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Ausgabe:

November/1998

Spalte:

1096–1098

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, Andreas

Titel/Untertitel:

Augustins Schrift "De utilitate credendi". Eine Analyse.

Verlag:

Münster: Aschendorff 1997. IX, 497 S. gr.8 = Münsterische Beiträge zur Theologie, 58. Kart. DM 118,-. ISBN 3-402-03963-X.

Rezensent:

Kurt Flasch

Bei diesem Text handelt es sich um die überarbeitete Fassung einer Dissertation, die 1991 von der Katholisch-Theologischen Fakultät Münster angenommen worden ist. Die ursprüngliche Fassung enthielt aber auch den lateinischen Text und die deutsche Übersetzung von De utilitate credendi, die 1992 als Band 9 der Fontes Christiani bei Herder in Freiburg erschienen sind. Ich werfe daher zunächst einen Blick auf diese Publikation:

Sie bringt den lateinischen Text nach Zycha CSEL 25/1 und weicht von ihm, wie es in einer kryptischen Formulierung heißt, "nur in dringenden Ausnahmefällen ab". "Trotz offenkundiger Mängel ist der textkritische Apparat von Zycha übernommen" (75). Diese Worte sind zu wägen: Da werden insgesamt 700 Seiten Text produziert, durchaus mit philologischer Kompetenz, aber der kurze Traktat Augustins selbst wird nicht kritisch neu ediert, sondern es wird ein Mischtext geboten mit durchaus plausiblen Konjekturen. Eine günstige Gelegenheit, einen kritischen Text zu bieten, ist vertan. Dies ist zunächst einmal eine Frage an die Herausgeber der Fontes Christini. Aber es ist auch eine Frage an den Autor. Er verheddert sich aufgrund seiner schlechten Textbasis.

Dafür ein Beispiel: In dem Mischtext der Fontes (c. 35 p. 184, 6-8) steht: etiam vulgus marium feminarumque in tam multis diversisque gentibus et credit et praedicat. Eine Anmerkung schreibt, in "allen Handschriften" (Wirklich in allen? Welche wurden eingesehen?) steht gentibus, generibus sei ein "Druckfehler oder eine nicht ausgewiesene Konjektur Zychas (185 A. 82, aber in der Dissertation lesen wir 428 ohne die Spur einer Begründung wieder "generibus". Der Autor hält sich selbst nicht an seine - einleuchtenden - Korrekturen des Textes von Zycha.

Enttäuscht der lateinische Text, so überzeugt die Übersetzung durch Sorgfalt und Sprachsinn. Hoffmann nennt seine Übersetzung im Anschluß an M. Fuhrmann eine "zielsprachenorientierte Übersetzung", und diese Entscheidung ist zu begrüßen. Es gibt, finde ich, nicht viele Schriften Augustins, die in einer so angemessenen Weise ins Deutsche übersetzt worden sind; hier profitiert der Vf. von seiner philologischen Kompetenz und von den Vorarbeiten von Hensellek und Schilling.

Der Band in den Münsterischen Beiträgen zur Theologie nennt sich "eine Analyse". Unter dem Titel "Erster Teil: Einleitungsfragen" handelt der Vf. zunächst von Autor und Adressat, Abfassungszeit und Anlaß, Intention und Gliederung der Schrift. Für die Abfassungszeit bleibt es bei 391/392, mit leichter Bevorzugung des erstgenannten Jahres. Das heißt: De utilitate credendi steht in nächster Nähe zu so wichtigen Schriften wie De vera religione, auch zu De magistro. Das Buch ist geschrieben, um einen Studienfreund Honoratus, den Augustin zuvor für den Manichäismus geworben hatte, wieder zur katholischen Kirche zurückzubringen.

Der zweite und der dritte Teil von H.s Buch bilden die eigentliche "Analyse". Sie bringen einen sorgfältig paraphrasierend-kommentierenden Durchgang durch Augustins Text, in klarer Sprache, ohne frommes Gesäusel. Da geht es um die Kritik der Manichäer am Alten Testament und um Augustins Antwort auf diese Kritik, die bekanntlich in der allegorischen Methode besteht. In der Konfrontation Augustins mit den Manichäern liegt eine starke Seite des Buches, wobei auffällt, welchen Gewinn der Autor aus der Arbeit von F. Trechsel zieht: Über den Kanon, die Kritik und Exegese der Manichäer. Ein historisch-kritischer Versuch, Bern 1832 (!).

Das Hauptproblem erörtert der dritte Teil: Der "Nutzen" oder die Notwendigkeit des Glaubens - gegen das manichäische Versprechen, mit Vernunft allein das Christentum einzuführen. Dagegen zeigt Augustin, daß "Glauben" eine Voraussetzung des alltäglichen Lebens ist; eine generelle Ablehnung jeder Art von "Glauben" ist daher unvernünftig. Man kann nicht jemandes Freund sein, ohne ihm zu "glauben". Den Übergang zum christlichen "Glauben" nimmt Augustin mit folgendem Argument:

Wenn wir dem Vertreter einer Religion versichern, wir suchten ernsthaft die wahre Religion, dann erwarten wir, daß er uns das glaubt. Ebenso müsen wir ihm Glauben schenken. Das Argument verwickelt sich durch die schroffe Unterscheidung der Wenigen von den Vielen: Nur wenige Menschen sind fähig, selbst die Wahrheit zu finden. Wer dazu nicht fähig ist - die Mehrheit der stulti - muß sich durch Glauben an das Wort der Religionsvermittler zur Einsicht erst fähig machen. Augustin sieht die Gefahr, daß die Weisen den Glauben nicht brauchen. Er beugt ihr durch das Argument vor, auch sie müßten im Interesse der Gemeinschaft erst glauben, bevor sie zur Einsicht gelangen. Immer setzt Augustin voraus, selbständige Einsicht sei die höhere Erkenntnisstufe gegenüber dem "Glauben"; insofern ist sein "Intellektualismus" (391) noch ungebrochen. Ein Blick auf die Retractationes zeigt, daß Augustin diese Position nicht durchgehalten hat (450-454).

H.s Durchgang durch Augustins Schrift achtet auf Argumentation und Stil gleichermaßen. Auf die späteren Disziplinentrennungen von Philosophie und Theologie läßt er sich nicht ein. Seine "Analyse" zieht Vorteil und Nachteil aus ihrer Textnähe. Eine eigentlich genetische Analyse kommt nur punktuell zustande. Zuweilen - etwa bei der Verteidigung des Alten Testaments durch die allegorische Methode oder bei der Möglichkeit, daß Einzelne auch ohne Glauben zu Gott kommen - hätte man sich schon gewünscht, der Autor hätte einmal aufgeblickt und sich gefragt, was da eigentlich steht. Gelegentlich läßt der Autor durchblicken, daß er die intellektuelle Welt Augustins für vergangen hält. Aber darüber würde der Leser gerne etwas mehr finden.

Störend ist auch, daß die Einleitung zu dem Fontes-Band oft wörtlich genau die Abhandlung resümiert. Hätte es nicht nahegelegen, einmal zusammenhängend den Ort von De utilitate credendi im Kontext der zeitnahen Schriften Augustins zu beschreiben? Im übrigen finde ich es eine Frage des Geschmacks und des Selbstbewußtseins, den Doktorvater so abundant zu zitieren wie es hier geschieht (66 mal, dafür kommt ein Gelehrter wie Solignac nur zweimal vor). Meine altehrwürdigen Professoren hätten sich das kalt verbeten und mir die Arbeit wegen Personenkult zur Umarbeitung zurückgereicht.