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Ausgabe:

November/1998

Spalte:

1094–1096

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Heintz, Florent

Titel/Untertitel:

Simon "Le Magicien". Actes 8,5-25 et l’accusation de magie contre les prophètes thaumaturges dans l’antiquité.

Verlag:

Paris: Gabalda 1997. V, 179 S. m. 2 Abb. gr.8 = Cahiers de la Revue Biblique, 39. ISBN 2-85021-104-4.

Rezensent:

Marco Frenschkowski

Die Forschung zu der schillernden Gestalt des Simon Magus hat sich vor allem um einen traditionsgeschichtlichen Ausgleich zwischen dem dürren, polemischen Bericht der Acta und den widersprüchlichen, komplexen Angaben der Kirchenväter bemüht, die in Simon einen Erzhäretiker und Vorvater der Gnosis sahen. Heintz geht in seiner bemerkenswerten Arbeit (zu der Etienne Trocmé ein knappes Vorwort beigesteuert hat) einen methodisch anderen Weg. Er versucht eine präzise Analyse der rhetorischen Topoi, anhand derer Lukas seine Darstellung der Samaritanermission und besonders den Gegensatz Philippus - Simon gestaltet.

In einem Einführungsteil (1-29) resümiert der Autor die patristischen Simontraditionen (Justin, apol. I, 26, 1-3; 56, 1; Irenäus, adv. haer. I, 23, 2-4; Hippolytos, ref. omn. haer. VI, 7, 1; Petrusakten; Pseudoklementinen u.a.) und ihre moderne Problematisierung und umreißt die Methodik seines eigenen Ansatzes. Ein erstes Kapitel (30-54) skizziert antike Konzepte und Bilder von Magie vor allem in der rhetorischen Invektive, also der "Schmährede", die zum Repertoire des antiken Rhetorikbetriebes gehört, sowie die Magievorwürfe "contre les prophètes thaumaturges". Diesen letzteren Sammelbegriff führt H. ein, um die problematische Benennung Theios Aner zu vermeiden, hätte aber etwas klarer darüber Rechenschaft geben können, daß jener nicht weniger als diese moderne, metasprachliche Kurzformel für eine durchaus differenzierte Gruppe antiker homines religiosi ist. Sein Bild der Invektive verdankt H. weithin dem wichtigen Buch von S. Koster, Die Invektive in der griechischen und römischen Literatur, Meisenheim a. Glan 1980 (ein forensisches Beispiel ist Ciceros Rede In Pisonem).

Die so umrissene Rhetorik der Diffamierung wird dann in einem 2. Kapitel (55-101) nach einem kurzen Überblick über das antike rhetorische und historiographische Material (55-69) exemplarisch an zwei ausführlichen Textanalysen vorgeführt: an dem Bericht des Diodorus Siculus (XXXIV) über den sizilianischen Sklavenkönig Eunus von Apamäa (69-85), einen Propheten der Dea Syria und Zeitgenossen der frühen Makkabäer (der in manchem mit den Messiasprätendenten der jüdischen Kriege verglichen werden kann), und weiter an Passagen des Josephus (bell. II, 261-263; ant. XX, 169-172) über den auch aus Acta 21,38 bekannten "Ägypter", einen Zeichenpropheten, in dem H. gegen Hengel keinen Messiasprätendenten sieht (99f.). Dabei stellt sich eine durchgehende, aus rhetorischer Schultradition stammende Topik heraus, die beide Autoren zur Diffamierung des Eunus bzw. des "Ägypters" in Anwendung bringen (143).

Der Magievorwurf im engeren Sinn dient der Bestreitung der sozialen Legitimität von behaupteten Wundern. Der durch den Magier erzeugte stupor relativiert seine Glaubwürdigkeit; die Motive der Megalomanie und Arroganz desavouieren ihn ethisch, ebenso die angeblich von dem Magier beanspruchte Göttlichkeit und die ihm vorgehaltene sittliche Zügellosigkeit und Geldgier. Zuletzt erweist sich der Thaumaturg als illegitimer Magier dadurch, daß ihn göttliche Strafe trifft. Speziell der Diskreditierung seiner Wunder dienen wiederum der Magievorwurf im engeren Sinn, das Verschweigen und schließlich die Karikierung bzw. der Vorwurf des taschenspielerischen Betrugs (101). Diese Analyse trifft sich mit der mittlerweile verbreiteten sozialanthropologischen Erkenntnis, daß sich Magie und Religion nicht so sehr durch ihren Inhalt, sondern eher durch ihren sozialen Ort unterscheiden und der Magievorwurf der sozialen Abgrenzung dient. Gerade die "prophètes thaumaturges sont, dans l’Antiquité, les individus les plus vulnérables à l’accusation de magie" (45). Die Magie-Diffamierung ist eine Art "Anti-Aretalogie" (47). Problematischer scheint mir der Gedanke, aus rhetorischen Invektiven lasse sich via negationis eine vorausgesetzte Eulogie erschließen. Elymas Bar-Jesus (Acta 13,6-12) z. B. habe in Wahrheit die Titel "Magos" (im nicht-peijorativen Sinn) und "Prophet" beansprucht (59). (Eunus dagegen habe sich - gegen K. R. Bradley - nicht als Magos gesehen: 72-76).

In genau diesem rhetorischen Kontext ist nach H. nun auch Acta 8 zu sehen (102-142, 3. Kapitel). Lukas schreibt ganz aus dem Repertoire der rhetorischen Topik heraus, was H. bis in die Wortwahl hinein nachweist. Besonders spannend wird die rhetorische Analyse, wenn H. zu zeigen versucht, daß auch die inhaltlichen Charakterisierungen von "Positionen" Simons ganz aus der rhetorischen Tradition genommen sind. Wenn sich diese These für Acta 8,9b.10 bewahrheiten sollte, wäre uns jeder Boden für eine geschichtliche Einordnung des historischen Simon unter den Füßen entzogen. H. geht hier aber vielleicht doch einen Schritt zu weit. Immerhin wird jede These über den historischen Simon nicht mehr unbefangen ohne eine Untersuchung der lukanischen Rhetorik auskommen können. H. selbst sieht in einem knappen Schlußabschnitt (144-148) in Simon eine "thaumaturgischen Propheten", der sich selbst vielleicht als Vorläufer des samaritanischen Taheb gesehen habe, jedenfalls nach seiner Christwerdung in einen Autoritätskonflikt mit den Jerusalemer Uraposteln geraten sei (wie später Paulus! 147), und auf diese Weise zum Gegenstand diffamierender Magievorwürfe werden konnte. Immerhin sei V. 24 mit Weiser und Schneider und gegen Stählin und D.-A. Koch als echte Umkehr bzw. Buße Simons zu beurteilen (141).

Die simplifizierende Identifikation des Magischen mit dem Dämonischen bei Lukas (so Susan R. Garrett) wird überzeugend abgewiesen (15-22). Keine Stellung wird zu dem alten Problem bezogen, ob Lukas Josephus kannte (94 A. 276); mir scheint eine solche Annahme eher weniger plausibel. Fehler habe ich kaum bemerkt. Einige Male sind Titelangaben durcheinandergeraten, so wird S. 84 A. 239 ein Buch Franz Bömers Joseph Vogt zugeschrieben. Und Poseidonios (Diodors Hauptquelle in Buch XXXIV) ist kein Platoniker (70), sondern trotz einer behutsamen Aufnahme platonischer Gedanken nach wie vor ein Stoiker. Speziell zu Eunus ist es merkwürdig, daß H. die immerhin schon München 1983 erschienene umfassende Monographie zum Geschichtswerk des Poseidonios von Jürgen Malitz (Die Historien des Poseidonios, Zetemata 79) nicht kennt. Aber das ändert nichts an der Solidität des Werkes als ganzen.

Ein Fortschritt unserer Kenntnis der rhetorischen Strukturen im NT wird nicht durch genialische Gesamtentwürfe, sondern eher durch eine solide Analyse einzelner Texte unter umfassender Heranziehung des antiken Vergleichsmaterials zu erreichen sein. Und genau darin liegt der bleibende Wert des hier angezeigten Buches, nicht zuletzt in Hinsicht auf die weiter ausholende Problemstellung Ketzerpolemik - Topik der rhetorischen Invektive. Allgemein zur Rhetorik der Apostelgeschichte verweise ich noch auf das neue, etwa 900 Seiten starke Werk von Ben Witherington III., The Acts of the Apostles: A Socio-Rhetorical Commentary, Grand Rapids, MI 1998.