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Ausgabe:

September/1997

Spalte:

852 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Grote, Christof

Titel/Untertitel:

Ortsgemeinden und Diakoniestationen. Überlegungen zur diakonischen Gemeinde anhand der Arbeit der Diakoniestationen.

Verlag:

Bielefeld: Luther 1995. 227 S. 8. Kart. DM 38,-. ISBN 3-7858-0360-5.

Rezensent:

Volker Herrmann

Das Verhältnis von Kirchengemeinde und Diakonie vollzieht sich in der Praxis selten ohne Spannungen oder Probleme. Das häufig benutzte Schlagwort der "diakonischen Gemeinde" kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die Wirklichkeit diakonischer und gemeindlicher Einrichtungen und Aktivitäten auch als wechselseitige Entfremdung oder gar Isolierung beschreiben läßt. Diese Situation, die von G. als Resultat einer Fehlentwicklung gekennzeichnet wird, stellt den Ausgangspunkt seiner Un-tersuchung dar. Dabei handelt es sich um seine (leicht überarbeitete) Heidelberger theologische Dissertation (1994), die von Theodor Strohm betreut wurde.

G. geht es darum, aufzuzeigen, "welche Chancen wechselseitiger Bereicherung sich sowohl den Gemeinden als auch der Diakonie mit ihren Einrichtungen bieten, wenn es gelingt, das Verhältnis zwischen beiden neu zu gestalten." (9) Dies ge-schieht in exemplarischer Weise für den Arbeitsbereich der Diakoniestationen. Zugleich hat G. den Blick vornehmlich auf die Situation in der Evangelischen Kirche von Westfalen gerichtet. Dem Autor ist hier nicht zuletzt sein (Sonder-)Vikariat in der westfälischen Landeskirche sowie besonders im dortigen gliedkirchlichen Diakonischen Werk von Vorteil gewesen. G.s Er-gebnisse besitzen jedoch auch über Westfalen hinaus Bedeutung. Denn die Problematik einer eingeschränkten Interaktion zwischen Kirchengemeinde und Diakoniestation ist weder regional noch konfessionell begrenzt, sondern besteht bundesweit und kennzeichnet in ähnlicher Weise auch die Einrichtungen in katholischer Trägerschaft.

Die Studie gliedert sich in sieben Abschnitte. Im ersten Kapitel stellt G. im Sinne einer Einleitung das Verhältnis zwischen Diakoniestationen und Ortsgemeinden als Konkretion der Frage nach der Vernetzung von Gemeinde und Diakonie insgesamt dar. Die drei folgenden Kapitel behandeln die Entstehung der Diakoniestationen (aus der Gemeindekrankenpflege), die Ge-staltung ihrer Arbeit, d. h. ihre rechtlichen, finanziellen und or-ganisatorischen Vorgaben, sowie die direkt beteiligten Personen (professionelle und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, pflegende Angehörige, Patientinnen und Patienten). In diesen Abschnitten hat G. erstmals für den Themenkreis eine große Material- und Literaturfülle (insbesondere ,graue' Literatur) zusammengetragen und bearbeitet. Hier liegt ein besonderes Verdienst des Buches.

Dabei zielt G. gerade nicht darauf ab, einen Leitfaden für den Betrieb einer Diakoniestation zu erarbeiten, ansonsten wäre der sozialpolitische Fragenkreis stärker zu berücksichtigen gewesen. Man mag bedauern, daß sich G. in diesem Zusammenhang mit Hinweisen begnügt. Doch muß zugestanden werden, daß seine Arbeit angesichts der aktuellen sozialpolitischen Entwicklungen (insbesondere in der Pflegeversicherung) inzwischen überholt wäre.

Die drei folgenden Abschnitte widmen sich den möglichen Verflechtungen von Ortsgemeinden und Diakoniestationen. G. stellt zunächst einige allgemeine Überlegungen zur Gemeindediakonie an. Er betont die Bedeutung der "Gemeinde als Ort von Gemeinschaft", die "von ihrem Wesen her nicht ohne Diakonie und ohne Einbeziehung dieser Diakonie in ihr alltägliches Sein existieren" (117) kann. Anschließend untersucht G. eine Reihe von Konzepten des Gemeindeaufbaus im Hinblick auf mögliche Perspektiven der Verknüpfung von Gemeindeaufbau und -wirklichkeit sowie lokaler Diakonie einerseits und auf die konkrete Berücksichtigung der Arbeit von Diakoniestationen andererseits.

Eine adäquate Berücksichtigung von Diakonie als Element gemeindlicher Wirklichkeit, in der dann auch die Diakoniestation in ihrem Beziehungsgeflecht mit der Kirchengemeinde verortet werden könnte, findet G. jedoch nicht. Er macht damit sehr deutlich darauf aufmerksam, daß Diakonie als Grunddimension christlicher Gemeinde immer noch nicht ausreichenden Stellenwert in den Konzepten des Gemeindeaufbaus einnimmt. Diese Lücke wird durch G.s Arbeit nicht geschlossen, dies war auch nicht seine Absicht. Doch deutet er wenigstens für die Relation zwischen Ortsgemeinden und Diakoniestationen im abschließenden Kapitel in grundsätzlichen Erwägungen und ersten Gestaltungshinweisen an, wie diese in kooperativer und kreativer Zusammenarbeit mehr für- und miteinander leisten können.

Die vorliegende Studie stellt einen Beitrag zum Thema Diakoniestation dar, dem gerade angesichts der sozialpolitischen Entwicklungen eine weiterreichende Bedeutung zukommt. Stehen die Diakoniestationen aktuell vor neuen Herausforderungen, so wird hier auf die bleibende Verbindung mit dem Auftrag der (Orts-)Gemeinde hingewiesen. Auf die Konzepte von Ge-meindeaufbau bezogen weist G. auf Versäumnisse hin. Die theologische Diskussion um das Verhältnis von Ortsgemeinden und Diakoniestationen wird mit dieser Arbeit nicht abgeschlossen, findet hier aber eine Zwischenbilanz als Basis für weitere Überlegungen.