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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

744–746

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Agende für evangelisch-lutherische Kirchen und Gemeinden. Im Auftrag der VELKD hrsg. vom Lutherischen Kirchenamt. Bd. 3 Teil: Konfirmation: Entwurf (Reihe Gottesdienst; 18).

Verlag:

Hannover 1995. 332 S., DM 24,-. Brosch. gr. 8o. ISBN 3-7859-0707-9.

Rezensent:

Wilhelm Gräb

Mit dem vorliegenden "Entwurf" zu einer neuen Konfirmationsagende für ev.-luth. Kirchen und Gemeinden (das zwei Jahre dauernde Stellungnahmeverfahren der Gliedkirchen der VELKD wurde im September 1994 eingeleitet) präsentiert sich - wie das "Vorwort" zu Recht betont - "ein neuer Typ von Agenden" (9). Im Unterschied zur bisherigen Agende III der VELKD (1. Aufl. 1964), die sämtliche "Amtshandlungen" in einem knappen Band versammelte, ist nun nicht nur für jede Amtshandlung ein wesentlich umfänglicher eigener Band vorgesehen bzw. bereits vorgelegt. Es ist mit der Konfirmationsagende erstmalig dazu übergegangen worden, die neu bearbeiteten agendarischen Formulare sowohl mit Gestaltungshinweisen zur Gottesdienstvorbereitung durch Gruppen aus der Gemeinde anzureichern (damit wird eine Anregung des Entwurfs zur "Erneuerten Agende" aufgenommen), als auch um die Dokumentation von Praxisbeispielen zu erweitern. Es handelt sich demnach mit diesem "Gottesdienstbuch zum konfirmierenden Handeln der Kirche" (9) um mehr als eine die gottesdienstlichen Liturgien betreffende Agende im herkömmlichen Sinn. Es ist ein "Werkbuch" (9) entstanden, in das die praktischen Erfahrungen und Erprobungen der Konfirmandenarbeit in den letzten Jahren Eingang gefunden haben.

Die neue Konfirmationsagende dokumentiert damit ein gutes Stück weit auch die pädagogischen Umstellungen in der Konfirmandenarbeit. Sie bringt vor allem deren konzeptionelle Intention, wonach sie ein Beitrag zur kirchlich-religiösen Begleitung von Kindern und Jugendlichen in einer schwierigen Phase ihres Erwachsenwerdens sein will, selber zur Geltung. Die bisherige Agende III enthielt lediglich liturgische Formulare für die "Vorstellung der Konfirmation (Die Prüfung)", den "Konfirmationsgottesdienst (Die Einsegnung)" und das "Gedächtnis der Konfirmation". Nun werden darüberhinaus Gestaltungsvorschläge gemacht für Gottesdienste zu Beginn der Konfirmationszeit, anläßlich der Taufe von Konfirmanden in der Konfirmationszeit, der Feier eines Abendmahlsgottesdienstes während der Konfirmationszeit, eines Beichtgottesdienstes oder einer Abendandacht (mit Abendmahl) am Konfirmationstag. Es haben die liturgischen Gestaltungsvorgaben eine beträchtliche Erweiterung erfahren. Und es ist dabei der Grundgedanke leitend gemacht, daß alle gottesdienstlichen Gelegenheiten während der Konfirmationszeit von der besonderen Lebenssituation der Konfirmanden und ihrer Eltern her wahrgenommen sein wollen. Die sozialisationskundliche Einsicht, daß die Konfirmandenzeit eine Umbruchszeit im Prozeß der persönlichen Identitätsfindung, der Ablösung vom Elternhaus darstellt und der Konfirmandenunterricht sowie die Konfirmation (Einsegnung) als kirchlich-religiöse Begleitung in diesem lebensgeschichtlichen Übergang gestaltet sein wollen, soll gerade auch für die liturgische Begehung der die Konfirmandenzeit markierenden gottesdienstlichen Stationen fruchtbar gemacht werden.

Der Agendenentwurf spannt nun selber einen in sich noch einmal differenzierten Bogen vom "Gottesdienst zu Beginn der Konfirmandenzeit" bis hin zum "Gedächtnis der Konfirmation" anläßlich der 25- und 50-jährigen Konfirmationsjubiläen. Der volkskirchliche Charakter der Konfirmationsjubiläen wird auffälligerweise besonders hervorgehoben, im Zusammenhang damit auch die Bedeutung, die sie für die religiöse Biographie haben (214 f.). Die offensive Volkskirchlichkeit ist für den Agendenentwurf freilich insgesamt bestimmend. Durchgängig jedenfalls ist ein integratives Denkmodell leitend, wonach das sozialisationstheoretische Verständnis der Konfirmation als Passageritus und ihre ekklesiologische Bestimmung als persönliches Bekenntnis zur eigenen Taufe, zur Gliedschaft in der Kirche und zur Einstimmung in deren Bekenntnis korrelieren können (12).

Die anthropo-theologische Grundauffassung dabei ist die, daß sich der psycho-soziale Prozeß der Selbständigwerdung der jungen Menschen, ihrer Persönlichkeitsbildung auf plausible Weise mit ihrer Subjektwerdung in kirchlich-religiöser Hinsicht verbinden kann. In der Entwicklung zur Mündigkeit lernen sie auch sich selbst auf begründete Weise zu derjenigen Verheißungszusage zu verhalten, die mit der Taufe über ihrem Leben aufgerichtet ist bzw. - sofern die Taufe in die Konfirmandenzeit fällt - sich auf dem Wege der Vermittlung und Aneignung der christlichen Glaubensinhalte sich bewußt für die Vollmitgliedschaft in der Kirche zu entscheiden.

Die Gottesdienste, die zugleich die "unterschiedlichen Stationen auf dem Weg der Konfirmanden" (12) symbolisieren, sollen jedenfalls unter dem Leitgesichtspunkt der Subjektwerdung der Konfirmanden im Leben wie im Glauben ihre liturgische Gestaltung erfahren. Für die Praxis der Konfirmandenarbeit heißt dies, die Konfirmanden selber zur Gottesdienstgestaltung zu befähigen. "Die Aneignung und Gestaltung des Gottesdienstes ist ein wesentlicher Lern- und Erfahrungsinhalt in der Konfirmandenzeit" (12). Das ist der Leitsatz für den ganzen "Entwurf". Nicht nur für den Vorstellungsgottesdienst, sondern für alle gottesdienstlichen Stationen während der Konfirmandenzeit soll gelten, daß die Konfirmanden darin unterrichtet werden, die kompetenten Subjekte der Gestaltung ihrer liturgischen Elemente, einschließlich der Predigt zu sein. Gesehen ist allerdings auch, daß die von Konfirmanden gestalteten Gottesdienste "im deutlichen und notwendigen Zusammenhang mit dem gottesdienstlichen Leben der Gemeinde bleiben" müssen (12). Dem wollen die agendarisch fixierten Gestaltungsvorschläge und Praxisbeispiele dienen. Dem gilt auch der vielfach wiederholte Hinweis, daß die Unterrichtenden auf ebenso behutsame wie liturgisch kenntnisreiche Weise in den gottesdienstlichen Gestaltungsaktivitäten der Konfirmanden Regie führen sollen.

Eng ist die Verzahnung zwischen dieser Konfirmationsagende und einer bestimmten pädagogisch-theologischen Konzeption für die Konfirmandenarbeit. Diese wird nicht mehr so sehr als Unterricht im Sinne der lehrmäßigen Vermittlung von Katechismuswissen verstanden, sondern insgesamt sehr viel eher als Gottesdienstwerkstatt. Die Didaktik des Konfirmandenunterrichts soll sich von der Liturgik inspirieren lassen. Dies jedoch nicht im Sinne der Einübung bloß in vorfindliche liturgische Praxis. Anregungen der "Erneuerten Agende" aufnehmend ist vielmehr auf einen solchen inneren Zusammenhang von Liturgik und Didaktik abgezielt, der zu einer kreativen und projektbezogenen Konfirmandenarbeit motiviert, auf eine Vermittlung auch von lebensweltlicher Erfahrung und überliefertem Glaubenswissen, wie sie die "Symboldidaktik" in Aussicht stellt. Die "Praxisbeispiele", die den liturgischen Stationen jeweils zugeordnet sind, zeigen auf anregende Weise, wie viel der Agendenentwurf insgesamt den handlungsorientierten, projektartigen, begegnungsintensiven Arbeitsformen der neueren Konfirmandenarbeit verdankt. Sie zeigen aber auch, daß er nur von einer so konzipierten Konfirmandenarbeit her Eingang in die kirchliche Praxis finden kann. Nur eine Konfirmandenarbeit, in der die Konfirmanden nicht von einem Pfarrer/einer Pfarrerin "unterrichtet" werden, sondern in der sie selber etwas erkunden, bauen, ausprobieren, befragen, unternehmen, feiern können, wird Gemeinden solche Gottesdienste erleben lassen, wie sie hier entworfen sind.

Das war das Lob einer neuen Konfirmationsagende. Kritisch zu diskutieren dürfte sein, ob die Distanz zwischen der Lebenswelt heutiger Konfirmanden, ihrer symbolischen Orientierung einerseits und der kirchlich-religiösen Vorstellungswelt auch dieses Agendenentwurfs andererseits nicht doch wesentlich größer ist als das durchgängig leitende Korrespondenzdenken unterstellt. Das könnte dann auch der Grund dafür sein, daß in der Praxis sich vieles doch nicht so realisieren läßt wie hier vorgesehen. Dem "Entwurf" ist ein Katalog von Fragen beigegeben (327-331), der auf der Basis praktischer Erprobungen seiner Gestaltungsvorschläge beantwortet sein will. Vielleicht werden hilfreiche Anregungen aus der Praxis noch vor seiner endgültigen Verabschiedung eingearbeitet.