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Ausgabe:

Juni/1996

Spalte:

586 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Friedrich-Wilhelm von

Titel/Untertitel:

Wege ins Ereignis. Zu Heideggers "Beiträgen zur Philosophie".

Verlag:

Frankfurt/M.: Klostermann 1994. X, 409 S. 8°. Kart. DM 84,-. ISBN 3-465-02662-4.

Rezensent:

Michael Trowitzsch

Martin Heideggers "Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)" - außerordentlich dichte, auch umfangreiche Aufzeichnungen (im Druck mehr als 500 Seiten), die in den Jahren 1936-1938 entstanden sind - stellen ein epochales Werk der Geistesgeschichte unseres Jh.s dar, eine weite, höchst befremdliche, manchmal beschwerliche Reise an die Grenze der Zeit. Sie werden m. E. an Bedeutung immer noch zunehmen. Als Zeitgenossen wachsender Bedrohungen und der sich immer unabweisbarer darstellenden Notwendigkeit der Erneuerung der Zeit wissen wir mit jedem Jahr besser, wovon Heideggers Werk handelt - die "Beiträge" lassen sich um so mehr als ein Versuch verstehen, aus einem Bann herauszutreten.

Im Denken Heideggers nimmt dieses Werk seinerseits einen zentralen Platz ein. Erst zur hundertsten Wiederkehr des Geburtstages des Philosophen 1989 von Friedrich-Wilhelm v. H. im Rahmen der Gesamtausgabe der Werke editiert, darf dieses Buch neben "Sein und Zeit" (1927) als das zweite, vielleicht das eigentliche Hauptwerk des Denkers gelten. Es gibt einerseits so etwas wie einen ausführlichen Lageplan oder Grundriß seines weit ausholenden Denkens ab, führt aber, darüber hinaus, durchaus den gedanklichen Bau an vielen Stellen aus, legt Fundamente oder bereitet weitere Ausführungen vor und dringt an nicht wenigen Stellen in Höhenbereiche vor, die die späteren Arbeiten nicht wieder erreichen.

Die in den folgenden Jahren von Heidegger ausgearbeiteten Überlegungen lassen sich zu großen Teilen in diesen Gesamtentwurf einzeichnen. Die immer noch anstößigen, von Philosophie und Theologie nicht hinreichend bedachten Gedanken zur neuzeitlichen Technik, zur Kunst, zum Begriff der Wahrheit, die in große Tiefe hinabreichenden problemgeschichtlichen Er-örterungen, z. B. die Überlegungen zum Denken Nietzsches und zu Hölderlins Dichtung - jeweils kommt ihnen ein benennbarer Ort im hier entworfenen Gesamtgefüge des Denkens Heideggers zu. Den einzelnen Themen wächst durch die Möglichkeit dieser Einzeichnung topologisch eine ganze Dimension ihres Verständnisses zu.

Es ist der große Vorzug des Buches von Friedrich-Wilhelm v. H., auf den spezifischen Grundrißcharakter von Heideggers "Beiträgen" ausführlich einzugehen und die "Fügung" (nicht Systematik), die Heidegger vor Augen hat, umsichtig darzustellen, ihren Gesamtsinn als ihre besondere Offenheit für eine zukünftige Gestalt des Denkens aufzuhellen, die Bedeutung der einzelnen Abschnitte und den Sinn ihrer Abfolge zu klären - und in alledem die Bezüglichkeit, aber vor allem die innere Weiträumigkeit der einzelnen Kap. vor Augen zu führen. Dabei setzt v. H. immer wieder das hier in den "Beiträgen" begegnende "seinsgeschichtliche" Denken in Beziehung zum vorausgehenden "transzendental-horizontalen" Denken von "Sein und Zeit". Jenes versteht sich selbst als im Übergang begriffen von der Geschichte des ersten Anfangs, der Geschichte der bisherigen Philosophie als eines Prozesses zunehmender Verdüsterung, zum anderen, gerade im Bedenken jenes ersten Anfangs im griechischen Denken erst vorzubereitenden Anfang: einem neuen Weltaufgang, einer neuen Ankunft jener verdunkelten Größe - des Seins. Das Sein wird die Welt aus ihren technischen Definitionen entlassen.

Es handelt sich bei diesem Buch um 16 ursprünglich selb-ständige, überwiegend bereits publizierte Nachzeichnungen des Denkens Heideggers (darum begegnen sehr viele Wiederholungen), die v. H. in vier Kapiteln ordnet. Ein erstes Kap. "Das Ereignis und seine Fügungen" nimmt sich im besonderen des Übergangs von "Sein und Zeit" zu den "Beiträgen" und der gedanklichen Abfolge der dort genommenen acht Schritte an. Heidegger entwickelt in diesen Schritten die Grundzüge seines Seinsdenkens: I. Vorblick II. Der Anklang III. Das Zuspiel IV. Der Sprung V. Die Gründung VI. Die Zukünftigen VII. Der letzte Gott VIII. Das Seyn. Die Kap. 2-4 bei v. H. erläutern, jeweils mit besonderer Berücksichtigung der "Beiträge", doch durchaus auch über sie hinaus, zentrale Themen des Heideggerschen Denkens: "Technik - Kunst und Ereignis"; "Sprache - Dichtung und Ereignis"; "Mensch - Gott und Ereignis". Was v. H. mit Recht nahelegt: daß die Schriften Heideggers, die nach 1938 entstanden sind, "nun mit Blick auf die ,Beiträge' neu gelesen werden" müssen (2), bietet er zu einem Teil, nämlich hinsichtlich einiger Aspekte der genannten Themen, in diesem Buch bereits selbst.

In seinen Interpretationen und Referaten bleibt der Autor ganz immanent im Bereich des Denkens und der Sprache Heideggers. Seine außerordentliche Vertrautheit mit den Texten ermöglicht ihm durchgängig zuverlässige Wiedergaben und hilfreiche, ganz im Dienst der inneren und äußeren Strukturierung der Heidegger-Texte stehende interpretatorische Erschliessungen. Zweifellos gelingt ihm mit diesem Buch eine nützliche Einführung in die schwer zugänglichen "Beiträge", freilich wohl nur für denjenigen, der mit Heideggers Denken bereits vertraut ist.

Deutlich wie in wohl keiner anderen Arbeit Heideggers wird in den "Beiträgen" sichtbar, daß diesem Denken im ganzen ein "großes Entsetzen" (Beiträge, 158) zugrunde liegt. Es wird von der Frage bestimmt, wie im Wissen um dieses Entsetzliche die Würde des Menschen gewahrt werden kann. Zur Beantwortung dieser Frage sucht es die Erscheinung "Anfänglichkeit" so tief wie möglich freizulegen.