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Ausgabe:

Mai/1996

Spalte:

499–501

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Maier, Gerhard

Titel/Untertitel:

Gemeindeaufbau als Gemeindewachstum. Eine praktisch-theologische Untersuchung zur Geschichte, Theologie und Praxis der 'church growth'-Bewegung.

Verlag:

Erlangen: Verlag der Ev.-Luth. Mission 1994. 320 S. 8o = Erlanger Monographie aus Mission und Ökumene, 22. Kart. DM 50,-. ISBN 3-87214-322-0.

Rezensent:

Eberhard Winkler

Wie der Begriff "Gemeindeaufbau" stammt auch das Programm des Gemeindewachstums aus der Äußeren Mission. Der Begründer von "Church-Growth" (=CG) D. A. McGavran stieß als Indienmissionar auf die Frage, welche Faktoren das Wachsen oder Schrumpfen von Gemeinden verursachen. Die Bedeutung dieser Frage für den missionarischen Gemeindeaufbau im eigenen Land drängte sich auf, als viele Kirchen in den USA der 60er und 70er Jahre einen Mitgliederschwund erlitten. In Deutschland und in anderen europäischen Ländern hängt das seit den 70er Jahren verstärkt erwachte Interesse am Gemeindeaufbau ebenfalls mit Schrumpfungsprozessen in den Kirchen zusammen. Trotz der sehr unterschiedlichen kirchensoziologischen Situation in den USA und in Deutschland lag es nahe, die Erkenntnisse und Impulse von CG auf ihre Übertragbarkeit für den Gemeindeaufbau in Deutschland zu prüfen. In der deutschen Fachliteratur wurde CG deshalb von Möller, Herbst u. a. gewürdigt, und für die Praxis gibt Ch. A. Schwarz die Zeitschrift "Gemeindewachstum" heraus. Hinsichtlich der theologischen Begründung des CG fällt das Urteil auch der dem Programm wohlgesinnten Praktologen kritisch aus. Um so wichtiger ist angesichts der schwierigen Situation in den deutschen Landeskirchen, daß die Praktische Theologie die Motive von CG ernstnimmt und mit positiver Zielstellung reflektiert.

Deshalb ist es zu begrüßen, daß diese Aufgabe mit der vorliegenden Heidelberger Dissertation (Ref. Th. Strohm) von 1992 durch einen im missionarischen Gemeindeaufbau engagierten Praktiker bearbeitet wird. Studienaufenthalte in den USA ermöglichten dem Vf. hilfreiche persönliche Kontakte und eine gute Kenntnis der hierzulande weithin unbekannten und schwer zugänglichen literarischen Quellen, deren reichliche Zitation im Urtext informativ ist, wenn auch um den Preis, daß die umfangreichen Anmerkungen den Lesefluß stören. Der Vf. leistet damit einen Beitrag dazu, das Defizit an Rezeption englischsprachiger Fachliteratur in der deutschen Praktischen Theologie zu verringern.

Die Arbeit ist klar aufgebaut. Im 1. Kap. werden "Grundlagen und Grundfragen im Gemeindeaufbau" vor allem anhand der deutschsprachigen Literatur skizziert, wobei der Vf. die Forschung bis 1991 auswertet und seine eigene Position erkennen läßt, die der von Herbst sehr nahekommt. Der Ort des Vf.s in der württembergischen Kirche bestimmt diese Position mit, indem der Vf. die Bejahung des missionarischen Gemeindeaufbaus nicht mit herablassender Kritik an der Volkskirche verbindet.

Das Kap. 2 schildert "Geschichte und Verbreitung von 'Church Growth'". McGavran, den Disciples of Christ zugehörig, wird als ein evangelikal gesinnter Praktiker dargestellt, dessen Interesse ganz den Aufgaben der Evangelisation galt und trotz seiner akademischen Tätigkeit wenig theologisches Profil zeigte und theoretische Mängel aufwies. Das Fuller Theological Seminary in Pasadena, Calif., wurde durch McGavran und P. C. Wagner zur wichtigsten Stätte der CG-Forschung und Ausbildung, und zugleich eine der bedeutenden Zentren evangelikaler Aktivitäten für Gemeindeaufbau und Evangelisation im weltweiten Rahmen. Die Beziehungen von CG zur evangelikalen Bewegung und das schwierige Verhältnis zur Genfer Ökumene werden deutlich. Maier beurteilt McGavrans mangelnde Dialogfähigkeit als erstaunlich und traurig (98).

"Theologie und Praxis von 'Church Growth'" werden im 3. Kap. weiter untersucht. Der Vf. findet nicht nur theologische Schwächen, sondern auch Mängel im Gebrauch der Sozialwissenschaften, die wegen der hohen Bedeutung der statistischen Aspekte ins Gewicht fallen. Maier macht die Mängel verständlich durch den geschichtlichen und gegenwärtigen gesellschaftlichen sowie kirchlichen Hintergrund, in dem Pragmatismus und Erfolgsdenken wichtig sind. Ekklesiologisch fällt auf, daß das Interesse ganz der empirischen, nicht der geglaubten, verborgenen Kirche gilt, aber auch, daß das Verhältnis von Kirche und Reich Gottes nicht reflektiert wird. Das positive Ziel, Menschen für den Glauben zu gewinnen, verdrängt den Aspekt, daß auch das Sterben zum Christsein und zur Existenz der Kirche gehört. Ein anderes Problem stellt McGavrans These vom "Homogeneous Unit-Principle" dar, nach der jeder Mensch die Möglichkeit erhalten soll, innerhalb seiner eigenen Gruppe, ohne Überschreitung kultureller und sozialer Barrieren, Christ zu werden: "without crossing barriers". Hier ist eine der wichtigsten Stellen, an denen sich die fehlende exegetische Begründung rächt.

Das 4. Kap. informiert nicht nur deskriptiv über "'Church Growth' in Deutschland", wie die Überschrift ankündigt, sondern enthält auch eine skizzenhafte Entfaltung des Haupttitels der Dissertation. Vom biblischen Verständnis des Wachstums aus plädiert der Vf. dafür, "Gemeindeaufbau - wenn nicht ausschließlich, so doch auch - als Gemeindewachstum zu verstehen" (252). Mit K. Barth versteht er darunter intensives und extensives Wachstum. Aus der Beziehung von Christologie und Ekklesiologie folgt eine Relativierung des Wachstumsmotivs: Sterben und Wachsen sind "als theologisch-ekklesiologische Kategorien und Kriterien geltend zu machen" (261).

Die zusammenfassende Würdigung fällt kritischer aus, als nach der wohlwollenden Darstellung zu erwarten war, aber die Kritik ist begründet. Mission versteht McGavran in einseitiger Weise als Evangelisation, nicht im umfassenden Sinn der Missio Dei. Der Wachstumsgedanke wird in biblisch nicht fundierter Weise zum Regens gemacht und teilweise gesetzlich gebraucht. Der ekklesiologische Ansatz reduziert die Bedeutung der Sakramente so, daß Maier urteilt: "Letztlich... ist 'Church Growth' asakramental" (277). Wegen der Herkunft aus der Äußeren Mission und den USA bietet CG "wenig Hilfe, unsere volkskirchliche Vergangenheit und/oder (nach)volkskirchliche Gegenwart zu verstehen" (276). Trotzdem hält der Vf. - m. E. mit Recht - daran fest, daß die Metapher des Wachstums im qualitativen und quantitativen Sinn als Motiv für die Gemeindepraxis aufzunehmen ist. Wer wie der Rez. dem Vf. darin zustimmt, daß die fundamentalen Themen "Christwerden und Christsein" auf der Tagesordnung stehen, wird dieses Buch als seriösen Beitrag zur praktischen Ekklesiologie begrüßen.