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Ausgabe:

September/1997

Spalte:

851 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Ebeling, Gerhard

Titel/Untertitel:

Predigten eines "Illegalen" aus den Jahren 1939–1945.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1995. IX, 167 S. kl.8. Pp. DM 39,-. ISBN 3-16-146371-4.

Rezensent:

Reinhold Mokrosch

Pünktlich zum 50. Jahrestag des Kriegsendes erschien eine homiletische Rarität: Gerhard Ebelings Predigten aus den Kriegsjahren 1939-1945. Lange hatte der heute 85jährige Theologe trotz des intensiven Drängens seiner Schüler, Freunde und Verleger gezögert, wenigstens einige seiner Predigten zu edieren, die er als Referent und Pfarrer des Brandenburgischen Bruderrates in der Bekenntnis-Gemeinde Berlin-Hermsdorf gehalten hatte. Es entspricht nicht seiner Theologie, Predigten zu historischen Zwecken zu veröffentlichen. Um so mehr ist ihm zu danken, daß er sich dennoch hat überreden lassen. Die über ein halbes Jahrhundert alten, auf das jeweilige Tages-Kriegsgeschehen antwortenden Homilien lesen sich keineswegs nur als historische Dokumente, sondern als auch heute noch stärkende und tröstende Glaubenszeugnisse. Die existenz-theologisch ausgerichtete Theologie Ebelings entfaltet eben auch auf homiletischer Ebene eine zu jeder Zeit gültige existentielle Kraft. Die Lektüre ist ein Erlebnis.

Dazu trägt die bewegende Biographie des jungen Theologen, D. Bonhoeffer-Schülers und Sanitätssoldaten Ebeling bei, der seit seinem Vikariat in Crossen a. d. O. und Fehrbellin zu einem kompromißlosen, wichtigen Vertreter der Bekennenden Kirche in Berlin-Brandenburg geworden war: 1935 und 1938 hatte der damals 23/25jährige seine beiden theologischen Examina vor dem Prüfungsamt des Bruderrates der Bekenntnissynode Berlin-Brandenburg abgelegt, mit 26 Jahren promovierte er und im gleichen Jahr wurde er von Präses Scharf ordiniert. Der Bruderrat ernannte ihn daraufhin zu seinem Referenten, was mit intensiver Reisetätigkeit verbunden war, und übergab ihm die Leitung der abgespaltenen Hermsdorfer Bekenntnis-Gemeinde. "So zählte ich", schreibt er im Vorwort, "in doppelter Hinsicht zu den Illegalen": Er hatte ein ,illegales' Examen abgelegt und war in einer staatlich und offiziell-kirchlich nicht anerkannten Gemeinde Pfarrer geworden. Gottesdienste und Predigten hielt er mit der kleinen Gruppe bekennender Hermsdörfer in einer Baracke. Kirchen waren ihm verschlossen. Oft wurde er vom Fliegeralarm unterbrochen. Zeit zur Vorbereitung fand der junge Sanitäter, der ständig bei seiner Truppe weilen mußte, manchmal nur im Luftschutzkeller. Aber gerade deshalb predigte er so zeitnah. - So sind die Kriegs- bzw. Antikriegspredigten des 27-33jährigen G. Ebeling historische Zeugnisse christlichen Glaubenswiderstandes gegen die satanische NS-Diktatur und zugleich eine aktuelle Aufforderung, auch heute gegen Barbarei wachsam zu sein und aus Glauben Gottes Frieden weiterzugeben. Einige Beispiele mögen das belegen:

Am Ostersonntag 1939 (9. April) predigte der ,illegal' Ordinierte in der Hermsdorfer Baracke über Ps 118 ("Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten"). Der Siegesschrei über die März-Besetzung der Tschechoslowakei und die Heimführung des Memelgebiets ins Reich gellte an diesem Osterfest noch hörbar durch Berlin. Der junge Prediger hielt solchem ,fleischlichen Sieg durch Gewalt' ,Jesu geistlichen Sieg durch Kreuz und Auferstehung' entgegen. Und er rief den angeblichen Siegern, die nur wenige Kilometer entfernt im Führerhauptquartier saßen, entgegen: "Ihr seid nicht Sieger, die ihr die Waffengewalt habt. Ihr seid nicht Sieger, die ihr mit allen Mitteln auch über die Seelen zu herrschen sucht. Ihr seid nicht Sieger, die ihr die Macht habt, aus Unrecht Recht zu machen. Jesus ist Sieger!" (6). Er predigte auf der Grundlage der Barmer Theologischen Erklärung, besonders der 4. und 5. These, - mutig, klar und couragiert. Freilich könnte man heute einwenden, er hätte noch mutiger formulieren sollen. So wie D. Bonhoeffer. Und man könnte sich bestärkt fühlen durch seine eigene Selbstkritik im Nachwort, wo er schreibt: "Es gab damals sprachlich bessere, theologisch reifere und, was den Zeitgeist betrifft, auch mutigere Predigten" (163). Aber ich gestehe, tief beeindruckt zu sein von dem konkreten Mut, den der junge Ebeling schon damals aus Luthers Unterscheidung zwischen Reich Gottes und Reich der Welt, Geist und Fleisch, spiritus und littera geschöpft hatte. Die Trostpredigten sind Widerstandspredigten - damals und heute.

Als weitere Beispiele verweise ich auf die Homilien kurz nach Kriegsausbruch: Am 3. 09. 39 beschreibt der 27jährige die "Todeslinie" (14), die jetzt allen nähergerückt sei, den "Haß aller gegen alle (in der) Welt" (21), und bekennt eindrucksvoll, "daß Krieg und Kriegsgeschrei ein Zeichen dessen sind, daß sich das Ende naht." (20) Sah er mit dem Kriegsbeginn das von Gott gesetzte ,Ende' der NS-Herrschaft voraus? - Zwei Wochen später ignoriert er bewußt alle sog. Kriegserfolge: "Wer an der Logik klebt, daß er sagt: ...Wir haben gesiegt, also ist Gott sichtbar mit uns, über dem steht (Gottes) Botschaft: ...Du Narr! Ich offenbare mich nicht... in euren Siegen, sondern allein im Kreuz Jesu Christi." (50) Und er tröstet seine Gemeinde: "Gott wird es nicht zum Äußersten kommen lassen" (36) und fordert sie auf, sich Gottes Sorge anzuvertrauen: "Er sorgt wirklich für euch!" (33).

Es ist faszinierend, wie der junge Ebeling Gottvertrauen stärkt und gleichzeitig zu äußerster Wachsamkeit gegen die Na-ziverführer aufruft. Weltabgewandte christliche Schneckenhausmentalität angesichts der Diktatur liegt ihm fern. Gottes Reich, dessen Nähe er trotz des grauenhaften Krieges verkündigt, ist für ihn Gabe und Aufgabe.

Die vielen Bibel- und Gesangbuchzitate mögen manchen be-fremden. Sicherlich kann man heute so nicht mehr predigen. Ich empfinde sie aber als enorm aussagekräftig in der damaligen Situation. Die Predigtsammlung ist ein Schatz. Sie eröffnet Einblicke in das Leben bekennender Gemeinden während des Krieges und sie lehrt Gottvertrauen in grausamer Zeit.