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Ausgabe:

Mai/1996

Spalte:

492 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Conrad, Joachim

Titel/Untertitel:

Richard Gölz (1887–1975). Der Gottesdienst im Spiegel seines Lebens.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1995. 355 S. m. Notenbeispielen und ll Abb. gr.8o = Veröffentlichung zur Liturgik, Hymnologie und theologischen Kirchenmusikforschung, 29. Kart. DM 88,-. ISBN 3-525-57192-5.

Rezensent:

Gustav A. Krieg

Das 20. Jh. hat eine Fülle liturgischer Erneuerungsbestrebungen hervorgebracht. Gerade sehr bekannte unter ihnen - nicht zuletzt die Bestrebungen zwischen den Weltkriegen mit ihrer historischen und volkskirchlichen Langzeitwirkung - bilden aber nicht unbedingt ein Ruhmesblatt in der Geschichte des evangelischen Gottesdienstes. Zu groß waren z.T. ihre ideologischen und (kirchen)politischen Verstrickungen. Zu den bemerkenswerten Ausnahmen gehört die Kirchliche Arbeit von Al-pirsbach mit Richard Gölz als einem ihrer Protagonisten: Hier finden sich - besonders unter dem Einfluß der Barth-Schule gewonnene - theologisch-klare Konturen gegenüber dem un-verhohlenen Mystizismus mancher anderer "Bewegungen" der Zeit und politische Hellsichtigkeit gegenüber völkischem Nebel.

Bei aller Anerkennung seiner kirchenmusikalischen Meriten ist Gölz liturgiegeschichtlich allerdings bis heute eine unbeachtete Gestalt geblieben, vielleicht deswegen, weil er mehr theologischer Praktiker als Wissenschaftler war, vielleicht aber auch, weil er sich - seit seinem Übertritt zur Orthodoxie 1949 und seiner späteren Tätigkeit als orthodoxer Priester in Deutschland und den USA - auf spektakuläre Weise der liturgischen Nachkriegs-Restauration entzog.

Umso erfreulicher ist, daß J. Conrad eine umfassende Darstellung seiner Biographie und seiner liturgischen Reflexion ge-liefert hat. Anhand reichen (publizierten wie bislang unveröffentlichten) Materials dokumentiert C. zunächst Gölz' Werdegang, über die Gründung der Alpirsbacher Arbeit (46 ff), seine Rolle in der Bekennenden Kirche bis zu seiner Auswanderung in die USA. Der zweite Teil dokumentiert Gölz' liturgische Äußerungen (130 f) mitsamt ihren kirchenmusikalischen Implikationen (l50 f) und ihrer Verortung in der Dialektischen Theologie - etwa gegenüber der Hochkirchlichen Bewegung oder den Berneuchenern (180 f).

Mit Absicht bezeichnet Rez. im vorigen die Arbeit C.s als "Dokumentation" von Gölz' Vita und Denken; denn sie bleibt in der Tat auf weite Strecken eine - möglicherweise sogar zu umfassende (vgl. 308-310) - Quellen-Referierung, wie denn die Erarbeitung des historischen Umfeldes von Gölz' Vita gelegentliche Flüchtigkeiten aufweist (so liest man durchweg "glagolithisch") und neuere liturgiewissenschaftliche Literatur so gut wie nicht hinzugezogen worden ist. Entsprechend gewichtslos bleibt C. in seinen eigenen Reflexionen, so daß mitunter die Aussagen der Quellen und die des Autors kaum zu unterscheiden sind 8und auch C.s Urteil über manche Weggefährten von Gölz gerade in ihren kirchlich-politischen Wirrungen eigentümlich konturlos bleibt). Auch die jeweiligen "Zwischenergebnisse" des Autors (etwa 178 f, l98 ff usw.) wirken partiell eher wie Neu-Beschreibungen des Befundes, wenn nicht wie Beiträge zu einer Gölz-Hagiographie (bes. 278 f).

Dennoch ist das Buch als Sichtung der Quellen wichtig. Es bestätigt einmal mehr - vor allem in seinem ersten Teil - das z.T. beklemmende Lancieren der Amtskirche zwischen theologischer Verpflichtung und kirchenpolitischer Taktik in der NS-Zeit und ihre bisweilen hilflose Reaktion gegenüber ihren "Propheten". Die Arbeit macht darüberhinaus auch eine eigenwillige Gestalt der neueren Gottesdienstgeschichte lebendig, deren Position es - auf Dauer gesehen - möglicherweise verdient hätte, noch in einen dichteren Dialog mit gegenwärtigen Gottesdienstfragen gestellt zu werden.