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Ausgabe:

November/1998

Spalte:

1092–1094

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schüssler-Fiorenza, Elisabeth

Titel/Untertitel:

Jesus - Miriams Kind, Sophias Prophet. Kritische Anfragen Feministischer Christologie. Aus dem Engl. übers. von M. Graffam-Minkus und B. Mayer-Schärtel.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1997. 320 S. gr.8. Lw. DM 68,-. ISBN 3-579-01838-8.

Rezensent:

Katrin Gelder

Das vorliegende Buch "Jesus - Miriams Kind, Sophias Prophet" ist die 1997 publizierte deutsche Übersetzung (angefertigt von Melanie Graffam-Minkus und Bärbel Mayer-Schärtel) der 1995 erschienenen Originalausgabe von Elisabeth Schüssler-Fiorenza: "Jesus - Miriam’s Child, Sophia’s Prophet. Critical Issues in Feminist Christology".

Die Vfn. betont, daß alles Denken und Reden, und mit ihm besonders auch das wissenschaftliche, situationsbedingt und von dem Kontext abhängig ist, in dem es entsteht. So ist es folgerichtig, daß sie in ihrem Vorwort zur deutschen Ausgabe die unterschiedlichen Kontexte skizziert, in denen in Amerika zum einen und in Deutschland zum anderen feministische Theologie betrieben werde: Hier wie dort beginnt feministische Theologie mit der Erfahrung von Frauen. Doch im Unterschied zu der konfessionell-christlich bestimmten deutschen Situation ist dies Buch in einem für die USA typischen interreligiösen Kontext entstanden. Auch hat es an einem Kontext teil, in dem die Anti-Judaismus-Diskussion - über den Anti-Judaismus-Vorwurf gegenüber Göttinnen-FeministInnen in Deutschland weit hinaus- "unter jüdischen, christlichen und postchristlichen Feministen/innen stattgefunden hat und in einen breiten gesellschaftlichen Antirassismus-Diskurs eingebunden bleibt" (11). Schließlich ist im amerikanischen Kontext im Unterschied zum deutschen Diskurs bewußt, wie stark auch feministische Denkansätze immer noch rassistisch besetzt sind und daß Feministen/ innen aus anderen Kulturen und Religionen nicht als anders zu rezipieren, sondern aktiv am Dialog zu beteiligen sind.

Die Vfn. gliedert ihr Buch in drei Teile mit je zwei Kapiteln. In Teil I - "Die Einladung der Weisheit" - kritisiert die Vfn. in Anknüpfung an ihre Veröffentlichung "Zu ihrem Gedächtnis ..." alle Theologie, welche die "kyriarchale Gesellschaft" zementiert, wie sie durch sich gegenseitig multiplizierende Strukturen von Frauenunterdrückung gekennzeichnet ist (Rassismus, Ausbeutung, Heterosexismus, Kolonialismus). Sie tut dies von der "Frauen-Ekklesia" (51 u. ö.) als hermeneutischem Zentrum aus. In der "Frauen-Ekklesia" werde eine kritisch-feministische Befreiungstheologie und Veränderungspraxis entwickelt, welche sich in spezifischen historisch-religiösen Frauenbefreiungskämpfen verortet und alle Bewertungskritierien als am Kyriarchat partizipierend durchschaut, die von universaler göttlicher Weiblichkeit und von der Natur der Frau ausgehen.

In Teil II - "Die Kinder der Welt" - geht die Vfn. der Anfrage der jüdischen Theologin Judith Plaskow nach, warum "der feministische Kampf gegen patriarchale Christologien zurück in die Falle des Anti-Judaismus führt" (106). Die Vfn. rekonstruiert die Jesus-Bewegung als eine emanzipatorische Basileia-Bewegung. Damit sei ein historischer Denkrahmen geschaffen, in dessen Zuge "christliches Selbstverständnis nicht länger an seine früheren kyriarchalen antijüdischen Ausdrucksformen und ihre soziokulturellen Kontexte gebunden" bleibt, sondern als "immer wieder neu für jeden Mann und jede Frau im ,globalen Dorf’ im Lichte der messianischen Basileia-/Gemeinwohlvision von Gerechtigkeit und Wohlergehen verhandelt werden" muß (150 f.).

Von diesem Denkrahmen her ergebe sich auch eine neue Rekonstruktion von Kreuzestheologie: Anstatt dem furchtbaren Schicksal Jesu Sinn abzugewinnen, so wie es auch in manchen feministischen Entwürfen geschehe, wird das "leere Grab" im Sinngebungsrahmen, der durch die Frauen-Ekklesia vorgegeben ist, zum "imaginierten Ort", d. h. zu einem ambivalenten offenen "Raum": "Das Grab ist die brutale endgültige Wirklichkeit, die Gott ausgrenzt und alle Möglichkeiten für die Zukunft zunichte macht. Aber das ,Grab ist leer’ -" (193). D. h.: "Das leere Grab symbolisiert nicht Abwesenheit, sondern Anwesenheit. Es verkündigt die Gegenwart des Auferstandenen auf dem Weg nach vorne, als einen besonderen Ort des Kampfes und des Erkennens, wie es Galiläa ist" (194).

In Teil III - "Die Macht der Weisheit" - rekonstruiert die Vfn. frühjüdische und frühchristliche Weisheits-Theologien - und zwar mit der Zielrichtung, daß feministische Theologie "Symbole, Bilder und Namen der göttlichen Sophia im Kontext unserer eigenen Erfahrungen und theologischen Auseinandersetzungen so neu formulieren" müsse, "daß die versteinerte und verabsolutierte männliche Rede über Gott und Christus radikal in Frage gestellt und untergraben und das westliche kulturelle Sexus/Geschlechtersystem radikal dekonstruiert werden" (243). Abschließend dekonstruiert die Vfn. die Figur der Maria als Miriam: eine ledige Mutter, die möglicherweise sexuelle Gewalt erlitten hat (273) und Elisabeth besucht, weil sie bei ihr Unterstützung sucht; eine "junge schwangere Frau, die in einem besetzten Gebiet lebt und gegen Gewalt, um Überleben und Würde kämpft" (280). Eine solche Dekonstruktion der Maria hat zum Ziel, "die Vorstellungen und Bilder aus Marienkult und -verehrung in die Rede von Gott" zu integrieren, "wohin sie eigentlich gehören" (245) sowie die Leserinnen und Leser zu ermutigen, sich mit Miriam auf den Weg zu machen.

Die Vfn. betont, daß sich biblische Texte nie abschließend interpretieren und theologische Themen sich nicht ein für allemal klären lassen. Sie möchte die Leser und Leserinnen ermutigen, sich am Dialog "auf der offenen Straße nach Galiläa" (280), dem symbolischen Ort des Diskurses über Jesus, Miriams Kind und Sophias Prophet, zu beteiligen. Das beinhalte eine "Praxis der Veränderung", und zwar kulturell-politisch sowie theologisch. Definiert wird von die Vfn. weder die "offene Straße nach Galiläa", noch Jesus als "Miriams Kind" und "Sophias Prophet". Die Verweigerung einer solchen Definition ist hermeneutisches und ideologie- wie herrschaftskritisches Programm, da für die Vfn. jegliches Definieren an Herrschaftsausübung teilhat.

Die Vfn. arbeitet in kritischer Rekonstruktion der etablierten Christologien heraus, daß in deren Denkrahmen Jesus in erster Linie "der göttliche Sohn (ist), den Gottvater in die Welt gesandt hat, um uns von unseren Sünden zu erlösen" (17). Dieser Denkrahmen mit seinem individualistisch-exklusiven Verständnis Jesu führe zu einer Praxis der Ausgrenzung und nehme Herrschaftsfunktionen gegenüber Judentum, kolonialisierten Völkern und Frauen wahr. Auch feministisch-theologische Christologien seien bislang diesem Denkrahmen verhaftet. Demgegenüber will die Vfn. Diskurse im Sinne einer kritisch-feministischen Befreiungstheologie von einem neuen hermeneutischen Ort aus formulieren, und zwar "(d)urch das Heranziehen des Bildes vom Tisch der Göttlichen Weisheit und von Marias Besuch bei Elisabeth als metaphorische Markierungen" (17). Auf diese Weise lasse sich aus den Herrschaftsmechanismen bisheriger Christologie - und in ihrer Folge Theologie - ausbrechen.

Die Vfn. liefert einen in sich stimmigen Beitrag zu Diskursen über Jesus mit der Perspektive eines neuen Redens von Gott, das seinen hermeneutischen Ort in der "Frauen-Ekklesia" hat. Sie bringt damit befreiungstheologisch-feministische Theologie im amerikanischen Kontext einen Schritt weiter. Beeindruckend ist, wie die Vfn. zur Basileia-Vorstellung sowie zur Weisheitstheologie weiterführende historische Entdeckungen entfaltet, diese dekonstruktiv auf die Gestalt Jesu anwendet und in herrschaftskritischer Funktion für ein gegenwärtiges Reden von Gott und eine Praxis der Veränderung fruchtbar macht. Einen neuen Impuls liefert in diesem Zusammenhang auch ihre Dekonstruktion der Gestalt der Maria.

Im Kontext der feministisch-theologischen Diskussionen in Deutschland ist es m. E. lohnend, im kritischen Gespräch mit der Vfn. zu fragen: Kann die Rede vom erlösenden Handeln Gottes in Christus, das von Sünde befreit, nicht auch eine herrschaftskritische Funktion wahrnehmen, wenn sie im Kontext befreiungstheologisch-feministischer Theologie "Sünde" und "Erlösung" neu interpretiert und ein göttliches Handeln zur Sprache bringt, das alle menschliche Herrschaft durchkreuzt? Und kann nicht von der Bedeutung des Leidens Jesu so gesprochen werden, daß diese Rede hilft, Leid auf herrschaftskritische Weise als Teil eines spannungsvollen und lebendigen Lebens anzunehmen?