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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

869 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Braun, Bernhard

Titel/Untertitel:

Ontische Metaphysik. Zur Aktualität der Thomasdeutung Cajetans.

Verlag:

Würzburg: Königshausen & Neumann 1995. 217 S. gr.8o. DM 58,-. ISBN 3-8260-1014-0.

Rezensent:

Gerhard Müller

Wer vom Untertitel ausgeht und Ausführungen zur gesamten Thomasdeutung durch Cajetan erwartet, muß sich eines Besseren belehren lassen: Es geht hier nicht um den Kommentar des Gaetaners zur "Summa theologiae" des Aquinaten, der durch die Aufnahme in die Leonina offiziöses Gewicht erhalten hat, sondern um den zu "De ente et essentia" von 1495, also um eine frühe Arbeit Cajetans. Lediglich die Transzendentalphilosophie des Spätscholastikers wird als "Ideengebäude" zum Studienobjekt. Der Vf. versteht seine Analyse als "eine grundlagenorientierte wissenschaftliche Arbeit", die nicht im Geist der Neuscholastik des 19. Jh.s eine neue Metaphysik kreieren soll. Jedoch soll "einer Philosophie, die einmal überholt schien, ...die Chance einer neuen Verwirklichung, zumindest einer neuen Bewertung" gegeben werden.

Einleitend wird kurz auf "Person und Werk" hingewiesen. Cajetan habe "nur eine begrenzte Wirkgeschichte" besessen. "Dazu ist sein Denken zu geschlossen, ...auch zu unbequem." Aber B. hält es für möglich, "manche Bausteine" seines philosophischen Denkens "in eine heutige Diskussion um Metaphysik einzubringen". Bei aller Sympathie für seinen Autor, der an der Schwelle zur Neuzeit stehe, die "vernunftorientiert" und "subjektzentriert" sei, wird doch auch festgestellt, daß der Gaetaner sich "mancherorts einer... bis ins Dürre abgleitenden Formalistik" bedient oder "sehr spitzfindige Überlegungen" vorgetragen habe. Aber gleichwohl wird seiner Philosophie Aktualität zugesprochen.

Cajetans "Ontische Methaphysik" wird in sechs Kapiteln vorgestellt: "ens und essentia im erkenntnismetaphysischen Horizont", "Ontik als das Konkret-Einzelne", "Das Einzelsein im Menschsein", "Essenz und Logik", "Die Essenz und die reinen Substanzen - Öffnung des In-Seins" sowie "Der Habitus primorum principiorum". B. hält sich streng an seine Vorlage und weist nach, wie Cajetan den Aquinaten in seine eigene Zeit hinein übersetzt und weiterführt. Dies geschieht durch Bekämpfung, aber auch durch Aufnahme nominalistischer Anliegen. Der Vf. unterstreicht, daß der Gaetaner "nirgendwo jene Absolutheitsansprüche" erhoben und "Letztbegründungsambitionen" besessen habe, "die dem Thomismus von seinen neuthomistischen Eiferern angedichtet worden sind". Zugleich habe er sich aber für Metaphysik stark gemacht, die es zu tun habe "mit der immer unzureichend bleibenden Auslotung der Abgründigkeit des Seins".

Nur gelegentlich wird deutlich, daß es sich hier um eine christliche Philosophie handelt, wenn etwa vom Schöpfer und der Schöpfung gesprochen wird oder wenn es heißt: Der "vernünftige Bezug zum Realen im Subjekt wie im Objekt (ist) vielleicht der wertvollste Schatz christlicher Philosophie". Insofern scheint mir die "Aktualität" dieser Metaphysik begrenzt zu sein. B. spricht auch von "einer nach absoluter Autonomie strebenden wissenschaftlichen Welt", die ganz andere Voraussetzungen besitzt als das Denken Cajetans. Ob die Postmoderne wirklich nahe bei ihm ist, weil er auf Absolutheitsansprüche verzichtete? Es heißt: "Cajetan wittert offensichtlich ein latentes menschliches Bemühen, die Gestaltung der Wirklichkeit autonom vom eigenen Bewußtsein aus durchzuführen. Damit kann nicht nur eine transzendentalphilosophische Subjektivierungs-tendenz angesprochen sein, sondern - als deren letzte Konsequenz - auch die Reduktion Gottes auf eine formale Größe und seine damit verbundene Verschiebung in das Geschaffene." Damit würde sich der Gaetaner tatsächlich als an der Schwelle zur Neuzeit stehend erweisen. Aber ob dies die Lösung ist, wenn der Vf. fortfährt: "Die neuzeitliche Abdankung dieses Gottes als ein Produkt menschlicher Phantasie wäre als historisch fälliger Schritt sozusagen Folge der Mißachtung der Analogie." Hier dürfte sich mehr geändert haben als nur die Mißachtung eines für Cajetan wichtigen Schlüsselbegriffs.

Die sprachlich zwar teilweise eigenwillige, aber stets anregende Untersuchung, weist auf ein Arbeitsgebiet Cajetans hin, das in der evangelischen Welt wenig beachtet wird. Dies zu verändern, dazu vermag die gelehrte Arbeit beizutragen, obwohl ihr erstes Anliegen auf die römisch-katholische Theologie gerichtet ist, nämlich auf "die Freilegung von Cajetans Thomismus von neuscholastischen Verfremdungen".