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Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

717–722

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Heintel, Erich

Titel/Untertitel:

Gesammelte Abhandlungen. Bde. 3 u. 4: Zur Theologie und Religionsphilosophie.

Verlag:

Stuttgart (Bad Cannstatt): Frommann-holzboog 1995. zus. 998 S. Lw. je DM 98,-. ISBN 3-7728-0918-9 u. 3-7728-1511-1.

Rezensent:

Herbert Hanreich

Im Rahmen der Herausgabe der Gesammelten Abhandlungen des Wiener Philosophen Erich Heintel (geb. 1912), angelegt auf neun Bände, sind nun die Bände 3 und 4 zur Theologie und Religionsphilosophie erschienen. Die darin vereinigten, zwischen 1947 und 1992 verfaßten Aufsätze geben ein rundes Bild vom geistigen Schaffen eines Philosophen wieder, der ganze Generationen österreichischer und württembergischer Theologen - unterstützt von deren landeskirchlichem Bischof - mit seinem Programm einer "denkenden Aneignung immer schon vorausgesetzter Religion" über Jahrzehnte hinweg konfrontieren konnte. H. hatte wie kein anderer das philosophische Ge-schehen in Wien nach 1945 dominiert, seine Schüler besetzen heute zahlreiche Lehrstühle im In- und Ausland an verschiedenen Fakultäten. Nicht wenige der nun kompilierten Aufsätze sind von ihm selbst autorisierte Niederschriften frei gehaltener Reden, erschienen in oft nur schwer zugänglichen Schriften, etwa im "Gallneukirchner Boten" oder in Festschriften. Insofern ist die Herausgabe der Schriften Erich H.s ein Desiderat. Sie erschließen dem Leser einen geistigen, auch geistlichen Horizont, in dem Schriftsteller wie M. Cervantes, J. Paul, A. Stifter, R. Musil, Th. Mann oder F. Ebner einer zugespitzten religionsphilosophischen Interpretation ebenso unterzogen werden wie M. Luthers Schriften zur Freiheit. Äußerst informative und lesenswerte Rezensionen (über Brentano, Fichte, Ebner, aber auch über gegenwärtige Religionsphilosophen und Theologen) ergänzen die Lektüre, die allerdings durch zahlreiche Wiederholungen, ja mehrfach verwendeter Kopien ganzer Ab-schnitte getrübt wird. Zentrum im Denken H.s bleibt aber die große abendländische Tradition der Philosophie und ihre Nähe zur Religion, die - wie er es in Anschluß an Leibniz nennt - philosophia perennis.

1. Die Überlegungen H.s zur Theologie und Religionsphilosophie sind ohne Bezugnahme zu seinem systemgeleiteten Begriff von Philosophie nicht verstehbar, denn für ihn ist die Sache der Theologie eine wesentliche und immanente Aufgabe der Philosophie selbst. Er stellt sich damit bewußt in die große Tradition eines abendländischen Denkens, dem die Vermittlung religiöser Themen mit den Mitteln der Philosophie aufgegeben war und sich dazu auch imstande sah. H. zieht hierfür die "Säulenheiligen" der Philosophiegeschichte heran (insbesondere Platon, Aristoteles, Augustinus, Th. v. Aquin, Leibniz, Kant, Hegel und immer wieder den späten Schelling) und läßt sie gleichsam als Zeitgenossen zu Wort kommen, ergänzt mit Luther und korrigiert durch ein existentielles Moment. Sie ha-ben, so ist zu schließen, das philosophisch Wesentliche zur Re-ligion für unsere Zeit bereits vor unserer Zeit gesagt. Es gelte daher, in einer - wie H. des öfteren betont - "recht verstandenen", nicht unbedingt unkritischen Lesart deren Gedanken auszulegen und sie im Sinne einer philosophia perennis gegenwärtigem religiösen Selbstverständnis zugänglich zu machen. Als Negativfolie dienen ihm diverse religionskritische Formen des sogenannten Neopositivismus, denen er ein reduktionistisches Menschenbild vorhält, aber auch schwärmerische ("unreflektierte") bzw. philosophisch unterbestimmte Positionen ("Negative Theologie") innerhalb der Theologie. Philosophieren im Sinne der Tradition hingegen vermag nicht nur über Sinnorientierungen zu reflektieren, sondern auch die Sinnfrage der Theologie für den Menschen zu klären.

Philosophie ist für H. Prinzipienwissenschaft, die zur Aufgabe hat, "die Voraussetzungsproblematik allen Erkennens von empirischer Einzelforschung bis zur Theologie hin, einschließlich ihres eigenen Vorgehens, aufzuzeigen und zu entwickeln" (4, 328). Darüber hinausgehend "vermag sie jeden - auch ihren eigenen - Wissensanspruch an seinen ihm zukommenden systematischen Ort zu stellen" (ebd.). Ihr wird damit wieder die Funktion des "Platzanweisers" im Chor der Wissenschaften zugetraut.

Doch Philosophie orientiert für H. nicht nur im "Streit der Fakultäten", sie orientiert ebenso das Individuum in seinem Fremd- und Selbstverhältnis gegenüber anderen Sinnangeboten und klärt auf über "Sinnmöglichkeiten und Sinnverwirklichungen des Menschen im Gesamtraum der Humanität". (ebd.) Das "richtige" Sinnangebot ist zu erkennen - und "aus Freiheit" zu ergreifen. Denn Philosophie eröffnet die "Einsicht in bestehende Rangordnungen freiheitlicher Selbstbestimmung" (4, 332), deren Nichtbeachtung einer existentiellen Verfehlung der "Vollwirklichkeit menschlichen Seins" gleichkommt. Diese Verschränkung von einer Art anthropologisch-hierarchischer Wertontologie, die zu Unrecht an Scheler erinnert, mit existentialistischen Motiven führt ihn schließlich zur philosophischen Erschließung des Religiösen als dem "höchsten" Wert. Ihm messen seine Altersschriften zunehmend Bedeutung bei.

2. Der Leser darf gespannt sein, wie der Philosoph es unternimmt, eine "denkende Aneignung der traditionellen Glaubens-inhalte" (4, 13) auf dem "Boden der Freiheit" (Hegel) durchzuführen, also Sittlichkeit und Freiheit mit dem christlichen Glauben so zu vermitteln, daß beide Seiten ihren "jeweils spezifischen Sinnanspruch" (4, 21) beibehalten können. H. stützt sich dabei auf einen Philosophiebegriff, den er in seinem Hauptwerk "Die beiden Labyrinthe der Philosophie" (1968) auf überzeugende Weise "am Leitfaden der Sprache" entwickelte. Zu dessen wesentlichem Ergebnis ist die Einsicht zu zählen, daß die Dichotomie von Sein und Sinn aufzugeben ist, da ersteres als immer schon sprachlich Vermitteltes stets nur als Sinnhaftes zu haben ist. Hierin ist die Freiheit des jeweils sinnstiftenden, weil sprachbegabten Individuums verortet, hierin liegt die nachvollziehbare philosophische Aktualität H.s. Er geht aber in seinen religionsphilosophischen Schriften noch einen Schritt weiter: Er indiziert diese Sinngebungen, wie oben angedeutet, mit Werten und wägt sie ontologisch ab. Daraus ergeben sich nicht geringe philosophische Schwierigkeiten.

Folgende Schritte lassen sich in seinem Gedankengang ausmachen: Zunächst sind "vorgegebene (sprachlich formulierte) Sinnansprüche [des sich aus Freiheit bestimmenden Individuums - H. H.]... einmal hinzunehmen und darauf auszugehen, sie so zu verstehen, wie sie gemeint sind" (4, 360). Diese müssen freilich mittels "der" Philosophie auf ihre Vernünftigkeit und Wahrheit kritisch überprüft und in besagte systematische "Rangordnung" gebracht werden. Hierbei zeigt sich, daß es "für den Menschen nicht abzuweisende ,Fragen von höchstem Interesse'" (4, 361) gibt, die sich sowohl empirischer Verifizierbarkeit als auch Falsifizierbarkeit prinzipiell entziehen. Der Philosophie wird damit eine doppelte Aufgabe zugetraut: in kritischer Prüfung "höchste Interessen" zu eruieren und sie als zum Wesen des Menschen gehörig auszuweisen; dann dem existentiellen Sprung in die "richtige" Entscheidung, eben dem Ergreifen dieses höchsten Interesses, transzendentalphilosophisch gleichsam den Rücken freizuhalten, als einen philosophisch nicht ungangbaren Weg (H. spricht hier, mit Kant, von einer "begründeten Einsicht in die Unwissenheit"). Denn nur die "freie" Besetzung des menschlichen Transzendenzbezuges, so H. sinngemäß, garantiere den eigenständigen Sinn des Glaubens. Die Kritik der reinen Vernunft Kants habe dies gezeigt. Tatsächlich habe noch keiner Gott bewiesen, aber - und das sei das Entscheidende - ebensowenig seine Nichtexistenz. Insofern sei alle Religionskritik, die auf Widerlegung der Existenz Gottes aufbaut, obsolet. Der somit vorbereiteten offenen, "freien" Möglichkeit des Menschen zum Ergreifen der religiösen Existenz ("Totalexperiment gläubiger Existenz") stehe also aus vernunftinternen Gründen nichts mehr im Wege.

Problematischer jedoch ist die Durchführung der ersteren Aufgabe, nämlich moralische Freiheit (Autonomie) und gläubige Existenz (Theonomie) bei gleichzeitiger Garantie ihrer Eigenständigkeit zu verbinden, im Namen einer "vorurteilslos" (4, 88 u. ö.) orientierenden Philosophie. Dafür führt er sechs "Sinnebenen" der freiheitlichen Selbstbestimmung an (aus Lust, Arterhaltung, aus utilitaristischen Motiven, aus Gründen der Rechtlichkeit, der Moralität und schließlich aus "Freiheit vor Gott"), die zwar dem freien Individuum zur freien Disposition stehen, aber sogleich wieder normativ, d. i. zugunsten einer seienden Wertehierarchie eingeschränkt werden. Läßt sich nämlich das Individuum auf die letzte, "höchste" Sinnebene ("Freiheit vor Gott") nicht ein, dann "muß es in Anbetracht des Gesamtraums der Wirklichkeit unausweichlich zu einer Verkürzung des Problemhorizonts kommen, die in theoretischer und praktischer Vernunft ebenso wie im Glauben dem ,Begriff des Menschen' nicht gerecht wird" (4, 240). Was in den frühen Schriften H.s noch im Zeichen der existentiellen "Bewährung", der "unbedingten Glaubensentscheidung" (3, 70) stand, gewinnt später zunehmend christlich-ontologisch-anthroplogische Züge, mit Folgen für die Logik: Das Gesollte ist immer schon an ein vorausgesetztes "Sein" gebunden, obwohl es der Wahlfreiheit erst zur Disposition stehen soll. Der "Vollsinn menschlichen Daseins" könne gemäß H. erst - und nur da - in der religiösen Existenz erfahren werden. Im Klartext heißt dies, daß die "freie" philosophische Einsicht darin zu bestehen habe, zu erkennen, daß sie eigentlich keine Entscheidungsfreiheit habe. Diese Ambivalenz wird noch verschärft: "Nur der Mensch (und jeder Mensch) erfährt sich als ,gottsetzendes Bewußtsein', wie immer er auch dieses interpretiert". (4, 394; Hervorhebung H.H.) Diese "aus Freiheit" erreichte, aber auch verfehlbare "Seinsvollkommenheit" macht das "Wesen" des Menschen und seine Sonderstellung gegenüber anderen Kreaturen aus, wobei offensichtlich wird, daß H.s Begriff der Freiheit immer mehr als "Freiheit eines Christenmenschen" gemeint ist, ohne dabei je-doch Luthers christologischen Ansatz nachzuvollziehen.

Zwar wagt er den "freien" "Sprung" in das "Totalexperiment des Glaubens", aber er tut es letzten Endes, weil er, orientiert von "der" Philosophie, ontologisch muß - schließlich geht es um nichts Geringeres als um den normierten Vollsinn des menschlichen Daseins, dessen religiöse Dimension bereits von vornherein anthroplogisch feststeht. Diese Ambivalenz wird H. nicht mehr los. Es spricht dann tatsächlich der "Theologe" H., der mit seiner philosophischen Bildung bemüht ist, durch Anlehnung an deren Sprache die gläubige Existenz methodisch zu legitimieren, die aber - aus welchen Gründen auch immer - das Leben im Glauben schon längst vollzogen hat. Die orientierende Philosophie, als stünden ihr keine anderen vollsinnhaften Wege zur Verfügung, kommt hier immer zu spät.

In der weiteren Entwicklung des Gedankens verundeutlichen sich die Grenzen zunehmend zwischen persönlichem "Glaubensakt" und philosophischen Überlegungen, so etwa an der von H. angesetzten Schnittstelle der Begegnung des Menschen mit Gott. Sie ist abermals zirkulär. Denn einerseits beruft er sich, wie soeben dargestellt, auf das jedem Menschen wirklich zukommende "gottsetzende Bewußtsein", dem "bezüglich Gottes kein Verharren im bloßen Schweigen... möglich ist" (4, 145); andererseits wird die Qualifizierung dieses Bewußtseins dem sinnstiftenden Individuum überlassen, dem wiederum philosophische, also "vorurteilslose" Orientierung auch bei dieser Aufgabe zugetraut wird. Dieses findet - selbstverständlich!, muß man hinzufügen - heraus, daß es für die Beantwortung der Frage: "...wie ist Gott zu denken, wenn dem, was Glauben heißt, Sinn zukommen soll?" (4, 144) besser ist, anzunehmen, daß das "deus est" Sinn hat und "daß Gott selbst (in seiner Offenbarung) gesprochen hat..., weil sonst Glaube nicht sinnvoll gedacht werden kann" (4, 145). Also nimmt es das an. H. spricht hier "von einem für Mensch und Gott in gleicher Weise verbindlichen ,Sinnapriori' in bezug auf die Offenbarung" (4, 146), wodurch "Gott und Mensch immer schon zusammen ge-kommen sein [müssen], soll zwischen ihnen in (und trotz) ebenbildlicher Differenz eine wie immer sich weiter im Wort er-schließende bzw. verschließende Gemeinschaft als möglich ge-dacht werden" (4, 389). Also nimmt es das ebenfalls an.

In dreifacher Hinsicht scheint also für H. die philosophische Ratio die religiöse Sinnsteuerung zu übernehmen, ohne jedoch zu bemerken, daß sie selbst immer schon religiös sinngesteuert ist: Jeweils sei es "sinnvoller" anzunehmen, daß Gott existiert; daß Gottes und der Menschen Sprache eine gemeinsame Basis hätten; und daß Gott tatsächlich zu uns gesprochen hätte. Offensichtlich setzt dieser Orientierungsvorschlag bereits eine religiös inspirierte Orientierung vor dieser Orientierung voraus, denn es "konstituiert auf der einen Seite tatsächlich der Glaube, und nur der Glaube, jenes ,est' [Gottes - H. H.]". (4, 146)

3. Auf diese Prävalenz des Glaubens, der "wesentlich zum menschlichen Dasein gehört" (4, 144), kommt es dem Theologen H. an. Aber genau diese Sichtweise müßte dem Philosophen H. zum Problem werden, wird es aber nicht. Denn wenn es stimmt, daß dem Sinnanspruch des Glaubens der höchste Wert zugemessen werden muß, da Gott "von seinem Begriff her nur als höchste sinngebende Instanz gedacht werden kann" (4, 352), und wenn dieser höchste Wert dem Individuum "im Ganzen seiner Daseinsführung maßgebend zum Zuge komm[en]" (ebd.) soll, dann ist ja bereits die Qualifizierung der Rangordnung je-ner Sinnansprüche ebenso "im Zeichen des Glaubens" erfolgt. Das Resultat steht bei solchen Prämissen natürlich fest. Die "freie" Philosophie ist hierbei nicht mehr mit im Spiel.

Wozu also hier noch Philosophie, wenn ihr Scheitern als freie von vornherein feststeht? Und ist dann das Konstatieren dieses Scheiterns wirklich ein philosophieinternes Begründungsprojekt oder nicht vielmehr bloß folgerichtige Konsequenz einer selbstverschuldeten Überforderung?

Ein schönes Beispiel davon liefert die von H. oft herangezogene "Lehre" von der sog. analogia entis, jener von Thomas v. Aquin geprägten Einsicht in die Unmöglichkeit der adäquaten Rede vom Dasein Gottes. (H. widmete diesem Thema schon 1958 ein damals vielbeachtetes Büchlein mit dem Titel "Hegel und die analogia entis"; es ist hier im 3. Band wiederabgedruckt.) Sie beläßt Gottes Transzendenz, ohne jedoch sein Be-denken als sinnlos verurteilen zu können. Für diese Lehre gilt (wie auch für den ontologischen Gottesbeweis): daß "im Grunde in der Frage nach der Möglichkeit der analogen Rede in bestimmten Prädikationen immer schon vorausgesetzt ist, ,daß Gott ist'". (4, 400) Der analogia entis wird daher die analogia verbi beigestellt, mittels derer das offene Resultat, daß Gott nicht nicht sein kann, in ein affirmatives mündet. "Eh kloa", möchte man auf gut wienerisch kommentieren. Analoges gilt für die neuzeitliche Version der analogia entis, der Lehre vom spekulativen Satz, also für jenen Versuch von Hegel, die kontingente Aussagewahrheit der religiösen Rede von Gott von innen her zu sprengen und den Spieß einfach umzudrehen: "...so kann eigentlich die dialektische Bewegung des spekulativen Satzes - sofern in ihm von Gott die Rede ist - nur Gott selber sein: wir können von ihm nur zum Begriff kommen, wenn er selber die dialektische Vermittlung ist, wenn er also selbst die ontologische Differenz des Einen und Vielen aufhebt" (3, 126 f.).

Das stimmt zweifellos, zumindest von der Logik her. Aber was ist mit solcher Dialektik gewonnen außer der philosophisch trivialen Einsicht, daß es besser ist anzunehmen, daß die Voraussetzung ("analoge Rede") eine Voraussetzung ("Gottes Existenz") hat? Das erinnert ein wenig an Nietzsches Diktum über Kant, seine Transzendentalphilosophie erkenne "vermöge eines Vermögens". Von Vorurteilslosigkeit einer so konzipierten Philosophie kann keine Rede mehr sein; derart überfordert, darf sie schließlich dem Glauben Platz machen. Das haben philosophieferne Theologen immer schon behauptet. Aber H. geht noch einen Schritt weiter.

4. Die christliche Theologie ist eine konfessionelle Wissenschaft, d. h. sie ist in ihrer Sinnerschließung an eine generelle Blickrichtung gebunden und zeugt daraus ihre Resultate. Sie operiert mit reflexiven "objektiven" Vorgaben (Bibel, Bekenntnissen, Glaubenstraditionen, kanonischen Werken, etc.), die sie zwar bedenken, nicht jedoch ohne Selbstgefährdung prinzipiell infrage stellen darf. Hingegen scheint das Geschäft heutigen Philosophierens darin zu bestehen, von vorgegebenen Blick-richtungsanweisungen absehen zu wollen und dennoch methodisch zur Kenntnis zu nehmen, daß ungebundene Sichtweisen nicht möglich sind, unser Denken und damit auch das philosophische also kontingent ist.

Allerdings wird diese Kontingenz von der Objektebene in das Gesichtsfeld oder in die Perspektive des Beobachters hineinverlegt, da die sprachliche Formung dieser Erkenntniskontingenz rückfrageoffen, da selber kontingent, bleiben muß: sie kann so, aber auch anders sein. Sie ist als eine bestimmte Form von Kommunikation nüchterner Analyse zugänglich, jenseits dramatisierter Kompensationskalküle (Vorwegnahme des eigenen Todes, schicksalshafte moralische Verfehlungen usw.). Was der Philosophie dann bleibt, ist eine sachliche Kritik an Konzepten, die über ihre jeweilige Perspektivik hinausreichen möchten und Einsichten verkünden, die sie angeblich "wesentlich" erschlossen haben. H. selbst hat diese kritische Funktion der Philosophie besonders in seinen Rezensionen auf überzeugende Weise vorgeführt. Was weiterhin bleibt, ist in der Tat jene existentielle Freiheit, sich - so man will - einem Leben im Glauben zu widmen, allerdings jenseits von hierarchischen Ontologien im Namen einer für sich erkannten "Vollwirklichkeit". Aber hier gäbe es dann nichts mehr, das sich mit den Mitteln der Philosophie denkend aneignen ließe. Mit den "objektiven" Kontingenzen seines Seins hat das Individuum - philosophisch gesehen - alleine fertig zu werden; dies ist dann eine Frage des gelungenen Lebens. "Trost" spendet sie höchstens darin, indem sie zeigt, daß alle Formen von Tröstungen mit Philosophie nichts mehr zu tun haben und sie daher von dieser Aufgabe zu entlasten ist. Auch die Theologie kann sich mit einer Kompensationstheorie nicht mehr zufriedengeben.

Auch dieses Denken hat seine Tradition, die zwar keine perenne ist, aber zumindest eine moderne. Von hier aus mutet es dann etwas irritierend an, wenn man bei H. auf einen Aufsatz mit dem Titel "Unsterblichkeit und Auferstehung, wie sie der Philosoph versteht" stößt. Darin kann man lesen: "Das Leben nach dem Tode muß der individuellen Identität und dem Zusammenhang zwischen hier und jenseits entsprechen und der Totalbetroffenheit vom Tod gerecht werden. Diesen Kriterien genügt aber zuletzt nur der Begriff einer individuell-leiblichen Auferstehung. Dieser Begriff scheint mir durchaus gedanklich vermittelt zu sein, auch wenn wir nicht in der Lage sind, uns von der Auferstehung und dem ewigen Leben Vorstellungen zu bilden. Derartige Vorstellungen führen nur allzuleicht ins Abstruse" (4, 153). Wie wahr! Aber für H. ist erst (!) hier "der Philosoph notwendig an eine Grenze gelangt" (ebd.). So könne Philosophie freilich noch vermitteln, daß allein die Annahme der individuellen Unsterblichkeit eine sinnvolle - im Sinne der denkenden Aneignung des Glaubens - ist. Was bedeutet dann aber "ge-danklich vermittelt" noch anderes als die schlichte Einsicht, daß die leibliche Auferstehung ein ziemlich sympathisches Konstrukt ist? Welche Philosophie, die nach H. nur als "methodisch fundierte wissenschaftliche... möglich" (3, 31) ist, soll in diesem Metier, das nicht das ihre ist, noch greifen? Hier rächt sich das unbedachte Herbeizitieren von "der" Aufgabe "der" Philosophie, die beim Verrichten des theologischen Geschäfts wohl vorurteilslos nur sich selbst gegenüber ist. Die beiden Ebenen des dogmenfreien, re-flektierenden Denkens und des dogmenreflektierenden, gebundenen Denkens verschwimmen zusehends, zum Nachteil beider Seiten: der Philosophie, indem sie sich in den Dienst der Religion stellt und im Namen totaler Betroffenheit die ihr gebotene Distanz zur Religion missen läßt. Sie be-nimmt sich die Möglichkeit, von einer Außenperspektive her die Theologie in ihrem Selbstverständnis als Wissenschaft dort kritisieren zu können, wo sie u. U. ihren eigenen (impliziten) Prämissen, nämlich wirkliches Wissen sein zu wollen, methodisch nachhinkt; andererseits machte sich die Theologie im Sinne H.s von einer Philosophie abhängig, die sie darüber aufklären möchte, auf welche Richtung hin sie das ihr ureigenste Geschäft der Bibelauslegung zu verrichten habe. Damit landeten wir im Mittelalter, der Hoch-Zeit perennen Philosophierens.