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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

717–720

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Tebartz-van Elst, Anne

Titel/Untertitel:

Ästhetik der Metapher. Zum Streit zwischen Philosophie und Rhetorik bei Friedrich Nietzsche.

Verlag:

Freiburg-München: Alber 1994. 237 S. 8o. geb. DM 74,-. ISBN 3-495-47801-9.

Rezensent:

Philipp Stoellger

Auf dem Hintergrund der langen Geschichte des Streites zwischen Philosophie und Rhetorik sieht die Vfn. in Nietzsches Metaphorologie eine Lösungsperspektive, die programmatisch in dem Spitzensatz von dessen Rhetorik-Vorlesung von 1872/73 anklingt: "die Sprache ist Rhetorik" (12; vgl. von der Vfn.: Ästhetischer Weltbezug und metaphysische Rationalität. Zur epistemischen Funktion der Metapher bei Nietzsche, in: J. Kopperschmidt/H. Schanze, Nietzsche oder "Die Sprache ist Rhetorik", München 1994, 109-126, worin sie eine Kurzfassung ihrer Dissertation bietet). Wurde aufgrund dieser und ähnlicher Thesen Nietzsche eine bloße Destruktion jeden Welt- und Wahrheitsbezugs der Sprache resp. der Philosophie unterstellt, sucht die Vfn. zu zeigen, daß dem mitnichten so sei; vielmehr impliziere seine Sprachkritik "die Idee einer ursprünglichen Metaphorik", derzufolge "die Theorie der Metapher zum wesentlichen Bestandteil einer Theorie der Rationalität ... [und] Referentialität der Metapher" werde (16, vgl. 109), die die Vfn. - maßgeblich mit Hilfe von Paul Ricurs Metaphorologie (20-25 u.ö.) - als perspektivische resp. metaphorische Wahrheit entfaltet. Systematisch schließt sie sich durchgehend der Perspektive Ricurs an, dessen "Unterscheidung von ,semantischer Innovation' auf der Ebene des metaphorischen Sinns und ,metaphorischer Referenz'" auf der Ebene der metaphorischen Bedeutung (22) sie aufnimmt und mit ihm nach dem "Zusammenhang zwischen dem Schöpferischen und der Regel" (23) fragt, in dem sie eine Überwindung des Streits von ,Philosophie und Rhetorik' kraft der ursprünglichen Metaphorizität der Sprache zu finden hofft. Die von Ricurs Perspektive geleitete Nietzsche-Interpretation ist dabei von der erheblichen Hintergrundsthese belastet, daß "Ricurs metapherntheoretischer Ansatz in grundlegenden Momenten als Fortführung zentraler Gedanken der Philosophie Nietzsches gedeutet werden kann" (23, vgl. aber 182) - was für Ricur nicht eigens nachgewiesen, aber für die Nietzsche-Interpretation von der Vfn. durchgängig in Anspruch genommen wird. In ähnlicher Freiheit ,perspektivischer' Interpretation hätte man z.B. auch Derrida als ,Fortführung' Nietzsches heranziehen können, was zumal von Ricur her nahe gelegen hätte (vgl. Die lebendige Metapher 251, 260-262).

In der umrissenen Perspektive behandelt die Vfn. zunächst "Die ,Verführung der Sprache': Nietzsches Kritik der metaphysischen Rationalität" (26-75) in Form einer systematischen Auslegung seiner "Grundlösung" (26; KSA 12, 193 f.). "Der Glaube an die Vernunft" (27-34), "Das Schema der Wahrheit als Produkt der Sprache" (34-48), "Die Philosophie der grauen Begriffe" (48-60), "Die Verführungen der Sprache" (60-70) und "Zu einer Philosophie der Grammatik" (70-75) entfalten die Thesen der "Grundlösung", anhand derer die Vfn. zu zeigen beabsichtigt, daß "Nietzsches Sprachauffassung... ihn zu einer Konzeption des ästhetischen Weltbezugs führt, die... sich am Paradigma der metaphorischen Übertragung orientiert" (27). Am Ort der Sprachkritik selber soll also deren implikativer Horizont aufgewiesen werden, der ihre Aporetik überwinde mittels eines Sprachverständnisses, dem die Metapher als Hintergrundsmetapher dient. Die den Horizont bestimmende Rahmenthese der Vfn. besagt, "Nietzsche radikalisiert... die kantische Vernunftkritik", indem er "eine zweite [?] kopernikanische Wende" vorbereite, "die später ... durch die sprachanalytische Philosophie realisiert wird" (32, vgl. 53, 144, 146 f.), der die Vfn. auch ,die' "ästhetische Wende" (54, 60) gleichstellt. Zur Entfaltung ihrer metaphorologischen Zentralthese gebraucht die Vfn. selber die Figur der ,Metapher' zur homogenisierenden Interpretation der Entwicklung Nietzsches, wenn sie in der "Begriffsdichtung" (48-53), dem "aesthetische[n] Zustand" (53, 131 f.), dem Anthropomorphismus (56, 117, 178) oder der Begriffsgenese (55, 106, 167) das "metaphorische Verfahren der Übertragung der Reflexion qua Analogie" findet und damit den Nachweis von Nietzsches "Einsicht von der grundlegenden Metaphorizität der Sprache" (53). ,Die Sprache ist Metapher, ursprünglich und allgegenwärtig' könnte für die Vfn. die variierende Aneignung der These aus seiner Rhetorikvorlesung lauten. Demgegenüber sei für Nietzsche der sprachliche Verfall, "dass der Mensch sich... als künstlerisch schaffendes Subjekt vergisst" (58 [KSA 1, 883], vgl. 56, 90-93, 150f, 162, 174), sofern er im Begriffsdenken, im Vernunftglauben oder in der Ich-Gewißheit deren metaphorische Ursprünge verdränge. Nietzsches Sprachkritik drohe jedoch letztlich in die Aporie zu führen (67), ein "Schema" zu kritisieren, "welches wir nicht abwerfen können" (70). Die Vfn. sieht indes seinen Ausweg darin, keine Universalgrammatik zu beanspruchen oder anzuvisieren (72 f.), sondern "die analogische Struktur der grammatischen Schemata" weise auf "die Idee einer analogischen Grammatik" (73), die die Überwindung der Aporie ermögliche; insbesondere die Einsicht in die prädikative Struktur der Metapher helfe hier weiter (75, mit Verweis auf Ricur).

Vermutlich sind die folgenden drei Teile der Arbeit - "Ästhetik der Sprache" (76-102), "Ästhetik der Metapher" (103-191) und "Die metaphorische Wahrheit - Ein Ausblick" (192-212) - am sinnvollsten als ,eigener' Lösungsversuch der sprachkritischen Aporie mit Hilfe von Nietzsche in Orientierung an Ricur zu verstehen. Zunächst soll die (längst beanspruchte) These nachgewiesen werden, "daß Nietzsche die Sprache als ein ästhetisch organisiertes, analogisches Verfahren betrachtet hat, das am Modell des metaphorischen Prozesses beschrieben werden kann" (76). Die "Entstehung der Sprache" sei immer schon ein "Prozeß der ,Übertragung'" (91), der weder auf Regeln rückführbar noch einfach beliebig sei (91). In dieser Lesart dient, wie schon angedeutet, das Paradigma ,Metapher' der Vfn. (105 f., 109) demnach als ,Metametapher' zur Hintergrundsorientierung der eigenen Lesart, d. h. sie verwendet die Metapher metaphorisch pars pro toto für das Verständnis ,der' Sprache bei Nietzsche - indes ohne diesen übertragenen Gebrauch systematisch näher zu erläutern, während sie andererseits der Nietzsche-Forschung vorhält, "nicht deutlich genug zwischen der metaphorischen und der nicht-metaphorischen Verwendungsweise des Wortes Metapher unterschieden" zu haben (104) - was indes auch unmöglich wird, wenn von der basalen Metaphorizität der Sprache her die Unterscheidung von eigentlich und uneigentlich überwunden werden soll (102 u. ö.).

Die Vfn. sucht den Ausweg aus dem sich ankündigenden Zirkelparadox mit Ricurs These von Sinn und Referenz der Metapher. Bereits Nietzsche gehe von der prädikativen Struktur der Metapher aus (109 f.), die somit "auf ein außersprachliches Wirkliches als ihren Referenten" ziele und so metaphorisch wie metaphorologisch "den Übergang vom Sinn zur Referenz erzwingt" (110; ist die starke These einer außersprachlichen Referenz nötig, oder genügte systematisch nicht auch ein interner Realismus?). Auch wenn der Eindruck nicht ganz von der Hand zu weisen ist, daß die Interpretation der Vfn. mit dieser Lesart zumindest auch auf Texte Ricurs und nicht nur auf die Nietzsches referiert, ist die Problemstellung und Lösungsperspektive naheliegend (was indes eine Auseinandersetzung etwa mit D. Davidson oder auch H. Lenk nicht erübrigt). Allerdings muß sie Thesen Nietzsches wie der "Wille zur Macht" sei der "Wille zur Täuschung" überraschend konstruktiv auslegen: "Auf der Folie der ursprünglichen Metaphorizität der Sprache läßt sich die Täuschung positiv formulieren: nämlich als Ästhetik der Metapher" (100, vgl. 161). Wäre nicht aber spätestens hier zu fragen, weswegen sich bei Nietzsche eine derart positive Wendung nicht beobachten läßt und was es für eine Interpretation bedeutet, solch eine viel sagende "Folie" zu beanspruchen?

Die prädikative Struktur der Metapher, die die "Theorie der Metapher... zum wesentlichen Bestandteil einer Theorie der Rationalität" werden lasse (109, wer integriert hier wen?), führe zum "Begriff der metaphorischen Wahrheit" (111). Diesen Weg entfaltet die Vfn. zunächst mit der Erläuterung der "rhetorischen Funktion der Metapher" (112-120): deren "Sprachschöpfung bedeutet zugleich eine sich ständig und in der Regel sehr subtil vollziehende Neuschöpfung von Welt" (119; hier der sprachlichen?). "Zur poetischen Funktion der Metapher" (120-140) rekurriert auf den frühen Nietzsche und seine "Konzeption der apollinisch-dionysischen Duplizität" (123 ff.), mit der Nietzsche den "Schein" resp. die "Mimesis" als ",ungeschminkte[n] Ausdruck der Wahrheit'" interpretiere (121). Unter Einbeziehung der späten Interpretationsmetaphorik versteht die Vfn. das "Interpretationsgeschehen" als "Aufbauen immer neuer Perspektiven... In diesem Sinne konstituiert jede Rede, auch die dichterische Rede[,] Welt" (127; hier sprachintern). Der "Wirklichkeitsbezug" (129) bestehe in dem "Prozeß der symbolischen Aneignung" der Welt (129; welcher?), in der "übertragende[n] Nachahmung, die im wesentlichen auf dem intuitiven Erfassen von Ähnlichkeiten beruht" (132). Diese "Mimesis des Mythos führt so einen ,ursprünglichen Wirklichkeitsbezug mit sich'" (133, mit Ricur) und sei "untrennbar von der schöpferischen Dimension" der "Poiesis" (ebd.). Diese am Mythos gewonnene Kernthese (130-135) überträgt die Vfn. auf die (bereits übertragen gebrauchte) Metapher (136 f.).

"Das doppelte Spiel der Metapher" (141-155, vgl. 23ff, 29, 125f, 136 ff.) entfaltet deren Duplizität von Zerstörung und Aufbau von Sinn (141), woraufhin "Zur epistemischen Funktion der Metapher" (155-191, vgl. 138 ff.) das entsprechende Geschehen der Referenz erläutert. Im Hintergrund steht die These, "daß auch das Gefühl... ontologisch ist; es läßt an der Sache teilnehmen", wodurch "die Unterscheidung von ,Innen' und ,Außen', von ,Subjekt' und ,Tatsache'" "ins Wanken" gerate (140, s. 161). Gegen G. Schöffel (138, 153 ff.) findet die Vfn. bei Nietzsche nicht zwei Metaphernbegriffe, sondern das "Sehen von Ähnlichkeiten" (149) sei die Einheit des ,doppelten Spiels der Metapher' als eines schöpferischen Prozesses (154). Die "Sinnzerstörung", die sich durch eine Übertragung ergebe, setze zugleich eine "Sinnproduktion" frei (146), eine "Assimilation", in der "das Ähnliche trotz der Differenz und ungeachtet des Widerspruchs wahrgenommen wird" (148). Zerstörung und Aufbau seien zugleich "das Verfahren, auf dem jede Klassifizierung beruht" (152). Trotz der naheliegenden Konsequenzen will die Vfn. die Unterscheidung von Metapher und Begriff aufrechterhalten, da "sie im konkreten Sprachgebrauch unterschiedliche Wirkungen zeitigen" (150) - was jedoch m.E. eingehender Klärung bedürfte, denn so unvermeidlich es ist, so unklar bleibt, warum und wie "wir zwischen metaphorischen und nichtmetaphorischen Verwendungsweisen von Wörtern unterscheiden" (ebd.).

Im Metapherngebrauch entdecke sich also der Mensch als "Schöpfer neuen Sinns" (151), wodurch sich ein Relativismusproblem ergäbe (208), wenn hier nicht die metaphorische Referenz limitierend wirkte (155-161, vgl. zudem die Sprachregeln und die Kontrolle des Bildes durch den Sinn [176, 179]). Die Vfn. folgt Ricurs Unterscheidung von wörtlichem und metaphorischem Sinn und wörtlicher und metaphorischer Referenz (155, ohne jedoch die Differenz von wörtlich und metaphorisch näher zu thematisieren): Die Metapher beschreibe die Welt neu, indem sie etwas über etwas sagt und somit referiere (156 f.). Welt sei entsprechend "die Gesamtheit der Referenzen" (158, mit Ricur), so daß man auf diesem Wege "weiterhin von einer Welt" reden könne, "ohne klären zu müssen, wie denn diese [!] Welt ,wirklich' beschaffen ist. Der Grund dafür ist darin zu sehen, daß wir, wenn wir reden, gar nicht anders können, als uns auf eine [!] Welt beziehen" (159, aber 158 wendet sie sich gegen eine Pluralität von Welten, ohne z.B. auf N. Goodman einzugehen).

"Die logische Wirkung der Metapher" (161-182) gründe darin, daß sie "Ähnlichkeiten ,entdeckt'... oder sogar allererst schafft" (161). Während die Vfn. den Ton auf das Schaffen legt (ebd.), hebt Nietzsche indes das "Sehen des Ähnlichen" hervor (169), eine Differenz, die nicht näher thematisiert wird - wie auch die problematische Vagheit der ,Ähnlichkeit' und deren unterminierende Wirkung gegenüber Logizität. Die ästhetische Anschauung sei jedenfalls - mit G. Abel - als solche "logisch" (162), was entfaltet wird als "paradoxe Einheit von intuitiver Anschauung und Diskursivität", als Einsicht in "die logische Struktur des Ähnlichen" selber und als Wirkung der "Einbildungskraft" (ebd.). Entsprechend dem doppelten Spiel bestehe die logische Wirkung in Störung und Aufbau der Begriffslogik (171 f.) und die epistemische Funktion in der Aneignung des Fremden und Verfremdung des Bekannten (180 f.). Die positive Seite der Erkenntniskritik Nietzsches sei demnach, "die Grenzen der Welt in immer neuen Interpretationen, die an die Stelle überlebter treten, zu erweitern" (179). Was aber muß eine Interpretation leisten, wenn sie nicht nur in einer selbstzweckhaften "immer neuen" Perspektivenpluralisierung aufgehen soll? Die hier zugrunde liegende selbstverständliche Affirmation bloßer Pluralität scheint von einer unterstellten ästhetischen Äquilibrierung zu zehren, die angesichts der harten Divergenz und internen Strittigkeit von Pluralität gerade durch Nietzsches machtvolle Interpretationsmetaphorik gebrochen werden könnte. Von Brüchigkeit und Kampf jedoch unversehrt wird die perspektivische Erkenntnis und die entsprechende metaphorische Wahrheit als ein "processus in infinitum" (179, 191, 193) lediglich affirmiert.

Die "Doppeldeutigkeit" der metaphorischen Wahrheit liege darin, "daß sie auf der einen Seite Entdeckung, Auffindung, auf der anderen Seite aber Poiesis ist" (194), womit die scharf kritischen Äußerungen Nietzsches erfolgreich verdrängt scheinen (vgl. die ,Belege' 194, 198f, und den Rückgriff auf Ricur 200 f.). "Wahrheit ist Interpretation" (206) verfängt jedoch in einem Perspektivismusparadox (ebd., vgl. 133) (und einem entsprechenden Relativismusproblem [208, vgl. 158, 180]), das hier nur scheinbar gelöst ist mit dem Verweis auf den "schöpferische[n] Charakter der Wahrheit" (208) oder durch die Konzession, auch die metaphorische resp. perspektivische Wahrheit müsse "nicht für jeden wahr" sein (210). Mit Hans Lenk könnte man hier sagen: "Interpretation ist nicht alles, nicht alles ist interpretativ; doch alles ist als Etwas nur interpretatorisch erfaßbar" (Interpretation und Realität. Vorlesungen über Realismus in der Philosophie der Interpretationskonstrukte, Frankfurt a.M. 1995, 85). Wenn schließlich die "Metapher zum Ort der Emanzipation, der Befreiung von der neuzeitlichen Vernunft" proklamiert wird (212, vgl. 59 f.), gerät die intendierte "Einheit von Logik und Ästhetik, von Vernunft und Phantasie - und nicht zuletzt von Philosophie und Rhetorik" (212) in eine zweifelhafte Pluralismus-Euphorie, auf deren Folgelasten etwa mit Wolfgang Welsch hinzuweisen wäre. In einer ästhetischen Totalisierung eskaliert der Vfn. das Paradigma ,Metapher', mit Hilfe dessen schließlich mehr Differenzen überwunden werden sollen, als wünschenswert wäre. Gleichwohl bietet die Vfn. mit ihrem thematisch weit gesteckten Horizont in den konkreten Problemstellungen eine lohnende metaphorologische Auseinandersetzung mit Nietzsche.