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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

754 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Habisch, André

Titel/Untertitel:

Autorität und moderne Kultur. Zur Interdependenz von Ekklesiologie und Staatstheorie zwischen Carl Schmitt und James M. Buchanan.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1994. XII, 282 S. gr. 8o. ISBN 3-506-73603-5.

Rezensent:

Gerhard Robbers

Dies ist eine Arbeit, die kritischer Auseinandersetzung würdig ist. Die bei Peter Hünermann entstandene Dissertation widmet sich einem anspruchsvollen, ja gefahrvollen Thema: der Parallelität, thesenhaft: Interdependenz, zentraler Kategorien der Staatslehre und der Ekklesiologie im 19. und 20. Jh. Das primäre Erkenntnisinteresse gilt der Sache und dem Begriff Autorität. Dazu wird nach methodischen Vorbemerkungen die Staatsrechtslehre des 19. Jh.s, sodann besonders die von C. Schmitt analysiert, um in einem zweiten Teil zu näherer Betrachtung der Autoritätsbegründung bei F. A. v. Hayek und J. Buchanan zu kommen. Der dritte Teil ist der Interdependenz von ekklesiologischer und staatstheoretischer Begrifflichkeit im katholischen Lehramt und in der katholischen Theologie gewidmet.

Die Arbeit gelangt zu der These, daß Autorität in der Moderne nicht mehr abstrakt-substanzhaft als (personifiziertes) "Ge-genüber" zu den Adressaten zu begreifen sei, sondern prozeßhaft durch kollektive Anerkennungsprozesse vermittelt werde, die die freie Subjekthaftigkeit beider Partner voraussetze. Dazu gehöre ein Freiheitsbegriff, der sich nur in und durch Selbstbindung realisiert. Die Interdependenz der Autoritätsbegriffe in der Staatslehre und in der Ekklesiologie wird wesentlich im Telos dieses Autoritätsbegriffes gefunden, nämlich Einheit des Gemeinwesens zu wahren.

In der Tat ist für die Staatsrechtslehre des 19. und frühen 20. Jh.s Einheitsbildung ein zentrales Grundmuster der Theoriebildung, und es ist überaus begrüßenswert, daß auch von theologischer Seite dieses selbst in der gegenwärtigen Staatsrechtslehre nicht stets bewußte Moment deutlich erkannt wird.

Gerade von hier aus hätte aber nahegelegen, neben Schmitt auch dessen mindestens ebenso einflußreichen Weggefährten und Antipoden R. Smend in die konkrete Analyse einzubeziehen, zumal Smend als Kirchenrechtler und Kirchenrechtstheoretiker eine weitere personale Brücke zwischen Ekklesiologie und Staatslehre darstellt. Daß Smend, anders als Schmitt, Protestant war, verschlägt nicht, zumal H. durchaus protestantische Autoren wie F. J. Stahl heranzieht. Überhaupt bleibt die Auswahl der in die Analyse einbezogenen Staatsrechtslehrer Anlaß zu Rückfragen. Gewiß sind alle berücksichtigten Autoren: neben den genannten etwa noch R. v. Mohl, C. S. Zachariae, W. E. Albrecht, C. F. v. Gerber, P. Laband und O. v. Gierke für die Staatsrechtslehre und für die konkrete Fragestellung der Autorität in der Staatstheorie von zentraler Bedeutung. Dies sind aber etwa auch G. Jellinek, H. Kelsen oder H. Heller. Daß alle näher betrachteten Theoretiker, wie H. darlegt, handlungsleitende Kategorien für die politischen Eliten ihrer Zeit zur Verfügung gestellt und so gesellschaftliche Wertvorstellungen selbst auch mit beeinflußt haben, ist richtig; der Korrektur bedarf die Behauptung, daß sie selbst nicht in politischer Verantwortung gestanden hätten, zumindest für F. J. Stahl, der führendes Mitglied der Hochkonservativen in der Ersten Kammer Preußens und im Erfurter Unionsparlament war, v. Mohl, der Abgeordneter der Zweiten Badischen Kammer, der Frankfurter Nationalversammlung und des Reichstags war. C. F. v. Gerber endlich war 20 Jahre lang sächsischer Justizminister.

Dies sind freilich eher Petitessen gegenüber der sorgfältigen Sachanalyse und dem notwendig kurzen, dafür prägnanten und kräftigen Zugriff auf die für das Thema zentralen Werkzusammenhänge.

Eine weitere Beschränkung der Auswahl weist auf Desiderata der weiteren Forschung: in kluger Selbstbeschränkung konzentriert sich die Arbeit auf deutsche oder von deutscher Theorie geprägte Autoren. Für eine Ekklesiologie, zumal einer Ekkleselogie der katholischen Kirche, werden weitere Bausteine zu sammeln sein. Die internationalen Rezeptionsstränge der Staatstheorie im Vorkriegseuropa sind sehr viel deutlicher und einflußreicher als H. konstatiert, auch zwischen anglo-amerikanischen und kontinental-europäischen Theorien.

Insgesamt also eine Arbeit, die den interdisziplinären Dialog in solider Sachlichkeit fördert, die neue Fragen aufwirft und in alten dezidiert und fruchtbar Stellung nimmt.