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Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

714 f

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Albert, Karl

Titel/Untertitel:

Lebensphilosophie. Von den Anfängen bei Nietzsche bis zu ihrer Kritik bei Lukács.

Verlag:

Freiburg-München: Alber 1995. 205 S. 8 = Kolleg Philosophie. Kart. DM 38,-. ISBN 3-495-47826-4.

Rezensent:

Dieter Schellong

Das Buch ist als eine Einführung gemeint, die den Sachkomplex "Lebensphilosophie" vorstellt und die wichtigsten Vertreter dieser Art von Philosophieren charakterisiert. Der Aufbau ist einleuchtend: Nach einer Einleitung, die das Thema aufschlüsselt, ist die weitere Anordnung historisch: Von der "Vorbereitung" der Lebensphilosophie durch F. Schlegel, Schopenhauer und Guyau wird weitergegangen zur "Grundlegung" durch Nietzsche, Dilthey und Bergson sowie zur "Entfaltung" bei G. Simmel und einigen anderen Denkern wie Th. Lessing, Klages, Keyserling und vor allem Ortega y Gasset. Den Ausblick bilden zwei Abschnitte, deren erster sich mit der wohlwollend-verständnisvollen und auf Weiterführung der Lebensphilosophie zielenden "Interpretationen" vor allem bei Scheler und Bollnow befaßt, während der letzte Abschnitt die "Kritik" an der Lebensphilosophie durch Rickert und den späten Lukács thematisiert. Das Material kann als zureichend erfaßt gelten, und da das Buch gut lesbar geschrieben ist, kann es der gestellten Aufgabe einer Einführung und Übersichtsdarstellung durchaus gerecht werden. Dem schwierigen Unterfangen, mehrere Denker und ihr Vorgehen in geraffter Form vorzustellen, ist der Vf. mit Geschick und mit einer oft plastischen Darstellung nachgekommen. Daß die verschiedenen Porträts unterschiedlich ausgefallen sind, liegt auch am Gegenstand. So ist die Darstellung F. Schlegels lebendig gehalten, sie liest sich wie ein interessantes Versprechen auf spätere Vorgehensweisen und Erkenntnisse, doch die Spannung erlahmt dann etwas, weil die Lebensphilosophie nicht halten konnte, was sie zu versprechen schien. Das liegt nicht am Vf., sondern am Gegenstand. Man hätte nur gewünscht, daß vom Vf. die inneren Schwierigkeiten des Projekts "Lebensphilosophie" schärfer durch dessen Geschichte hindurch verfolgt und herausgearbeitet worden wären. Zwar notiert er öfter die Absage der Lebensphilosophen an eine rationalistische Philosophie, von der aus dann auch Rickerts Kritik zu verstehen ist, und er notiert ebenso das Haltmachen vor einem Weitergang zur Seinsphilosophie; aber die darin vollzogenen Entscheidungen hätten deutlicher dargelegt sein können. Schwerer wiegt für mich das Abkoppeln der "Lebensphilosophie" von der Verwendung des Begriffs "Leben" in der neueren Philosophiegeschichte. Diese Abtrennung ist auch im Historischen Wörterbuch der Philosophie vorgenommen worden und hat sich m.E. schon da nicht bewährt, indem das tief Problematische des Lebensbegriffs, das aus dem Artikel "Leben" hervorgeht, nicht in den Artikel über die Lebensphilosophie hinübergeholt werden konnte. Der Lebensbegriff hat ja eine häufigere Verwendung gefunden als nur in der Lebensphilosophie - und in der Regel wird "Leben" thematisiert als nichtverwirklichtes Leben, als Leben, das erst noch gefunden resp. gelebt werden muß. Insofern ist der Lebensbegriff primär kulturkritisch gemeint, aber woran einem Denker das Fehlen, das Verwirkt- oder das Unbekanntsein des "Lebens" aufgegangen ist, woran sich seine Kritik festmacht, das ist sehr verschieden, und dies in seinen Variationen herauszuarbeiten und zeitgeschichtlich zu verorten, könnte einer Darstellung der Lebensphilosophie eine größere Spannung geben, als sie sie bisher bekommen hat. Gehört - so gesehen - nicht auch der junge Hegel zur Lebensphilosophie? Und hätte der Ausklang bei Lukács dann nicht weniger schulmeisterlich ausfallen können? Daß die Abrechung mit dem Irrationalismus in "Die Zerstörung der Vernunft" "plump" ist, ist unstreitig, aber das ist nun auch oft gesagt. Interessanter wäre gewesen, Lukács' eigenen Beitrag zur Lebensphilosophie, etwa in seiner "Theorie des Romans" von 1920, mithineinzunehmen. Und wäre zur Aktualität der Lebensphilosophie nicht mehr zu sagen, als die wenigen Stichworte am Ende der Einleitung deutlich machen können?

Die Literaturangaben am Schluß sind unkommentiert, es ist auch nicht erklärt, nach welchen Gesichtspunkten die Auswahl getroffen ist. Im Rahmen einer Einführung mag das gerechtfertigt sein. Aber im einzelnen kommen einem Fragen, so zu Nietzsche (wo ich es am besten übersehe), warum das als Einführung wie als Gesamtdarstellung gleich vorzügliche Nietzsche-Buch von Walter Kaufmann nicht genannt ist, oder warum die französische Beschäftigung mit Nietzsche nicht wenigstens durch ein Werk repräsentiert wird, etwa durch das Nietzsche-Buch von Deleuze.