Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/1996

Spalte:

605–610

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Neufeld, Karl H.

Titel/Untertitel:

Die Brüder Rahner. Eine Biographie.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 1994. 415 S. gr. 8o. geb. DM 78,-. ISBN 3-451-23466-1.

Rezensent:

Siegfried Hübner

Das hier vorzustellende Werk ist im "Jahr der Erinnerung an den 90. Tag der Geburt von Karl Rahner sowie des 25. Todestages von Hugo und des 10. Todestages seines Bruders" (5.3.1904 - 21.12. 1968 - 30.3.1984) dem Andenken an die beiden Brüder, Hugo Rahner (H.) und Karl Rahner (K.), gewidmet (5). Es ragt unter allen Veröffentlichungen hervor, die aus diesem Anlaß erschienen sind. Der Vf., heute Professor für Fundamentaltheologie und Leiter des Karl-Rahner-Archivs in Innsbruck, war 1971-1973 Assistent bei dem - damals gerade emeritierten - K. und von daher mit ihm in einer "Arbeitsverbindung", die bis zu dessen Tode anhielt (305). Er hat sich vorgenommen, eine Doppel-Biographie der beiden Rahner (R.) zu erstellen, die einen "Rahmen" vermittelt, in dem ihre Werke, die "bislang eher unabhängig von Rahmen und Hintergrund bekannt und wirksam" waren (9), überhaupt erst recht verstanden werden können, gemäß einem Hinweis K.s: "Was jemand schreibt, erhält seinen letzten Sinn und sein wahres Gewicht durch das, was er lebt". Und er hofft, daß sein "erster Versuch" einer solchen Lebensbeschreibung (19) auch zu einem Verständnis der beiden Theologen "besser als bislang möglich" führt (400). Bei seinem Unternehmen stützt er sich "in der Regel und durchgängig auf Zeugnisse und Dokumente, die grundsätzlich zugänglich sind" und will nur Umstände und Tatsachen zur Sprache bringen, die das öffentliche Leben der beiden R betreffen. Unzugängliche private Unterlagen sollen nicht herangezogen, "Enthüllungen" von vornherein ausgeschlossen werden (14). Im einzelnen werden als Quellen angegeben die einschlägigen Dokumente des Jesuiten-Ordens, dem beide angehörten, eine Auswahl aus den Biographien beider und aus der Sekundärliteratur (407-415). Darüber hinaus zieht der Vf. aber auch Archivmaterial, z.B. die Terminkalender K.s, zu Rate. Ausgiebig verwertet und zitiert er die von K. bei verschiedenen Anlässen geäußerten Selbstzeugnisse und die in dessen zahlreichen Interviews - vor allem in den letzten Lebensjahren - enthaltenen Erinnerungen.

Der Vf. gliedert seine Darstellung in 38 Kap. und legt sie zunächst darauf an, "zwei Lebensläufe mit erstaunlich viel Gemeinsamkeiten", zu verfolgen, "die dennoch in ihrer Eigenheit bewußt werden sollen" (14), im Leben, Denken und Wirken so miteinander verflochten, daß "Karl... nicht der Theologe geworden" wäre, "der er ist, ohne seinen Bruder, und dieser... am Ende ohne Karl noch rascher vergessen worden" wäre (25). Sie kann aber eine gewisse Unausgewogenheit zuungunsten Hs nicht vermeiden, nicht nur deshalb, weil K. schon zum Ausgang ihres Einsatzes in Innsbruck während der Konzilsjahre der theologisch und publizistisch Bekanntere war und seinen Bruder um 15 Jahre überlebt hat, sondern auch, weil dem Vf. für H. vergleichsweise weniger Material zur Verfügung stand, das er für dessen Biographie ausschöpfen konnte.

Als Einstieg wählt der Vf. einen Einblick in die "Fünfziger Jahre", in denen beide R. in Innsbruck lebten und an der dortigen Theologischen Fakultät wirkten (Kap. 1), die Zeit, die als "Höhepunkt" ihres gemeinsamen Wirkens gelten kann, "von dem aus das Vorher und Nachher in seiner eigentlichen Bedeutung beleuchtet wird" (13). Hier erfolgte aber auch der "Umschwung" im Bekanntheitsgrad und in der Wirkungsgeschichte beider (226). Am Ende dieser Zeit war H. schon von seiner schweren Parkinson-Erkrankung gezeichnet, während K. zu seiner Mitwirkung am II. Vatikanischen Konzil und den weiteren Stationen seines Lebenslaufs aufbrechen konnte. Nach dieser Ouvertüre läßt der Vf. Schritt für Schritt ein den Leser fesselndes Bild vom Verlauf des Lebens der beiden Brüder entstehen, wobei bis zum Tode H.s nur wenige Kap. dem einen oder anderen allein gewidmet sind. Sie betreffen K.s Studium in Freiburg (Kap. 11), den Beginn H.s (Kap. 12) und K.s (Kap. 13) in Innsbruck 1934/1936, die getrennten Wege beider während der Kriegsjahre - H.s in der Schweiz (Kap. 15) und K.s in Wien (Kap. 16), und einen Exkurs über das (vergebliche) Projekt K.s, zusammen mit H. U. v. Balthasar eine "neue" katholische Dogmatik vorzulegen (Kap. 17).

Was der Vf. im einzelnen als Hintergrund und Kontext des theologischen Werks beider Brüder in den Blick zu rücken vermag, kann hier nur sehr summarisch angedeutet werden:

Er ist der Herkunft und dem Leben der Familie R. nachgegangen, die im Alemannischen, zuletzt in Freiburg, beheimatet, mit dem väterlichen Namensträger aber erst im vorigen Jh. von Tirol dorthin gekommen war (Kap. 2-4), hat zusammengetragen, was über "Jugend und Schule" ausgemacht werden konnte (Kap. 5), und beschreibt ausführlich die Phase der spirituellen, philosophischen und theologischen Ausbildung beider, die - zwar zeitlich und örtlich getrennt - im spirituellen und geistigen Raum des Jesuiten-Ordens erfolgte, dem sich beide unmittelbar nach der Schulzeit, bzw. dem kurzen Kriegseinsatz H.s, 1919 und 1922 angeschlossen hatten, die für H mit Studien in Bonn und dem Doktorat im Fach Kirchengeschichte 1934, für K. mit philosophischen Studien in Freiburg und der Anfertigung seines Werks "Geist in Welt" (veröffentlicht Innsbruck 1939) 1936 endete (Kap. 6-11). Dabei werden die gemeinsamen Lehrer vorgestellt, Mitnovizen und Mitstudenten genannt, die damaligen Verhältnisse innerhalb des Ordens und in der katholischen Theologie, und vor allem auch die ersten Weichenstellungen in den je eigenen Intentionen der beiden Brüder beschrieben, wie sie sich z.B. abzeichnen in einer Festschrift, die beide 1928 ihrem Vater zu dessen 60. Geburtstag überreichten (40 f.), oder in den aufschlußreichen "Lektürelisten" K.s. aus dessen Studienjahren (87; 98-100). Zu den Studien K.s in Freiburg, die für dessen weiteren geistigen Weg und seine Deutung vor allem durch die Begegnung mit M. Heidegger wichtig wurden, vermerkt der Vf., daß K. nicht als "Schüler" Heideggers im strengen Sinne verstanden werden könne, und legt - entgegen anderslautenden Vermutungen K.s - den Versuch einer neuen Begründung dafür vor, warum wohl M. Honecker die Dissertation K.s, für die das Promotionsverfahren "nie offiziell eingeleitet worden" sei (118), abgelehnt, bzw. eine Überarbeitung in seinem Sinne verlangt habe, zu der K. nicht bereit war (Kap. 11).

Aus der ersten gemeinsamen Innsbrucker Periode, in der H 1934 bis 1938 als Kirchen- und Dogmengeschichtler, K. 1936 bis 1939 als Dogmatiker wirkten, wird die auffällige Nähe der beiden Brüder in ihren Forschungen zur Ekklesiologie der Kirchenväter und in ihren Bemühungen um eine erneuerte "Theologie der Verkündigung" hervorgehoben (Kap. 12 und 13). Nach der - detailliert beschriebenen - gewaltsamen Aufhebung der Innsbrucker Fakultät und Jesuitenniederlassung kurz nach dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich (Kap. 14) verfolgt der Vf. die getrennten Wege beider: H.s in die Schweiz, wo er - zwar erzwungen "säkularisiert" und unter der Enge des dortigen Asyls der Innsbrucker Hochschule leidend - seine Ansätze zu einer theologischen "inneren" Kirchengeschichte und zu einer "theologia cordis" weiterverfolgen und seinen menschlichen und theologischen Horizont erheblich ausweiten konnte (Kap. 15); K.s nach Wien, wo dieser weiterhin bei der Ausbildung junger Jesuiten mitwirkte und engagiert auf seiten der "Wiener Aktivisten" des dortigen Seelsorge-Instituts mit in die damaligen innerkirchlichen Auseinandersetzungen um eine liturgische Erneuerung eingriff (Kap. 16).

Für die zweite gemeinsame Innsbrucker Periode, in die K. erst auf einem Umweg über München und nicht ohne Drängen seines Bruders 1949 eintreten konnte, vom Vf. als die wichtigste Phase in seiner Doppel-Biographie herausgestellt, werden die Themen genannt, auf die sich in diesen Jahren das Interesse beider konzentrierte: Maria und die Kirche - herausgefordert durch die damalige kirchliche Situation unter Papst Pius XII., und ihr Ordensvater Ignatius - veranlaßt durch das 400jährige Jubiläum seines Todestags, aber erheblich intensiviert, indem dieser Heilige als "Mensch der Neuzeit" und seine Exerzitien als Quelle vertiefter Erneuerung erkannt wurden. Am Ende dieses Berichts stehen "Ausblicke in der Bilanz" - es werden die Anfänge der "Schriften zur Theologie" K.s und sein Engagement für die Neu-Herausgabe des LThK, für H dessen große Katholikentagsreden beschrieben, aber auch - gerade in der nach dem Pontifikatswechsel zu Papst Johannes XXIII. schon "auf das Konzil zu" bestimmten Situation - die tragische Wende im Lebenslauf Hs, durch die sich die irdischen Wege beider Brüder endgültig scheiden (Kap.17).

Das reichliche letzte Drittel des Buches (237-405) führt die Biographie K.s allein weiter. Hier gibt der Vf. Auskunft über dessen Anteil an den Arbeiten und Ergebnissen des II. Vatikanischen Konzils (Kap. 21), seinen mehrfachen Wechsel des Wohnorts und Tätigkeitsfelds (1964 München - 1967 Münster - 1971 München - 1981 Innsbruck) mit deren Hintergründen, Erwartungen und Aktivitäten (Kap. 22, 23, 28, 30, 34), die Schwerpunktverlagerungen, die sich unter den nachkonziliaren Umbrüchen und Erschütterungen in seinem Denken und Leben abzeichnen (Kap. 24, 25, 29) - in entschiedener Hinwendung zur deutschen Ortskirche, z.B. in seinem Engagement für die Würzburger Synode (Kap. 26, 27); in zunehmender Betonung der "Praxis" des Glaubens, wie sie schon in seiner Mitarbeit am "Handbuch der Pastoraltheologie" deutlich geworden war; in dem verstärkten Bemühen, den Glauben in die sich ihm immer mehr erschließende "neue Öffentlichkeit" hinein (281), über die Grenzen des Kirchlichen und Christlichen hinaus zu verkündigen und verständlich zu machen, wie es sich literarisch in seinem Versuch einer "Einführung in den Begriff des Christentums", dem "Grundkurs des Glaubens" niederschlug. Für das letzte Lebensjahrzehnt hebt der Vf. eine "entschiedene Vertiefung der eigenen Herkunft" - gemeint ist der Jesuiten-Orden und seine Spiritualität - (Kap. 31 und 33) und eine "erneute Zuwendung zur Jugend" (Kap. 35) hervor. Die Biographie schließt mit einem genauen Bericht über die "Aktivitäten der letzten Monate" (Kap. 37) und über das Sterben K.s als österliche "Stunde des Glaubens" (38). "Deutung und Wirkung" kommen nur zur Sprache, soweit sie schon zu Lebzeiten K.s in den Blick traten (Kap. 32, 36).

Dem Vf. gebührt Dank und Anerkennung für sein sorgfältiges Bemühen, den Lebenslauf dieser beiden bedeutenden katholischen Theologen unseres Jh.s, deren Wirkungsgeschichte weit über ihre Lebenszeit hinausreichen wird, so anschaulich zu beleuchten und vor dem Vergessen zu bewahren. Es ist zu hoffen, daß er bei vielen Lesern sein Ziel, wie er es in seiner Einführung darlegt, auch erreicht.

Es sind aber auch einige Fragen und Wünsche zu nennen, die sich bei der Lektüre einstellen und vielleicht dazu anregen können, diesen "ersten Versuch" noch weiter auszuarbeiten:

1. Der Vf. ist überzeugt, daß für das Verständnis der beiden Theologen - insbesondere K.s - deren menschliche und spirituelle Basis im Jesuiten-Orden bisher nicht genügend berücksichtigt worden ist (347, 360). Dem entsprechend ist er bestrebt, diesen Aspekt durchgängig zu betonen. So wenig seine Grundthese in Frage gestellt werden soll, so sehr wären hier wohl doch auch Differenzierungen angebracht. Sie könnten - im Hinblick auf K. - vielleicht benannt werden, wenn bei der Erforschung seines Lebenslaufs mehr, als es in dieser Biographie deutlich wird, auch solche Zeugen mit zu Rate gezogen würden, die, selbst nicht dem Orden angehörend, als Freunde und in "Arbeitsverbindung" mit ihm seinen Weg früher und länger als der Vf. begleitet haben. In diesem Zusammenhang fällt auch auf, daß der Vf. nicht das Werk von Klaus Fischer, Der Mensch als Geheimnis, Freiburg 1976, mit registriert, in dem der ihm so wichtige Aspekt schon vor zwei Jahrzehnten bahnbrechend in die Diskussion über die Wurzeln des Denkens K.s eingebracht worden ist. Als kleines Indiz für eine "standpunktliche" Blickverengung des Vf.s in dieser Hinsicht wirken seine Ausführungen zum "Wiener Memorandum". Mit anderen Jesuiten, die - in gewisser Hinsicht mit Recht - gegen die Veröffentlichung dieses Textes unter dem Namen K.s polemisieren, bestreitet er die alleinige, bzw. federführende Verfasserschaft K.s. Er zitiert zwar die Aussage anderer, daß "ein Mitglied des Kreises" diese Arbeit erstellt habe, aber nicht die Aussage K.s, in der er sich als dieses eine Mitglied bekennt (167 mit Anm. 14; vgl. K. Rahner, Erinnerungen im Gespräch mit Meinold Krauss, Freiburg 1984, 56).

2. Es bleibt sehr zu wünschen, daß - gerade angesichts der schon angesprochenen unvermeidlichen Unausgewogenheit - das Leben, Denken und Wirken Hs deutlicher in seiner "Eigenheit" dargestellt würde. Die ungünstige Quellenlage könnte wohl durch eine gezielte Forschung etwas ausgeglichen und die Darstellung noch um eine ganze Reihe wissenswerter Details bereichert werden. Auf jeden Fall aber sollte dem Lebensausgang H.s, seinem 9jährigen langsamen Sterben und seinem Tod, ein "eigenes" Kap. gewidmet sein, wie es am Ende des Buchs auch für K. ganz selbstverständlich der Fall ist. Für den Leser wird jetzt von H. nach der zweiten Innsbrucker Periode der beiden Brüder nur noch "im Rahmen" des weiteren Lebenslaufs K.s berichtet, in der chronologischen Abfolge nicht einmal das genaue Sterbedatum H.s genannt (287). Erst der Bericht über den Tod Otto Karrers 1976 (325ff.) wird für den Vf. zum Anlaß, nochmals auf den Lebensausgang Hs zurückzukommen und bewegende Worte darüber nachzutragen - im Zitat aus einer Lebensbeschreibung Otto Karrers. - Auch die tiefgehenden Unterschiede im theologischen Denken der beiden Brüder sollten deutlicher profiliert werden. Recht seltsam erscheint es dem Rez., wenn der Vf. ausgerechnet die Formel Hs "ein Mensch ist Gott" als Ausdruck dessen herausstellt, was auch "das Werk K.s charakterisiert" (192), zumal er später über den Konflikt zwischen K. und Kardinal Höffner anläßlich einer ähnlichen Formel berichtet und auf den "weitreichenden Unterschied in der theologischen Grundeinstellung" aufmerksam macht, der an dieser Formel zwischen den Kontrahenten deutlich wird (304).

3. Der erhofften Wirkung des Buches käme zugute, wenn das Manuskript in ein noch reiferes Stadium überführt würde. Die jetzige Fassung leidet an vielen Wiederholungen einzelner Daten und Sachverhalte, Überschneidungen im Berichteten, chronologischen Unstimmigkeiten, einer mitunter zu großzügigen Einfügung längerer Zitate, an Schreib- und Druckfehlern und einer nicht immer unmittelbar verständlichen Ausdrucksweise, was insgesamt die - weithin erfreulich ansprechende - Lektüre manchmal etwas mühsam macht. Problematisch erscheint auch die in einigen Passagen - entgegen der Absicht des Vf.s (12) - "statistisch" sammelnde Wiedergabe der Notizen in K.s Kalendern. Der Vf. selbst bezweifelt, ob das dort Notierte immer so wie vermerkt abgelaufen ist (304). Das sollte also überprüft werden. Anderseits wären manche Lücken noch zu schließen. Sollte es z.B. nicht möglich sein, herauszufinden, welche Vorlesungen K. 1947/48 in Pullach (201) wirklich gehalten hat? Hat der Festvortrag K.s auf dem österreichischen Katholikentag am 1.6.1962 "Löscht den Geist nicht aus!", der damals großes Aufsehen erregte, aber unter den Auftritten K.s in diesem Jahr nicht mit erwähnt wird (234), zufällig nicht in einem Kalender gestanden? Und wenn der Vf. mehrmals herausstellt, daß K. "ein Mann des gesprochenen, nicht des geschriebenen Wortes" gewesen sei, dessen Ausführungen "auf dem Papier" als "unübersichtlich und schwer verständlich" empfunden werden können (232, 269, 314), sollte dann nicht auch angemerkt werden, daß ihm die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung 1973 als "Meister des literarischen Wortes" den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa verliehen hat? - Zu fragen ist - nicht erst nach der wie auch immer zu beurteilenden Veröffentlichung der Briefe Luise Rinsers an K., ob nicht auch "private" Beziehungen mit zu dem Leben gehören, von dem der Vf. so entschieden meint, daß ohne dessen Kenntnis das Werk nicht verstanden werden könne. - Und eine nächste Auflage sollte mit den üblichen Registern ausgestattet sein.

4. Aus der Sicht des Rez. ist es bedauerlich, daß der Vf. der Frage, wie K. in den "sowjetisch beeinflußten Teil Deutschlands" hinein wirksam geworden ist - die er selbst stellt und nur kurz beantwortet (357), nicht größere Aufmerksamkeit geschenkt hat. Weder K.s Vortragsreisen nach Berlin, und auf Einladung von Studentenpfarrern in den 60er Jahren auch nach Ostberlin, noch seine beiden Gastvorlesungen am Philosophisch-Theologischen Studium in Erfurt in seinen letzten Lebensjahren (17.10.1979 und 30.4.1983), mit denen für ihn auch eine Wiederbegegnung mit dem Oratorium in Leipzig verbunden war, in dem ihn 1939 die Nachricht von der Besetzung der Innsbrucker Jesuitenniederlassung überrascht hatte (141), finden Beachtung. Er selbst bedankte sich für diese Einladung nach Erfurt und Leipzig als für eine "für mich sehr lehrreiche Zeit". Und die Feststellung des Vf.s, das "Theologische Jahrbuch" habe immer wieder Rahner-Texte gebracht, vermittelt nur eine sehr abgeschwächte Vorstellung von dem Ausmaß, in dem - durch die "Mauer" hindurch - die Schriften K.s - auch der "Grundkurs"! - in diesen Raum eingeschleust worden sind.

Nun ist aber - im Hinblick auf die gegenwärtige Situation der katholischen Kirche und des christlichen Glaubens in der Welt von heute überhaupt - noch auf einen denkwürdigen aktuellen Bezug dieses Buchs aufmerksam zu machen, dem gegenüber die eben geäußerten Fragen und Wünsche als sekundär zurücktreten: In dem durch dieses ganze Jh. hindurch zu beobachtenden Prozeß, in dem sich in Kirche und Christenheit die Geister an der Frage scheiden, wie der Christ auf die "Moderne" reagieren müsse, haben die beiden R. vom Anfang bis zum Ende ihres geistigen und geistlichen Lebenslaufs als Glaubende und Menschen der Kirche - in der Kirche und in ihrem Orden - auf der Seite derer gestanden, die die Zukunft von Glauben und Kirche nicht in der Bewahrung und Praktizierung jener "gettohaften Mentalität" suchten, von der auch sie selbst herkamen (63), sondern in der Annahme des in der "Neuzeit" dem Glaubenden Aufgegebenen - als Provokation zu einem radikalen Wachstum im Glauben und einer neuen Verwirklichung von kirchlicher und christlicher Glaubensgemeinschaft. Dem Vf. gelingt es, diesen gemeinsamen Grundzug im Lebenslauf beider wie einen "roten Faden" dem Leser eindringlich nahezubringen - angefangen mit ihren schon sehr früh - nach dem Ersten und erst recht nach dem Zweiten Weltkrieg - gewonnenen Einsichten, welche "Umprägung der Mentalität des deutschen Katholizismus" (102), welcher "Neuaufbau" (21 f.) jetzt an der Zeit war, welche "vergessenen Dimensionen" vom Ursprung des Christlichen her wiederzuentdecken waren (218), wie aussichtslos alle Tendenzen geworden waren, die, verhärtet in "gewohnten Positionen" (173), auf Bewahrung oder Wiederherstellung eines "Milieukatholizismus", womöglich in einem "katholischen Staat", abzielten (212 f.), - bis hin zu den schmerzlichen Erfahrungen, die dem seinen Bruder überlebenden K. dann beschieden waren, als er - nach dem verheißungsvollen Aufbruch im Konzil - erleben mußte, wie seine Kirche erneut den "Marsch ins Getto" antrat (323), ihre eigentlichen Chancen in dieser Welt-Stunde nicht erkannte (340, 376), und die Vertreter jener anderen Strömung im Katholischen und Christlichen - einer "Bewahrungs- und Rettungsmentalität" (323) - in ihm alles "personalisierten", was nach ihren, die Wirklichkeit nicht wahrnehmenden, Traum-Vorstellungen den Glauben und die Kirche zerstört (288, 352). Darin wird diese Doppel-Biographie zu einem bewegenden Zeugnis dafür, wie ein Christ, der an der gegenwärtigen Situation in der Kirche und in der Christenheit leidet, diese "winterliche Zeit" zu bestehen vermag (321 f.), in ihr das Wesentliche und Eigentliche seines Glaubens, dessen Kern und "Substanz" (362, 376 f.) nicht verliert, sondern diese "Substanz" - die Wirklichkeit Gottes als des unbegreiflichen Geheimnisses selbst - gerade in solcher Situation glaubend, hoffend und liebend, im Fragen und Suchen, und in der "Gelassenheit des letzten Sich-Verlassen-Könnens" (375) findet und sich von ihr ergreifen läßt.