimontanistischen Schriften Leitfragen entwickelt (Stellung und Spuren der Propheten, Definition frühkirchlicher Prophetie, wahre und falsche Prophetie, prophetische Inspiration) und die Quellen auswählt (Chronologisch: 2. Jh, geographisch: Kleinasien und Syrien/ Palästina, - für Barn nimmt Vf. eine Entstehung in Kleinasien an, 82 ff.) und 2. Forschungsstand (13-18) folgt das eigentliche Corpus der Arbeit in Kap. 3 (19-241) und 4 (242-297). 3. Prophetie bei den Vätern der frühkatholischen Kirche, 3.1. Apostolische Väter (19-132): Didache mit Schwerpunkt auf Did 10,7; Did 11,1-15,4, Ignatius, Barnabasbrief und Hirt des Hermas, 3.2. Apologeten (132-200): Justinus martyr, Athenagoras, Theophilus v. A., 3.3. Irenäus v. Lyon (200-241) unter besonderer Berücksichtigung seiner Stellung zum Montanismus. 4. Prophetie bei den antimontanistischen Vätern: 4.1. Einführung, 4.2. Chronologie (247-264), 4.3. antimontanistischer Anonymus (264-297). 5. Zusammenfassung und Ausblick beenden den Band sehr knapp (298-303).

Dem Buch fehlt jedes Stellen-, Personen- oder Sachregister, was die Nutzbarkeit leider deutlich beeinträchtigt.

Nicht immer genügen die Ausführungen des Vf.s: was z. B. 1.2.2. Definition der frühchristlichen Prophetie bietet, kann kaum als Def. gelten; unter 2. Zum Forschungsstand (auf 5 S.!) finden sich fast ausschließlich Anmerkungen zu D. E. Aune, Prophecy in Early Christianity and the Ancient Mediterranean World, Michigan 1983; unter 3.1. Apostolische Väter bleibt MartPol völlig unberücksichtigt, obwohl Polykarp mehrfach auch als Prophet und Lehrer bezeichnet wird (5,2; 12,2 f.; 16,2), was die Gesamt-Argumentation des Vf.s bestätigen dürfte (daß nämlich Propheten zunehmend als Lehrer und Ausleger von Tradition gedeutet werden), und gerade MartPol in Auseinandersetzung mit dem Montanismus kritisch auf die Kategorie "kata to euaggelion" verweist, die der Vf. hinsichtlich Did 11,3; 15,4 betont (32 ff.):Das Evangelium bzw. die als normativ angesehene Überlieferung wird nicht nur in der Didache zur handlungsweisenden Instanz - und auch zur Norm der Prophetie (vgl. dazu auch: G. Buschmann, MartPol 4 und der Montanismus, VigChr 49/1995, 105-145). Auch die übrigen vom Vf. untersuchten Schriften erweisen "Christus als das Ziel aller Prophetie" (136, ähnlich: 81, 169: "Die Zeit der Prophetie ist durch die Zeit des Evangeliums abgelöst worden", 199, 237 f. u. ö.).

Hier zeigt sich die Zentralthese des Vf.s zum "Ausgang der Prophetie im 2. Jh.": Es "erweist sich die nachneutestamentliche Prophetie als strikt an die Schrift und an Christus gebunden. In diesem Verständnis ist kein Platz für ,neue’ Offenbarungen" (238). Die Wahrhaftigkeit des Propheten erweist sich "in seiner Nachahmung der Lebensweise des Herrn" (39). Prophet und Märtyrer treffen sich darin (so jedenfalls das MartPol!), insofern bleibt unverständlich, warum der Vf. das Martyrium in seiner Untersuchung nahezu unberücksichtigt läßt, - abgesehen von den Lyoner Märtyrern (208-216) -, obwohl es auch bei dem vom Vf. behandelten Ignatius v. A. (48-81) eine betonte Stellung einnimmt. - Zu Recht erkennt der Vf. aber in Vettius Epagathus und Attalus montanistische Propheten(-Märtyrer) in Lyon. Zu Recht auch betont er eine Frühdatierung des Montanismus (261-264), die mit einer Frühdatierung des MartPol in der neueren Forschung konvergiert (vgl. Dehandschutter, ANRW 2.27.1, 485-522 und Buschmann, KAV 6, 1998, 39 f.). richtig erscheint auch, daß die Ekstase den eigentlichen Anstoß im Montanismus bildet (266 ff.). Diesen eigenmächtigen Zug der Montanisten umschreibt der Vf. gelungen und umfassend vom Begriff "parekstasis" aus (269-289): " Die ganze Anstößigkeit liegt so weniger in der Ekstase als solcher als vielmehr in der Tatsache, daß der falsche Prophet diesen Zustand selbst herbeiführt" (273). Das findet eine auffällige Bestätigung auch von dem montanistischen Märtyrer Quintos in MartPol 4 her, wo ebenso wie in Eus. h. e. V, 17, 2 das Stichwort "ekon" (freiwillig) begegnet.

Im abschließenden 12seitigen Lit.-Verz. fehlen (insbesondere durch die verspätete Drucklegung) einige neuere einschlägige Titel, z. B. zur Didache: G. Schöllgen, FC 1, Freiburg 1991; zum HirtHerm: N. Brox, KAV 7 (1991) (fehlt im Lit.-Verz., obwohl 111 Anm. 40 genannt); zum Montanismus: die neuere Quellensammlung von R. E. Heine, The Montanist Oracles and Testimonia, PatMS 14, Macon 1989; die einschlägigen Artikel von W. H. C. Frend in TRE 23 (1994), 271-279 und schon in BJRL 70/1988, 25-34, und F. Blanchtière in RevSR 52 f./1978 f., 118-134; 1-22; zum montanistischen koinonos-Amt (3 f.): G. Buschmann in ZNW 86/1995, 243-264.

An kleineren (Druck-)Fehlern finden sich: Trotz Verwendung (z. B. 4 Anm. 6) fehlt H. Paulsen, Die Bedeutung des Montanismus für die Herausbildung des Kanons, VigChr 32/1978, 19-52 im Lit.-Verz. (312); bei Berger, implizite Gegner, muß es richtig heißen: FS Günter Bornkamm (306); bei Overbeck, Anfänge der pastristischen Lit. fehlen Erscheinungsangaben (Basel 1882) (312); bei Staats, katholische Kirche muß es richtig heißen: ZNW 77 und S. 242-254 wären zu ergänzen (314).