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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

633 f

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kloppenborg, Ria, and Wouter J. Hanegraaff [Ed.]

Titel/Untertitel:

Female Stereotypes in Religious Traditions.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1995. XII, 263 S. gr. 8o = Studies in the History of Religions, 66. Lw. hfl. 120.-. ISBN 90-04-10290-6.

Rezensent:

Helgard Balz-Cochois

Schwachheit, dein Name ist Weib (Shakespeare). Der Mann ist böse; aber das Weib ist schlecht (Nietzsche). Lange Haare, kurzer Verstand: Nicht nur im Volksmund, in Philosophie und hoher Literatur gibt es Stereotypen, vorgestanzte Vorstellungen vom ,Wesen des Weibes', sondern selbstverständlich auch in den religiösen Traditionen aller Kulturen. Die zehn Beiträge einer Studiengruppe im Fachbereich Religionsgeschichte der Universität Utrecht spannen den Bogen von Indien und Tibet über den Nahen Osten und Westeuropa bis nach Nordamerika; vom Alten Orient bis zur Gegenwart des New Age.

Karel van der Toorn (1) untersucht das Bild, das man sich im alten Mesopotamien und Israel von der (männlicher Kontrolle ledigen) Witwe machte: Es schwankt zwischen Tugend und Laster ("Torn between Vice and Virtue"). Albert de Jongs Beitrag (2) befaßt sich mit der fragwürdigen Gestalt der mythischen Ur-Hure und Satansbraut Jeh in einer misogynen Nebenströmung der sonst frauenfreundlichen Religion Zarathustras. Pieter W. van der Horst (3) versucht, den Befund frühjüdischer Misogynie durch Gegenbeispiele auszubalancieren; überdies verweist er auf ähnlich negative Stereotypen im Frühchristentum und Hellenismus. Anke Passenier (4) befaßt sich mit dem "lockeren Lebenswandel" ("Women on the Loose") und ähnlichen Stereotypen in der Geschichte der mittelalterlichen Beginenbewegung, die von ursprünglicher Vielfalt und Freiheit zu Disziplinierung unter männlicher Kontrolle führte. Ghassan Ascha (5) läßt die wechselnden Interpretationen der Frauen Mohammeds als "Mütter der Gläubigen" Revue passieren; darunter besonders beeindruckend das Bild der jungen Aischa als Stammeskriegsteilnehmerin zu Kamele. Netty Bonouvrié (6) führt ins islamische Indien, wo, vermutlich unter hinduistischem Einfluß, Mystikerinnen ("Female Sufi Saints"), im Unterschied zu weiblichen Sufis im übrigen Islam, als Jungfrauen verehrt werden. Jan Peter Schouten (7) zeigt, wie das aus dem Rahmen fallende Bild der Hindu Heiligen Akka Mahadevi ("The Unconventional Woman Saint") sich wandelt von asketischer Nacktheit und geistlicher Unabhängigkeit im 12. Jh. zu Lendenschurz und Bevormundung durch einen Guru in einem modernen Roman. Ria Kloppenborg (8) untersucht weibliche Stereotypen im frühen Buddhismus am Beispiel von Frauen, die auf den Anwurf der Dummheit, Eitelkeit, etc. und auf die Forderung nach Unterwürfigkeit u.ä. mit der Hinwendung zum Pfad der Erleuchtung reagierten und Nonnen wurden. Rosemarie Volkmann (9) führt nach Tibet, wo die Gestalt der Schöpferin und Großen Mutter ("Genetrix/Progenitress") der ursprünglich chthonischen Religion durch die Einführung der Bon-Religion und später des Buddhismus sexuell dämonisiert, damit jedoch nicht entmachtet wurde. Wouter J. Hanegraaff (10) zeichnet das Charakterbild der Hexe ("From the Devil's Gateway to the Goddess Within") von den frühneuzeitlichen Anschuldigungen und Verfolgungen zu den religiös verinnerlichten, okkult gefärbten "dialektischen" Aneignungen im feministischen Neuheidentum, besonders des New Age. - Ein Index und Angaben über die Autoren finden sich im Anhang.

Von den Beiträgen ist die Mehrzahl akademischer Allgemeinbildung zugänglich; der eine oder andere (9 etwa, aber auch 2) dürfte nur den jeweiligen Spezialisten voll verständlich sein. In der Einleitung von Ria Kloppenborg wird feministische Forschung aufgefordert, herauszufinden, warum die meisten der behandelten Stereotypen (,Dummheit' etwa, als Unfähigkeit zu logischem Denken; Unzuverlässigkeit; Verhaftetsein an den Körper/die Materie) "nahezu universal" sind. Die Beiträge wollen nachweisen, daß man der Frau (mit kulturellen Variationen) bestimmte Verhaltensmuster aufprägte: positiv, wenn frau sich konform verhielt; negativ, wenn sie sich dagegen wehrte und eigene Wege ging. In manchen Fällen (besonders 7; auch 6) wird die Ausnahme nicht nur geduldet, sondern sogar verehrt. (5) zeigt, daß nichts so schwanken kann wie ein Charakterbild in der Geschichte und ein heiliger Text im Wind wechselnder Interpretationen. Das mag zum Nachdenken anregen über Wertewandel im allgemeinen und besonders in der westlichen Gegenwart - was einst böse war oder ein Skandal (die Hexe, die Begine), wird heute bewundert und ist, wo nicht gut, so doch faszinos. Manche der Beiträge würden sich eignen als Arbeitsgrundlage für Seminare, Tagungen, u. ä. (10 und 4 vor allem; auch 5 oder 3): Was bringt der kulturelle Wertewandel den Frauen nicht nur, sondern einer ganzen Gesellschaft - nur allgemein Gutes und Erwünschtes? Der Sammelband gibt dem Nachdenken genügend Anstöße.