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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

636 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Pöhlmann, Horst Georg

Titel/Untertitel:

Begegnungen mit dem Hinduismus. Dialoge, Beobachtungen, Umfragen und Grundsatzüberlegungen nach zwei Indienaufenthalten. Ein Beitrag zum interreligiösen Gespräch.

Verlag:

Frankfurt a. M.: Lembeck 1995. 205 S. 8o. Kart. DM 29,80. ISBN 3-87476-309-9.

Rezensent:

Hans-Werner Gensichen

In der neueren Literatur zum Thema Hinduismus und Christentum ist der Dialog weithin als notwendig anerkannt. Seltener finden sich Berichte über das Gespräch in actu, zwar nicht als religionswissenschaftlichen Diskurs auf höchster Ebene, wohl aber im Vollzug interreligiöser Begegnung als solcher. Als frühes Beispiel dafür mag man die Gedächtnisprotokolle des lutherischen Pioniermissionars Bartholomäus Ziegenbalg in Indien betrachten, die in den in Halle erschienenen Missionsberichten (1713 ff.) abgedruckt wurden und bis heute eine un- schätzbare Quelle darstellen. In neuerer Zeit kommt Klaus Klostermaiers reizvollem Bericht "Christ und Hindu in Vrindaban" (Köln/Olten 1968) exemplarische Bedeutung zu. Dem systematischen Theologen Pöhlmann blieb es vorbehalten, diese Sukzession fortzuführen und, als Nebenertrag von Gastprofessuren in Indien, seine eigene Version der Dialogpraxis mitzuteilen. Übersichtlich ist die Gliederung der Arbeitsgänge: Erste Eindrücke - intensivere Studien-Zusammenfassung, dazu eine Erörterung über interreligiösen Dialog überhaupt. Ein Anhang, der fast in Drittel des Gesamtumfangs ausmacht, bietet ein Wortprotokoll der Gespräche mit einem der Hauptgewährsleute des Vf.s. Jeder, der Indien einigermaßen kennt, wird dem Vf. attestieren, daß er ein Maß an Einfühlung in indisches Denken, Empfinden und Leben aufgebracht hat, das bei Europäern nicht selbstverständlich ist, zumal wenn nur englisch als Medium der Verständigung zur Verfügung steht. Die vergleichsweise kosmopolitische Atmosphäre der Großstadt Bangalore mit ihren Hochschulen hat das ihre getan, um wechselseitiges Verstehen zu erleichtern. Insoweit ist es kein Schade, daß die "Theologie von unten", die der Vf. eingangs als Zielvorstellung angibt, nicht allzu sehr dominiert. Gewiß geht es um "Erfahrung vor Ort"; aber in der indischen Geisteswelt sind die Übergänge der Erlebens- und Reflexionsebenen fließend, und es kommt der Darstellung zugute, daß der Vf. darauf Rücksicht nimmt.

Er sieht richtig, daß sich in der Vielfalt der Aussagen die drei "Wege" des Hindu-Glaubens kreuzen - das Handeln (karma), die Hingabe (bhakti) und die Erkenntnis (jnana). Manche Pauschalurteile, die anfangs noch auftauchen, erweisen sich bald als fragwürdig: Gibt es in Indien z.B. wirklich "keine Säkularisation" (11)? Mindestens in Gestalt der im Tamil-Sprachgebiet höchst populären "dravidischen" Bewegung mit ihrem radikalen Agnostizismus hätte man sich eines Besseren belehren lassen können, von den Überlegungen des bedeutenden Laien theologen M. M. Thomas zur Sache ganz zu schweigen. Ist der Hinduismus eine durchweg "sinnliche" Religion (12 f)? Faktisch steht neben unbefangener Leiblichkeit überall auch rigorose passive (tyaga) und aktive (tapas) Askese, neben "lebensfroher Götterwelt" auch die blutrünstige Göttin Kali mit ihren Schrecken. Ist Dualismus ausschließlich "europäisch-christlich" (15)? Indische Philosophie hat von jeher dualistische (dvaita) und monistische (advaita) Systeme gekannt. Und schließlich: Macht sich des "Theologenzynismus" schuldig, wer die Legitimität des modernen "man of miracles" Sai Baba einer angeblichen Reinkarnation Vishnus, anzweifelt (28 ff)? Tatsache ist, daß Sai Baba auch von nicht wenigen Hindus als Scharlatan betrachtet wird.

Mit solchen Fragen würde man dem Vf. jedoch nicht wirklich gerecht. Sie erledigen sich, je länger der Vf. selbst mit der Einsicht Ernst macht, daß es "den" Hinduismus als in sich geschlossen Größe nicht gibt, daß man also auch dann, wenn man, mit dem Vf., vom Hinduismus "lernen" will, sich zu-nächst darüber klar sein muß, mit welchem Teilausschnitt der "mass of beliefs which go to make up what is popularly known as Hinduism" (W. Crooke), man es jeweils zu tun hat - was selbstverständlich nicht ausschließt, daß jene "mass of beliefs" auch allgemeinverbindliche Merkmale enthält. Jedenfalls muß sichergestellt sein, daß auch der Hindu-Gesprächspartner, wie der Christ, seine Identität gewahrt weiß. Teil II stellt dementsprechend "Chancen, Grenzen und Voraussetzungen" des Dialogs in erläuterten Thesen zusammen. Zu lernen wäre vom Hinduismus die Einheit von Natur und Geist, ferner Verleiblichung und Ganzheitlichkeit des Glaubens, Volkstümlichkeit der Religion, einfaches Leben, meditativer Lebensstil. Neben dem Einenden bleibt freilich das Trennende: Die revelatio generalis, die auch den Hindu erreicht, bedarf des Maßstabs der "Wort- und Christusoffenbarung". Gibt es Konvergenz im monotheistischen Glauben, so doch nicht im "pluralen" Monotheismus, der zahllose Inkarnationen des Gottes zuläßt, überdies auch den "Wunschgott" (ishtadevata) für jedermann. Problematisch bleibt auch die weitverbreitete Annahme, daß der Hinduismus seinem Wesen nach "tolerant" sei. Schon vor Jahren hat der Indologe Paul Hacker nachgewiesen, daß diese Scheintoleranz faktisch in der Tendenz besteht, jede andere Religion zu vereinnahmen, mithin in einem "Inklusivismus", der den anderen gerade nicht mehr gelten läßt. Nur so erklärt sich übrigens, daß auch im ehrlichsten christlich-hinduistischen Dialog mit abrupter Ablehnung christlicher Positionen gerechnet werden muß, mit einem "resistant Hinduism" (R. F. Young), dem dann auch soziale Diskriminierung nicht fremd ist, wie sie heute z.B. die Dalit-Christen schmerzhaft erfahren. Daß westlich Indienbesucher davon nur selten hören, steht auf einem anderen Blatt.

Der Vf. schließt mit dem "Versuch einer Globalisierung", d.h. einer sehr umsichtigen Interpretation von fünf möglichen Positionen des interreligiösen Dialogs überhaupt: Radikaler relativistischer Pluralismus; theologischer Pluralismus und Relativismus (gerade in Indien sehr geläufig); monistischer Inklusivismus; dualistischer Inklusivismus; radikaler Exklusivismus. Offensichtlich tendiert die Auseinandersetzung heute auch anderswo in diese Richtung (neuestes Beispiel: S. C. Guthrie, PSB 17, 1996, 45-57). Pöhlmanns Überlegungen zeichnen sich dadurch aus, daß sie weit über bloße Affirmation hinausgehen und in eine Theologie der Religionsbegegnung münden, die von H. Kraemer bis Peter Beyerhaus, von J. Hick bis S. Samartha und W. Pannenberg alle wesentlichen Argumente prüft und das Beste behält - ein Kompendium, das durch den ständigen Rückgriff auf indische Erfahrung noch an Überzeugungskraft gewinnt.