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Ausgabe:

Mai/1996

Spalte:

479–481

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Lohner, Alexander

Titel/Untertitel:

Peter Wust: Gewißheit und Wagnis. Eine Gesamtdarstellung seiner Philosophie. 2., durchges. u. erw. Aufl.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1995. IX, 460 S. gr.8o = Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, 14. Kart. DM 64,-. ISBN 3-506-76823-9.

Rezensent:

Günther Keil

"Denn das ist die Überzeugung der vorliegenden Arbeit: Entweder gibt es Metaphysik auf dem Wustschen Weg, oder es gibt überhaupt keine." (440) Dieser Satz aus dem Nachwort zeigt sehr gut, in welchem Verhältnis der Vf. zu dem von ihm dargestellten Philosophen (Peter Wust) steht: Er folgt ihm, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auf Schritt und Tritt. Ob er gar dessen Bedeutung überschätzt, wie das Zitat oben nahelegt, mag dahingestellt bleiben. Deshalb ist es für uns nicht leicht, in unserer Besprechung die Meinung des Vf.s und die P. Wusts auseinanderzuhalten, aber das ist im vorliegenden Fall auch nicht sehr wichtig.

Der Vf. beginnt in Kap. "A. Ungesichertheit als Existential" die Darstellung der Gesamtphilosophie Wusts mit der "Insecuritas-Situation" des Menschen (5-39). Die Ungesichertheit des Menschen beginnt schon auf der Wohlseins- und Glückssuche, ist dann aber besonders für Wissenschaft und Philosophie der entscheidende Antrieb, aber auch diese bleiben grundsätzlich in der Ungesichertheit: "Die Philosophie ist eine prinzipiell fragende Wissenschaft, die zwar auf endgültige Antworten hinstrebt, die aber dabei erfahren muß, daß jede ihrer Antworten sie wieder zurückverweist in den ungesicherten Raum ihrer prinzipiellen Frageunruhe." (29) Deshalb ruht auch alle Philosophie letztendlich auf einem irrationalen Fundament, auf einer Bekenntnisgrundlage auf: "Besonders in den hohen metaphysischen Fragen ist mit der ratio allein keine letzte Klarheit zu erlangen" (26) "Philosophie ist die Union von ,reflexio'-Akt und ,devotio'-Akt." (87) Diese Insekuritas des Menschen reicht bis tief in den Glauben selbst hinein (30 ff.). Warum der Vf. allerdings den Buchtitel Wusts "Ungewißheit und Wagnis" im eigenen Buchtitel zu "Gewißheit und Wagnis" ändert, bleibt unerfindlich.

Kap. "B. Das Fundament der Philosophie: Die Frage nach der Gutheit und Erkennbarkeit des Seins. Die Frage nach der Existenz Gottes" erörtert Grundlagenprobleme der Philosophie. Interessant ist dabei der Satz: "Während Thomas aber doch einer... Anzahl von Menschen bescheinigt, diese natürliche Gotteserkenntnis in aller Gewißheit gewonnen zu haben..., scheint Wust der Meinung zu sein, daß faktisch noch nie ein Mensch eine solche Gotteserkenntnis allein aus den natürlichen Kräften der Vernunft gewonnen hat." (72) Ein solcher Satz muß denn auch vom Vf. kath.-theologisch verteidigt werden.

Kap. "C. Die Frage nach der Möglichkeit von christlicher Philosophie" zeigt die Konvergenz von christlichem Glauben und Philosophie vom Menschen her auf, der immer zugleich homo philosophicus als auch homo religiosus ist. Deshalb gilt sowohl: "Zum Wesen des Menschen, zu seiner Selbstverwirklichung gehört unerläßlich die ontische Beziehung zum Absoluten... (also in der Philosophie)", als auch: "Der Mensch ist ein Wesen, das von Natur aus für eine mögliche Offenbarung Gottes empfänglich ist." (91) Der Vf. muß dann Wust gegen den von philosophischer Seite erhobenen Vorwurf des "Fideismus", also einer von Glaubensprämissen untermauerten Philosophie verteidigen (102 ff.) In diesem Sinne mutet es freilich rein philosophisch gesehen doch etwas fragwürdig an, wenn Wust gerade im Blick auf seine Neugründung der Metaphysik auf Naivität und Pietät rekurrieren muß, also auf den naiven Glauben, daß es überhaupt ein Sein außerhalb unserer Erkenntnis gibt und wir diesem Sein gegen-über Pietät zu üben haben. Dies wird später immer wieder gegen den Kritizismus, ja überhaupt gegen das moderne Bewußtsein eingewendet werden. Aber beruht damit Wusts Philosophie nicht auf einer großen petitio principii?

Kap. "D. Die Frage nach der Möglichkeit von Metaphysik" behandelt dann das entscheidende Thema Wusts, durch das er in die Philosophiegeschichte eingegangen ist, die "Auferstehung der Metaphysik". Hier muß allerdings der Vf. sofort zugeben: "Fragt man, was Peter Wust unter Metaphysik versteht, tut sich das Problem auf, daß Wust nirgends explizit definiert hat, was Metaphysik ist." (125) In dieser Begriffsunschärfe liegt denn auch die Problematik des Wustschen Unternehmens, Metaphysik zu repristinieren, eine Problematik, die der Vf. wohl sieht, aber kaum entscheidend korrigieren kann. So werden denn auch im Folgenden (mindestens) zwei Metaphysikbegriffe verwendet: Will man metaphysikfeindlichen Strömungen im modernen Geistesleben nachweisen, daß sie ihrerseits schon immer eine zumindest latente Metaphysik voraussetzen (woraus ein großer Teil der Wustschen Argumente besteht), so muß man dabei einen sehr weiten Metaphysikbegriff gebrauchen, der dann aber für die eigene metaphysische Position erheblich verengt wird, wobei man nun unter Metaphysik lediglich Substanzmetaphysik im herkömmlich-ontologischen Sinne im Gegensatz zur Auflösung der Substanz in bloße Funktionen im modernen Denken versteht.

Daß dennoch solche Substanzmetaphysik nicht ohne gute Argumente zu sein braucht, zeigt u. a. Kap. "E. Peter Wusts Lehre vom absoluten und endlichen Sein." Hier arbeitet Wust mit dem alten Argument, daß ein absolutes Nichts unmöglich ist, denn schon indem angenommen wird, daß es ein absolutes Nichts gibt, ist es schon in sich selbst widerlegt, denn indem ein absolutes Nichts ist, ist das Nichts nicht mehr absolut, sondern setzt selbst ein Sein voraus. "Das heißt aber: Es gibt nur die absolute Position des Seins von Ewigkeit her, wenn freilich daneben auch noch Sein in relativer Position, das mit und in der Zeit besteht, in die Erscheinung tritt." (199).

In Kap. "F. Die Anthropologie Peter Wusts" wird die zwischenregionale Position des Menschen aufgezeigt und entfaltet: Der Mensch existiert zwischen Sinnlichkeit und Vernunft, zwischen Leib und Seele, zwischen naturhafter Gebundenheit und absoluter Freiheit. Dabei gibt es allerdings keine Schicht des Menschen, die ohne die andere gesehen und betrachtet werden könnte; jede ist immer schon in die andere eingebettet. "Der Mensch ist ein interregionales Wesen, das sich zwei verschiedenen metaphysischen Einheiten als exemplarischen Urbildern gegenübergestellt sieht, er befindet sich in einer Art Verlegenheitszone des Seins... Wust spricht von der ,interkosmischen Heimatlosigkeit' des Menschen." (240). Daraus ergibt sich dann auch die Geschichtlichkeit des Menschen.

Besonders interessant ist dann das letzte Kap. des Buches "G. Peter Wust als Kulturphilosoph und Deuter der Philosophiegeschichte." Hier sind zunächst einmal die zahlreichen philosophiegeschichtlichen Begegnungen Wusts zu erwähnen: Wust setzt sich immer wieder mit anderen philosophischen Ansichten auseinander. Es bleibt allerdings sehr zu bezweifeln, wieweit Wurst wirklich den von ihm ins Auge gefaßten Denkern gerecht wird. Dafür nur ein einziges Beispiel: "Die Kantischen Dogmen ,der Subjektivität, des schrankenlosesten Rationalismus', ,die ängstliche Scheu vor dem Eindringen in die tiefere Natur des Seins' muß erst überwunden werden, um wahre Metaphysik... wieder möglich zu machen." (382) Weiß Wust wirklich nichts über die übersubjektive Transzendentalität, über die den geschlossenen Rationalismus infragestellende Antinomik, über die Metaphysik der Kritik der praktischen Vernunft und vor allem der Kritik der Urteilskraft (die nirgends erwähnt werden) bei Kant? Solche fragwürdigen Interpretationen finden sich fast bei allen von Wust behandelten Denkern.

Aber vor allem ist Wusts Kulturprogramm interessant, das in der gesamten modernen Geistesentwicklung, vor allem auch im Protestantismus, eine Abwärtsbewegung sieht, freilich nicht ohne Hoffnung für eine neue bessere Zukunft: "Der katholische Glaube, welcher das alte metaphysische Wissen aller Zeiten in seiner Lehre und seinem Kultus bis auf den heutigen Tag aufs vortrefflichste bewahrt hat und der seit längerer Zeit durch seine Gegner (Protestantismus, Aufklärung, Liberalismus) bekämpft und zurückgedrängt worden ist, erfährt eine erstaunliche Erneuerung seiner geistigen Kräfte." (385) "Die katholische Tradition und Kultur verbindet die katholischen Provinzen Deutschlands viel mehr mit Frankreich als mit dem protestantischen Preußen im Nordosten." (386-387). Hier bleibt denn doch zu fragen, wie sich solche (vom Vf. nirgends wieder korrigierten) Worte in den Ohren von Protestanten oder auch ökumenisch orientierten Katholiken ausnehmen.

Über P. Wusts Gedanken kann man verschiedener Meinung sein; auf alle Fälle sind sie durchdacht und nicht ohne Reiz, besonders in Bezug auf die Frage nach dem Wiedererwachen der Metaphysik, wenn auch nach verschiedenen Seiten hin nicht ohne Problematik. Die Darstellung durch den Vf. ist zweifellos eine fleißige und eindringende Arbeit.