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Ausgabe:

September/1997

Spalte:

785–787

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Pearson, Birger A. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Nag Hammadi Codex VII.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1996. XXVII, 479 S. gr. 8o = Nag Hammadi and Manichaean Studies, 30. Geb. hfl 208.-. ISBN 90-04-10451-8.

Rezensent:

Michael Lattke

Unter den gelehrten und wachsamen Augen des kalifornischen Koptologen und Gnosisforschers B. A. Pearson, der schon 1981 NHC IX und X als Bd. 15 der damals noch "Nag Hammadi Studies" heißenden Serie edierte und sich durch seine gesammelten Studien unter dem Titel Gnosticism, Judaism, and Egyptian Christianity (Minneapolis: Fortress 1990) für die hier zu leistende Aufgabe ausgewiesen hat, ist ein weiterer NHC-Band mit Einleitungen, Edition der koptischen Texte, englischen Übersetzungen und Anmerkungen entstanden, dessen hervorragende Ausstattung nicht zuletzt auf das Konto der äußert umsichtigen Hersteller der Druckvorlage geht, nämlich Neal Kelsey und Saw Lah Shein.

James M. Robinson, neben H.-J. Klimkeit einer der Herausgeber der Serie, informiert im ersten Vorwort (VII-X) über das Gesamtprojekt der "Coptic Gnostic Library", so daß auch die mit der aufregenden Geschichte der Entdeckung und Veröffentlichung dieses Jahrhundertfunds nicht vertrauten Leser ein wenig Hintergrundinformation erhalten. P. selbst spricht im zweiten Vorwort (XI-XIII) bescheiden von seiner Rolle: "How-ever, my own contributions to the volume are minimal; the essential work represented here is that of the named contributors" (XIII). Diese Fachleute werden im folgenden Durchgang durch die fünf sehr verschiedenen Traktate genannt werden. Vorher sei noch eigens hingewiesen auf die paläographische Einleitung von F. Wisse zum ganzen Papyrus-Codex (NHC VII), der zusammen mit 12 anderen Codices 1945 in Oberägypten gefunden wurde und der der am besten erhaltene NHC ist (1-13). Insgesamt gilt, daß alle 52 koptischen Traktate "were independently translated from Greek by several different translators, each with his own style" (11).

F. Wisse ist auch der Alleinbearbeiter des ersten Traktats (15-127), dessen eingebürgerter, aus der Überschrift stammender Titel "Die Paraphrase des Sêem" eigentlich irreführend ist und passender lauten müßte: "The Revelation of Derdekas to Shem" (15; zu den deutschsprachigen Titeln vgl. jetzt die übersichtliche Zusammenstellung von H.-J. Klauck, Die religiöse Umwelt des Urchristentums II: Herrscher- und Kaiserkult, Philosophie, Gnosis [Stuttgart: Kohlhammer 1996] 157 f.). Diese im saïdischen Dialekt geschriebene Apokalypse "is clearly a Gnostic writing, but its peculiar sectarian affilia-tion is difficult to determine" (20). Wissen wir über den mythologischen Autor überhaupt nichts, so deuten einige manichä-ische Aspekte in diesem alles andere als klaren Traktat auf eine Entstehung im Syrien oder Mesopotamien des 3. Jh.s (22).

G. Riley ist ebenfalls Alleinbearbeiter des zweiten Traktats (129-199). "Der zweite Logos des großen Seth" (so der sekundäre griechische Titel am Ende des saïdischen Textes) ist eine christlich-gnostische Homilie, in der der aufgestiegene Erlöser, der sich selbst als Christus und hoheitlich-transzendenten Menschensohn bezeichnet ([Seite von NHC VII] 65, [Zeile] 18; 69,21), darauf aus ist "to encourage gnostic Christians to rest in their redeemer and maintain unity with one another, while standing firm in opposition to Christians of the Great Church who persecute them and hold to the false teaching of the actual suffering and death of Christ" (129). Dieser Doketismus, der sich gegen eine "orthodoxe" Minorität (!) zu behaupten versucht, weist zusammen mit Einflüssen sethianischer und valentinianischer Gnosis ins alexandrinische Ägypten des späteren 2. Jh.s, "before the rise of developing orthodoxy into majority power and the subsequent fall of the great gnostic schools" (142). Die Formulierung von 55,6 f. ("The counsel shall not come to be") könnte schon von OdSal 5,8a.b beeinflußt sein. Zu der Aussage, daß "Solomon... thought that he was Christ" (63,11 f.), ist auf die gründliche Untersuchung von R. Hanig hinzuweisen (ZNW 84 [1993] 111-134, bes. 131, Anm. 106).

Die Einleitung zum dritten Traktat, der nicht mit dem gleichnamigen Apokryphon zu verwechselnden "Apokalypse des Petrus" (griechischer Titel am Anfang und Ende) wurde M. Desjardins überlassen (201-216), während Text, Übersetzung und "Notes" von J. Brashler stammen (218-247). Leider findet sich in den allzu knappen Anmerkungen zum Text nichts zu "Hermas, the first-born of unrighteousness (adikia)" (78,18f.). Auch in den soliden einführenden Bemerkungen zu "the work's literary structure, its main characters and its dualistic framework" (201-207) sowie zu "gnostic, apocalyptic and Christian links" (207-214) sucht man vergebens nach einer Erklärung dieses namentlich genannten Gegners. Einer der interessanten Aspekte der innerchristlichen antichristlichen Polemik - "Anti-Christian polemic was as much a feature of early Christianity as anti-Judaism" (212 f.) - ist die Inanspruchnahme der Autorität des Simon Petrus (als mißverstandenen Gnostikers oder sogar "Urgnostikers") durch die doketistisch denkende Gruppe der sich selbst als die "Kleinen" bezeichnenden christlichen Gnostiker. Isofern paßt das Werk "in any Christian community between 150-250 C. E." (214).

Einer der wenigen nichtgnostischen Texte innerhalb der NHC ist der vierte, weisheitliche Traktat "Die Lehren des Silvanus" (249-369), dessen Bearbeiter M. Peel sich in seiner Übersetzung auf die Arbeiten von J. Zandee stützt. Diese "between Origen's death (254 C. E.) and the Council of Nicaea (325 C. E.)" in "Alexandrian Egypt" zusammengestellte, nur literarisch an "my son" (passim) gerichtete Sammlung von Spruchweisheiten "is a rare example of early Hellenistic-Christian wisdom literature in which a respected teacher, drawing his thought from a synthesis of Biblical, Late Stoic, and Middle Platonic religious and ethical ideas, offers his reader(s) rather dogmatic instruction on how to... 'become like God'..." (249, 274).

Die unter den literarischen Formen auftauchenden hymnischen Stücke (252 f.) und der entsprechende Aufsatz von W. R. Schoedel (275) fehlen in meiner Materialsammlung und sind dort nachzutragen (Hymnus [Freiburg, Schweiz: Universitätsverlag/Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1991] 156). Besondere Aufmerksamkeit verdient von den "dominant themes" (256 f.) der Abschnitt 110,14-113,31: "Discourse on Christ's saving work, including his descent into this world (= Hades)" (257; vgl. 273, wo ein Hinweis auf die OdSal fehlt). Weder im Abkürzungsverzeichnis (XVII-XXVI) noch in der Spezialbibliographie (274-276) findet sich das Werk "Pholenz, Die Stoa I" (260; richtig: M. Pohlenz [4. Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1970]).

Der fünfte und letzte Traktat trägt am Ende, vor dem sich entweder auf den ganzen Codex oder nur auf den ausdrücklich dreigeteilten Traktat beziehenden Kolophon, den Titel "Die drei Stelen des Seth" (371-421). Der Bearbeiter J. E. Goehring hat für seine Übersetzung Vorarbeiten von J. M. Robinson benutzt. Wenn am Anfang der Name "Dositheos" erscheint, dem diese drei Stelen (stelai) sethianischer Gnosis geoffenbart wurden, so könnte man an den Lehrer des Magiers Simon denken. Doch ist der Gebrauch dieses Namens wahrscheinlich nichts anderes als "a standard use of the literary device of pseudepigraphy" (371). Da dieser Traktat "contains no Christian elements", ist er wegen der Nähe zu "Neoplatonic speculations about the triadic nature of God" um so interessanter für christliche Leser (372). Der ursprüngliche "Ritual Context" (380) als Sitz im Leben der aus dem Alexandrien des frühen 3. Jh.s stammenden griechischen Hymnen ist natürlich mit der koptischen Version, die ins spätere 4. Jh. datiert werden kann (384), nicht mehr gegeben. Doch wird man sagen können, daß auch der jetzige Sitz im Text "functions both to effect and to celebrate the salvation of the elect" (380).

Mit der den Vater, "the non-being (-usia)" (124,26) anredenden Definition läßt sich die Botschaft schön zusammenfassen: "It is knowledge (gnosis) of you that is the salvation of us all" (125,13 f.).

Auch dieser NHC-Band wird abgeschlossen mit Registern der koptischen Wörter (425-461), griechischen Wörter (461-477) und Eigennamen (477-479). Die Liste der fünf Traktate "with corresponding page and line numbers... to assist the reader in the use of the indices" (423) ist in der Tat ebenso hilfreich wie die Tabelle aller Traktate der "Coptic Gnostic Li-brary" (XV-XVI).

Von den wenigen Druckfehlern seien folgende in Verbesserung genannt: "koptisch-gnostische Schriften" (XVII), "do" (7, Anm. 22), "assistance" (13), "Die zweite Schrift" (143), "Faksimile-Ausgabe" (215), "Pohlenz" (260), "in any" (272), "Crux interpretum" (276), "Brautgemach" (305), "Das Fisch-Symbol in frühchristlicher Zeit" (369 [2. Aufl. 1928]). Da in englischsprachigen Bibliotheken und Katalogen die Umlaute häufig weggelassen werden, kann man verstehen, wenn diese Inkorrektheit nicht ohne Einfluß bleibt auf Studenten und Gelehrte (vgl. z. B. 298, 342 f., 361).

Insgesamt handelt es sich bei diesem mit Bewunderung und Freude besprochenen Buch um ein gelehrtes und für den schönen Druck äußerst sorgfältig hergestelltes Werk, das in keiner guten Bibliothek fehlen sollte und eines Tages hoffentlich, zusammen mit den übrigen Bänden der koptisch-gnostischen Schriften, in einer preiswerten Paperback-Ausgabe erscheinen wird.