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Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

744–746

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Baldermann, Ingo

Titel/Untertitel:

Einführung in die Biblische Didaktik.

Verlag:

Darmstadt: Primus 1996. XI, 239 S. 8. Kart. DM 34,-. ISBN 3-89678-303-3.

Rezensent:

Klaus Wegenast

Wie in seiner Dissertation vom Anfang der sechziger Jahre versteht Baldermann auch heute noch unter "Biblischer Didaktik" nicht so etwas wie eine "Theorie des Lehrens und Lernens mit der Bibel" oder eine Kunstlehre der Vermittlung von Verstehen biblischer Inhalte im Rahmen von unterrichtlichen Lernprozessen, sondern "die der Bibel eigene Didaktik, ihre Art zu reden".

Ziel des hier anzuzeigenden Buches ist es deshalb nicht, die Frage nach einer erfolgreichen Vermittlung der Bibel qua Wissensbestand, Lehre oder Handlungsanweisung zu beantworten, sondern die Bemühung darum, die Bibel als "Buch des Lernens" kenntlich zu machen, "das auf immer neuen Wegen Menschen die Augen öffnen will für Erfahrungen, die Hoffnung stiften". Solche Hoffnung sei eben nicht vermittelbar wie irgendwelches Wissen um etwas oder ein bestimmtes Können, sondern müsse immer wieder neu wahrgenommen und Schritt für Schritt erlernt werden. Dabei sei es hilfreich, die Wege des Lernens nachzuzeichnen und immer wieder neu zu beschreiten.

Der Aufbau des Buchs entspricht dem Ziel: Einem einführenden Kapitel "Die Bibel - Ein Buch des Lernens", folgen vier weitere, welche vier verschiedenen "Text-Sorten" biblischer Sprache gewidmet sind. "Am Anfang: die Psalmen", in denen B. "Worte des Lebens" sieht, in welchen sich Kinder mit ihren Erfahrungen, Verletzungen und Hoffnungen wiederfinden, die neue Bilder zuspielen für das gelebte Leben und Sprache leihen für Erlebtes und Erlittenes. Angst, Vertrauen, Lob sind die Schlüsselerfahrungen, die hier ins Wort und ins Bild kommen und dabei befreien von dumpfem Empfinden und Trostlosigkeit, indem sie ein "Gegenüber" anbieten. Interessant die in diesem Zusammenhang beschriebenen "elementaren Methoden" des Lernens: Das "assoziative Gespräch" auf Grund von kurzen Psalmworten, Formen nonverbaler Gestaltung (Malen, Pantomime, Klangbilder), Einprägen von Bildern und Worten für Erfahrungen, die uns sonst den Mund verschließen.

Es folgen "Geschichten gegen den Tod", Erzählungen, die den Blick weiten, Politisches, Geschichte, komplexe Handlungsabläufe, fremde Zusammenhänge vergegenwärtigen, Brücken schlagen zu Erfahrungen anderer Menschen und Türen öffnen zu Fremdem und Eigenem. Interessant hier der Weg, auf dem Baldermann Jesus von Nazareth als Hoffnungsträger be-kannt machen möchte. Nicht mit Wundergeschichten möchte er anfangen und auch nicht mit Begegnungsgeschichten, sondern mit dem Traum Jesu am Anfang der Bergpredigt; "Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden die Erde besitzen".

Das sei Sprache der Hoffnung mit politischem Horizont; Sätze, die von einer verwandelten Erde erzählen, aber auch die Einzelnen mit ihrer Mühsal und Angst nicht aus den Augen verlieren - und dann die Wundergeschichten als Hoffnungsgeschichten, die uns und die Kinder in ein Geschehen hineinnehmen, an unsere Phantasie appellieren, uns mit wechselnden Personen identifizieren lassen, in den Psalmen Gelerntes erinnern. Und doch, ist es eigentlich wahr, daß wir im Hören solcher Geschichten nicht im Geiste der Aufklärung nach "Wahrheit" fragen? Und was dann? Es mag ja sein, daß es in Siegen Klassen gibt, die sich so stark mit dem Lehrer identifizieren, daß diese Frage zweitrangig wird, aber.... Wie immer, die Alternative zum Weg Baldermanns kann nicht der synoptische Vergleich und die Reflexion verschiedener Ebenen von Sprache sein, wenigstens nicht im 1.-4. Schuljahr.

Breit versucht B. jetzt, sein Verständnis von "Erzählung" zu erläutern (88-118): Seine Gewährsleute sind vor allem Martin Buber, Franz Rosenzweig, Walter Hartmann, Sten Nadolny u. a. Von ihnen lernt er, daß eine Erzählung in einem doppelten Sinn "authentisch" sein muß: im Blick auf die, von denen ich erzähle, und im Blick auf mich, der ich erzähle. Nur so ist es möglich, neue Erfahrungen mit wirklichem Leben zu erschließen, die nicht autoritär fixieren, sondern auf den Weg bringen. Wichtig auch die Hinweise auf mögliche Funktionen von "Kontextgeschichten" und nicht zuletzt die Beispiele von Geschichten gegen die Angst (David und Goliath), gegen die Verzweiflung (Bartimäus) und von der Bändigung des Chaos (Schöpfung). Im Zusammenhang mit der "Sprache der Gerechtigkeit", der Tora und den prophetischen Zwischenrufen, die Gottes Weisung in aktuellen Situationen "vergegenwärtigen", kommt B. ein weiteres Mal auf Angst und Hoffnung, Vertrauen und Lob zurück und korrigiert vor allem die unbillige Abwehr von Weisungen als Gesetz mit negativem Unterton. Gerechtigkeit ist Zurecht-Bringen, nicht Vernichten.

Auch hier wieder interessante didaktische Hinweise: Prophetische Zwischenrufe seien als Formen des Widerspruchs Sprachformen der Hoffnung, und das nicht nur im Alten Testament, sondern auch im Neuen, bei Jesus und Paulus. Es wäre jetzt wichtig, auch noch breiter zu werden im Blick auf den Abschnitt "Didaktik als Dramaturgie", in dem B. nicht nur eine Kategorie von Gottfried Hausmann erinnert, sondern zeigen kann, wie die Bibel Dialoge inszeniert und existentielles Lernen initiiert - z.B. bei Deuterojesaja als Botschaft der Hoffnung, die zu Veränderungen des Bewußtseins aufruft und des Lebens, oder in den Versuchungsgeschichten, die Baldermann feinsinnig interpretiert.

Am wenigsten kann ich mit dem letzten Kapitel "Auferstehung lernen" anfangen. Das gilt nicht für die Versuche, die Kategorie der "Auferstehung" schon in den Psalmen dingfest zu machen, oder für die sog. Vor-Bilder der Auferstehung in der Antwort Jesu an den Täufer (Mt 11,5), aber für den bemerkenswert unklaren Versuch, das "auferstanden von den Toten" aus 1 Kor 15 trotz Kritik an der sog. Entmythologisierung existential zu interpretieren (222). Alle Probleme, die sich in der heutigen Diskussion stellen, werden eskamotiert. Und was soll da "Die Auferstehung haben wir nicht als Faktum im Rücken, sondern als eine immer neue Erfahrung vor uns" (225) heißen?

Kurzum: Ein wichtiges Buch liegt vor, das sich in die Sprache der Bibel hineinversetzt, ihre Lernwege nachvollzieht, sie im Jetzt "wiederholt", niemand gängelt, Freiheit schenkt, Anregungen für den Schulalltag und für das eigene Leben und Denken anbietet. Aber auch ein Buch, das die neuere didaktische Diskussion in der Religionspädagogik einfach "wegläßt" und so z.B. die gesamte spannende Diskussion über religiöses Lernen im Horizont psychologischer Kategorien ignoriert. Und welches sind die Religionslehrer, die sich so wie der Vf. hineingraben in die Texte, Hören einüben, Stellung beziehen, sich selbst einbringen in die unterrichtlichen Vollzüge ?

Im übrigen empfing ich beim Lesen eine Fülle neuer Fragen und auch Einsichten, was das Verständnis bestimmter Stellen angeht, auch Predigteinfälle für den nächsten Sonntag. Nimm und lies kritisch, aber auch lernwillig.