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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

891–893

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Niethammer, Hans-Martin

Titel/Untertitel:

Kirchenmitgliedschaft in der Freikirche. Kirchensoziologische Studie aufgrund einer empirischen Befragung unter Methodisten.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995. 376 S. m. 32 Abb. u. 93 Tabellen gr.8o = Kirche und Konfession, 37. Kart. DM 88,-. ISBN 3-525-56541-0.

Rezensent:

Birgit Marchlowitz

In einer Zeit schwindender Mitgliederzahlen werden in der Volkskirche immer wieder Stimmen laut, die für die Evangelische Kirche eine neue Organisationsstruktur fordern. Insbesondere die Anhänger des missionarischen Gemeindeaufbaus konstruieren Modelle, die sich in ihren soziologischen Ausprägungen den Freikirchen anlehnen. Die empirische Studie N.s kann hier stellvertretend zu Rate gezogen werden, ob freikirchliche Strukturen für die Evangelische Kirche realiter eine Alternative darstellen können oder nicht.

Die Untersuchung gliedert sich in einen mehr theoretisch orientierten Teil, der anhand soziologischer Kriterien das Phänomen Freikirche umreißt, und in einen Auswertungsteil, der die aus einer Befragung gewonnenen Daten analysiert. Der über die Soziologie gewählte Ansatz eröffnet einen Zugang, Freikirche zunächst jenseits aller theologischen Fragestellungen organisationssoziologisch zu erfassen. In diesem Sinne präsentiert sich die Gestalt der Freikirche als Kirchenform der Moderne, geprägt von den spezifischen Konditionen des 19. Jh.s. Erst der gesellschaftliche Umstellungsprozeß einer funktionalen Differenzierung ermöglichte überhaupt die Bildung autonomer Organisationen, wie etwa der Freikirche (100). Typisch für solcher Art Organisationen ist die Zuweisung einer bestimmten Mitgliedschaftsrolle, gekennzeichnet von stetiger Teilnahme, intensiver Mitarbeit und der Bereitschaft zu hohem finanziellem Aufkommen. Diese - sonst doch eher als ungewöhnlich zu bezeichnende - Motivierung wird durch ein System bewußter Mitgliedschaftsaufnahme gestützt: Die Evangelisch-methodistische Kirche (EmK) differenziert zwischen sogenannten Kirchenangehörigen und Kirchengliedern; als Kirchenangehörige werden alle Getauften bezeichnet, als Kirchenglieder hingegen nur diejenigen, die sich dem Akt der Gliederaufnahme unterziehen (44 f.). Insofern bildet sich Kirchenmitgliedschaft nach methodistischer Auffassung über Entscheidungen, worin N. auch das Proprium der Freikirchen insgesamt gegenüber der Volkskirche erkennt.

Ziel der Studie ist dementsprechend die Untersuchung der spezifischen Handlungsformen freiwilliger Mitgliedschaft (100). Welche Einstellungen und Verhaltensweisen werden durch diese Art Rekrutierungsmodell gefördert bzw. behindert? Welche Normen erwachsen solchen Mitgliedschaftssystemen und wie werden die Erwartungen von den zur Kirche Gehörenden selbst definiert? (103) Diese und andere Fragen stehen im Hintergrund der im zweiten Teil ausgewerteten empirischen Erhebung. Die Basis der Feldstudie bildet eine repräsentative Stichprobenbefragung unter EmK-Mitgliedern der sogenannten "Süddeutschen Jährlichen Konferenz" (118). Die Auswertung gibt u. a. Einblick in aufschlußreiche Einzelergebnisse über Alters-, Bildungs- und Sozialstruktur der EmK sowie über Motive und Verbundenheitsgrad ihrer Mitglieder. Die Erhebung ist nicht zuletzt deswegen von Interesse, da ihre entscheidenden Ergebnisse mit anderen evangelischen und katholischen Umfragen verglichen werden. So kommt der Autor z. B. hinsichtlich des Gottesdienstbesuches zu folgendem Resultat: "Wie zu vermuten war, gleicht der Kirchgang der Freikirchler in der Praxis eher den katholischen Verhältnissen als den typisch protestantischen." (224)

Gleichsam als Zusammenfassung der Untersuchung kristallisieren sich für N. drei Mitgliedschaftstypen heraus: Einer gehobenen Alters, mit stark konventionellen Zügen, einer mittleren Alters, mit distanziertem Mitgliedschaftsverhalten, und einer jüngeren Alters. "Sein auffallendstes Merkmal ist wohl die markante Abwehr gegen alles, was Kirchenmitgliedschaft als bloße Konvention erscheinen ließe." (333) Gerade hinsichtlich dieses letzten Mitgliedschaftstypus formuliert N. Anfragen und Chancen bezüglich seiner Kirche, der er als Pastor angehört. Denn offensichtlich macht es der EmK zusehends Probleme, ihre Mitglieder aus der jüngeren Generation zu rekrutieren, was sich an ihrem 20% Mitgliederschwund zwischen 1968 und 1990 zeigt (335).

Der Lösungsansatz N.s gegen solche Tendenzen lautet ab-schließend: "Aus praktisch-theologischen Gründen wäre aber darüber hinaus auch eine Trennung des Akts formaler Aufnahme in die Kirche von dem theologischen Akt des Bekenntnisses des Glaubens bedenkenswert. Dies wäre als Anfrage an eine freikirchliche Dogmatik zu formulieren. Die Verbindung von Be-kenntnis und Kirchenmitgliedschaft scheint mir auch theologisch nicht ganz so zwingend zu sein, wie es in einigen methodistischen Entwürfen zur Ekklesiologie dargestellt wird." (360)

Diese Worte lassen aufmerken! Erstaunt es doch die Leserschaft, daß N. einerseits die freiwillige Mitgliedschaftsentscheidung zum Spezifikum der Freikirche erhebt, er sie andererseits - gleichsam durch die Hintertür - theologisch aufzuweichen versucht. In diesem Konflikt zeigt sich nun aber auch das Problem der Studie N.s: Führt doch sein Versuch einer rein soziologischen Betrachtung der Freikirche zu einer Entkoppelung der Theologie von ihrer konkreten Gestalt und damit letztlich zu ihrer Selbstauflösung.