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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

631–633

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Cryer, Frederick H.

Titel/Untertitel:

Divination in Ancient Israel and its Near Eastern Enviroment.

Verlag:

Sheffield: JSOT Press 1994. 367 S. 8o = Journal for the Study of the Old Testament, Suppl. Series 142. Lw. £ 45.-. ISBN 1-85075-353-9-

Rezensent:

Martti Nissinen

Die Götterbefragung gilt herkömmlich als primitive, abergläubige Wahrsagerei, die im Verhältnis zu höheren Formen des Gottesbescheids, vor allem zur Prophetie, als minderwertig oder gar ridikül erscheint. Im Hintergrund dieses Werturteils sind wohl die aufklärerische Genieästhetik und der Kulturrevolutionismus zu finden, aufgrund deren sich die Bezeich-nung der Magie als "Bastardschwester der Wissenschaft" (J. G. Frazer) berechtigt hat. Die einflußreichen und kaum hinterfragten Gegenüberstellungen von Magie und Religion, Amt und Charisma, Divination und Empirismus usw. haben lange das Feld regiert. Schon seit den 60er Jahren ist jedoch ein allmählicher, aber deutlicher Paradigmenwechsel zu beobachten. Heute mehren sich die Stimmen, die der herkömmlichen Denkweise kritisch gegenüberstehen. Im altorientalischen Bereich zum Beispiel, vor allem im Gefolge von A. Leo Oppenheim und Simo Parpola, werden die mesopotamischen Astrologen und Opfer-schauer nicht mehr als bloße Wahrsager, sondern als Gelehrten ihrer Zeit angesehen, denen sich die Götterbefragung als eine epistemologische Option anbot. Auch die Prophetie wird immer mehr im Kontext der Divination bzw. als deren Teilaspekt betrachtet.

Die vorliegende Studie von Fred Cryer (Kopenhagen) manifestiert den Paradigmemwechsel sowohl als Bilanz der bisherigen Forschung zur Götterbefragung als auch als Anstoß zu einem neuen Verständnis von ihr. Grob gesehen gliedert sich das Buch, abzüglich der Einleitung und Zusammenfassung, in drei Teile, von denen der erste die sozialanthropologischen Voraussetzungen (Kap. 1-2; 42-123), der zweite die Götterbefragung in der Umwelt Israels, vor allem in Mesopotamien (Kap. 3-4; 124-228), und der dritte dieselbe im alten Israel und im AT (Kap. 5-6; 229-323) umfaßt. Alle bekannten Erscheinungsformen der altorientalischen Divination, d. h. Astrologie, Omen aller Art, Träume, Opferschau usw. sowie die alttestamentlichen Götterbefragungsmittel (Träume, Terafim, Lose, Urim und Tummim, Ephod und die Lade) kommen zur Sprache, während die Prophetie nach wie vor einen Grenzfall zu bilden scheint, indem ihr keine gesonderte Behandlung zukommt.

Ihrem Untertitel gemäß strebt die Arbeit danach, die Götterbefragung sozialhistorisch zu betrachten, und zwar innerhalb der umfassenden Kategorie der Magie, deren Studium durch Tylor, Frazer, Mauss und Hubert, Malinowski, O'Keefe und vor allem Evans-Pritchard die forschungsgeschichtliche Orientierung bietet. Der wichtigste Ertrag dieser ausgedehnten (82 S.) und informativen Einführung ist wohl die allgemeine Erkenntnis, daß die Divination nicht als abergläubische, von höherer Wissenschaft und Religion scharf zu trennende und empirisch zu verifizierende Vorhersagerei anzusehen ist, sondern als "a set of socially defined and structured procedures for producing (notional) knowledge in a society from what are presumed to be extra-human sources" (121 f.). Diese Überzeugung bildet den Leitfaden der Arbeit und setzt sie den herkömmlichen Werturteilen grundsätzlich entgegen.

Daß die Rolle der sozialanthropologischen Betrachtung im Zusammenhang mit altorientalischen und biblischen Quellen schließlich etwas undurchsichtig bleibt, mag wohl mit der mangelnden Bewanderung des Referenten auf diesem Gebiet zusammenhängen. Damit ist keineswegs gemeint, diese Fragestellung als unnötig oder unsachgemäß zu erklären. Es geht hier um ein Problem, das der Vf. selbst scharfsichtig genug gesehen hat (95): "It might be appropriate to point out that modern anthropological studies of magic have been conducted entirely in the context of savage societies in the period since the contact with the West was established. No one has attempted a socio-anthropological study of magical practices in urban, imperial, socially differentiated, and, above all, literate societies which have remained free of Western contacts - for the good reason that all such happen to be dead societies."

Damit ist eine weitere Schwierigkeit verbunden: Während eine zeitgenössische Gesellschaft sich dem Betrachter als ein existierendes Ganzes eröffnet, ist unsere Kenntnis der vergangenen Kulturen immer von sporadischen und lückenhaften Quellen verschiedener Art abhängig, was zur Folge hat, daß die soziale Realität der jeweiligen Gesellschaft nur durch eine gelehrte Rekonstruktion erreichbar ist. Den Vf., der die Kopenhagener Skepsis gegenüber dem Alten Testament als eine adäquate Quelle der Geschichte Israels teilt (40 f. 262 f. u. ö.), braucht man an dieses Problem nicht zu erinnern; gerade deswegen fragt man sich aber, von welchem Israel die Rede ist in der zusammenfassenden Feststellung: "ancient Israel was a 'magic society', like those around her" (324; Hervorhebung des Autors). Die betreffende "altisraelitische" Gesellschaft gewinnt keine Konturen, was im Rahmen einer sozialhistorischen Studie befremdend wirkt. Man kann annehmen, es seien überwiegend die nachexilischen Verhältnisse gemeint, weil von den vorexilischen wenig behauptet werden könne. Die nachexilische Verdammung der Götterbefragung wird indes mit der (auf keinen Fall bewiesenen) Vermutung wegdiskutiert, sie betreffe nicht die dazu privilegierten religiösen Autoritäten (329).

Bezeichnend für die Vorgehensweise von Cryer ist, daß er sich weniger mit den eigentlichen Quellen als mit den Meinungen anderer Forscher über sie befaßt. Dies erweckt nicht selten den Eindruck, daß die Problemstellungen - und folgerichtig auch die Ergebnisse - von den Positionen der bisherigen Studien gesteuert werden, während sich die unmittelbare Auseinandersetzung mit den Texten auf ein Minimum beschränkt und methodisch diffus bleibt. Dies hat nicht selten zur Folge, daß manches behauptet wird, weniger aber wirklich bewiesen. Z. B. dürfte die recht oberflächliche lexikalische Betrachtung der hebräischen Gottesbefragungsterminologie (255-262) kaum allein die an sich interessante Feststellung erlauben, die prophetische Terminologie, wenn nicht das Phänomen selbst, stamme von Israels Nachbarn ab, während die verschiedenen Formen israelitischer Magie einheimischen Ursprungs seien (262; vgl. 326). Manchmal gelten vorbereitende Beobachtungen zugleich als Ergebnisse. So gilt die Wahrnehmung, daß israelitische Propheten (d. h. zunächst Jesaja) ab und zu eine Frist (adannu) bestimmen, während deren die Weissagungen in Erfüllung gehen sollen (Jes 7,8.16; 8,4; 16,14; 21,16), unmittelbar als Argument dafür, die Propheten hätten wie die Priester das "technische" Orakel praktiziert (293 f.; vgl. 250. 325). Hier fragt es sich 1. wie die einschlägigen Texte sich eigentlich zur Prophetie verhalten, 2. ob der akkadische Begriff adannu hier am Platze ist und 3. ob das alles schließlich überhaupt etwas mit den "technischen", d. h. induktiven, Orakelmitteln zu tun hat.

Als eine der gewichtigsten Einzelfragen stellt sich auch im allgemeinen das Verhältnis von Divination und Prophetie heraus. Die von Cryer selbst erkannte Tatsache, daß wir heute viel weniger Konkretes von der Prophetie im vorexilischen Israel wissen, als man früher zu meinen pflegte (vgl. 263), vereitelt diese Frage nicht, macht sie nur schwieriger zu beantworten. Die Überzeugung des Vf.s, es hätte im alten Israel keinen großen Unterschied zwischen Priester und Propheten gegeben (243-250), hat trotz der mangelhaften Argumentation einiges für sich, bleibt aber auf halbem Wege stehen, weil die Begriffe Priester und Prophet unbestimmt bleiben; erst recht wäre irgendeine Definition der Prophetie nötig, um das Verhältnis richtig zu erfassen. Man gewinnt den Eindruck, daß sich die Prophetie doch als eine eigenständige divinatorische Funktion erweist, die sich aber im alten Israel mit anderen assimilieren kann. Hat die Sache denn eine andere Bewandtnis in differenzierteren Gesellschaften wie im alten Mesopotamien?

Hier böte sich die außerbiblische Prophetie zur Hilfe an, die aber vom Vf. zurückgestellt wird (183 Anm. 1). Die unter dem Titel "Akkadian 'Prophecies'" behandelten Texte treffen nicht das Problem, weil sie wohl keine Prophetie sind, sondern mit M. deJong Ellis (JCS 41, 1989, 127-186) zutreffender als "literary predictive texts" zu bezeichnen und von den Texten zu unterscheiden sind, die mit besseren Gründen Prophetie genannt werden können. Hier handelt es sich - außer der Mariprophetie - um die neuassyrischen Orakel, deren Existenz dem Vf. zwar bekannt ist, die er aber eigentümlicherweise als "Ishtar 'prophecies', that is, divination texts which seem to speak of the future" charakterisiert (134 f.). Diese Beschreibung trifft schlecht zu, und es fragt sich auch, ob die Vermittler dieser Orakel sachgemäß als "Priester und Priesterinnen" (293) bezeichnet werden können. Um diese Frage besser beantworten zu können, harren wir der baldigen Veröffentlichung dieser Texte durch S. Parpola (SAA 9 - s. vorläufig M. Weippert, AOAT 220, 287-319; M. Nissinen, AOAT 232, 217-258).

Von dem etwas unorganisierten Untertitelsystem abgesehen, macht die äußere Gestalt des Bandes einen angenehmen Eindruck. Allerdings schwanken die Transkription und Transliteration des Akkadischen durchweg zwischen unterschiedlichen Konventionen, die offenbar von der jeweils verwendeten Literatur herstammen. Besonders die Behandlung der diakritischen Zeichen scheint keinem konsequenten System zu folgen (barû, ilani rabûti, summa alu, aber asipu, tamitu, sa'iltu). Hebräisch wird mal transkribiert, mal mit hebräischen Buchstaben geschrieben, einmal beides sogar in einem Satz (259).

Das Buch von Cryer liest sich sehr flüssig. Als gebürtiger Amerikaner und überhaupt sprachkundiger Mensch schreibt er ein leicht zu lesendes, geradezu amüsantes Englisch, das oft beinahe journalistische Züge annimmt und nicht mit Adjektiven spart. Zu seinem Stil gehört zugleich auch, daß er gern Kontroversen provoziert und seinem Leser die Fehler anderer ständig zu Bewußtsein bringt, was zur Folge hat, daß der Eindruck einer gewissen Besserwisser-Mentalität nicht ganz zu vermeiden ist.

Es ist Fred Cryer zum Verdienst anzurechnen, daß er die reichen Facetten eines bisher weithin marginalisierten bzw. malträtierten Themenkreises illustrativ zusammengezogen hat. Auch ist es ihm gelungen, die Fäden eines noch relativ verstreuten Gesprächs in einer Weise fortzuspinnen, daß von nun an wohl alle Kolleg(inn)en, die sich mit der Divination beschäftigen - vermehre sich ihre Zahl! -, sich mit dieser Studie vertraut machen werden. Das Buch von Cryer reizt - in allen Bedeutungen des Wortes!