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Ausgabe:

September/1997

Spalte:

864–866

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Lies, Lothar

Titel/Untertitel:

Eucharistie in ökumenischer Verantwortung.

Verlag:

Graz-Wien-Köln: Styria 1996. 286 S. gr.8. Lw. DM 59,-. ISBN 3-222-12367-5.

Rezensent:

Helmut Feld

Dem Vf., der schon mehrere systematische Untersuchungen auf dem Gebiet der Sakramententheologie vorgelegt hat, geht es in der vorliegenden Studie um eine Darstellung der Eucharistie als Feier. Angesichts der Tatsache, daß trotz vieler Theologengespräche und der Erstellung einer Reihe von Konsenspapieren weiterhin keine gemeinsame Feier des Abendmahls der großen christlichen Konfessionen, vor allem der Katholiken und Protestanten, möglich ist, handelt es sich um einen neuen Ansatz, die Grundlagen für ein ökumenisches Verständnis des Sakramentes der christlichen Einheit herauszuarbeiten.

In dem Bewußtsein, daß sich die wesentlichen Elemente der Eucharistie nur aus einer Geschichte des sakramentalen Kultes und der theologischen Reflexion über denselben erheben lassen, behandelt der Vf. zentrale Gesichtspunkte des Abendmahlsverständnisses sowohl in ihrem historischen Kontext als auch in ihrer Relevanz für die gegenwärtige ökumenische Diskussion. Nach einem einleitenden Kapitel über den Sinn der Eucharistiefeier geht es in den folgenden vier Kapiteln um den Charakter der Eucharistie als Anamnese (Gedächtnisfeier), Epiklese (Herabrufung des Heiligen Geistes), Koinonia (Vergegenwärtigung des Heils durch den Leib Christi in der Kirche), Prosphora (Opfer). Das sechste und letzte Kapitel bietet unter dem Titel: "Koinonia und Perichorese" eine Zusammenschau verschiedener Aspekte der Eucharistie, wie Personalität, Leiblichkeit, Festcharakter, und deren Rückbindung an das trinitarische Dogma. Eingehend werden die Beiträge moderner Systematiker, wie Max Thurian, Peter Brunner, Edmund Schlink, Walter Kasper, sowie die wichtigsten in ökumenischen Arbeitskreisen erarbeiteten Dokumente behandelt, namentlich das katholisch-evangelische Dokument "Das Herrenmahl" von 1978, das sogenannte "Limadokument" der Kommission "Faith and Order" von 1982 und das Dokument des Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen über Lehrverurteilungen von 1986. Neben der positiven Würdigung theologiegeschichtlicher Entwicklungen und moderner Diskussionsbeiträge kommt der Vf. immer wieder auch zu Abgrenzungen, etwa von mittelalterlicher "Verirrung", dem "Unwesen" von Sekten oder katholischen und reformatorischen "Mißverständnissen". Diese und andere Qualifizierungen, die von einem bestimmten systematischen Vorverständnis ausgehen, sind für einen Historiker nur schwer nachvollziehbar.

Überhaupt liegen bei dem Umgang mit dem kirchen- und theologiegeschichtlichen, aber auch mit dem biblischen Hintergrund, der für alle angeschnittenen Fragenkomplexe von großer Bedeutung ist, die unübersehbaren Schwachstellen des vorliegenden Buches. Man wird zwar von einem Systematiker nicht unbedingt die Kenntnisnahme aller neueren Ergebnisse der theologie- und religionsgeschichtlichen Forschung verlangen; aber ein genaues Studium der für aktuelle theologische und kirchenpolitische Fragen wichtigen Quellen und der wichtigsten Literatur darüber darf doch wohl allemal erwartet werden. In bezug auf die neueren ökumenischen Dokumente leistet der Vf. dies durchaus. Bei der Behandlung älterer Quellen sieht es aber leider anders aus.

So ist es in der ntl. Forschung keineswegs unbestritten, daß der von Paulus (1Kor 11,25) und Lukas (22,19) überlieferte sogenannte "Stiftungsbefehl" auf Jesus selbst zurückgeht. Welche theologischen Implikationen das hat, mag hier dahingestellt bleiben. Weiterhin ist die Darstellung, die der Vf. von den Positionen der Reformatoren (bei denen gerade der für die Ge-schichte der Abendmahlsfrage im 16. Jh. so wichtige Martin Bucer unerwähnt bleibt) durchweg transitorisch und oberflächlich, zuweilen auch un-korrekt. Das gilt z. B. für die Abendmahlsauffassung Calvins (144 f. 249f.), der trotz scharfer Ablehnung einer Verbindung Christi mit den vergänglichen Elementen dieser Welt einen wahren und substantiellen (!) Empfang des Leibes und Blutes des Herrn unter den Symbolen des Mahls angenommen hat (vgl. Inst. IV,17,19 und 21). Zur Abendmahlslehre Calvins und der anderen Reformatoren gibt es im übrigen einige sehr gute Untersuchungen, von denen der Vf. aber keine Kenntnis genommen zu haben scheint.

Damit hängt es wohl auch zusammen, daß L. allzu schnell zur Hand ist mit Verdikten wie "Verirrungen" und "Verwirrungen". Auch eine rein symbolisch-spirituelle Auffassung des Abendmahls, wie diejenige des (in diesem Punkt stark von Erasmus beeinflußten) Huldrych Zwingli, kann sich ja auf eine gute, über Augustinus und Origenes bis auf das Johannes-Evangelium zurückreichende Tradition berufen. Und bevor man als katholischer Theologe die Vereinigungstheologie Zinzendorfs als "geschmacklos" einstuft (250), sollte man sich daran erinnern, was die mittelalterliche Mystik im Bereich von Ehe- und Sexualsymbolik zu bieten hat, etwa die Briefe der von dem Papst Paul VI. (1971) zur Kirchenlehrerin erhobenen Katharina von Siena, um nur ein einziges Beispiel zu nennen. Man muß sich aber hüten, die gleichnishafte Sprache des Mittelalters wie diejenige des Pietismus von einem mo-dernen Sprach- oder Schicklichkeitsempfinden her zu beurteilen.

Es ist natürlich nicht verboten, innerhalb eines theologischen Werkes auch subjektive Wertungen, Sympathien und Antipathien zum Ausdruck zu bringen. Doch überschreitet L. nicht selten die Grenzen wissenschaftlicher Sachlichkeit, so wenn er gleich zu Beginn unter der Überschrift:"Gemeinschaftlichkeit des Menschen" (10 f.) zu einem wortreichen Rundumschlag gegen die Lebensform des "Single" ausholt, um sie generell als defizienten Modus des Personseins zu diskriminieren. "Das Single ist eine Fehlform von Person, es kennt niemanden über sich, niemanden neben sich und ist für niemanden verantwortlich... Ein Single kann nicht feiern, allenfalls zu einer
Party gehen." Woher weiß der Vf. das alles? Defiziente oder mißlungene Lebensschicksale gibt es doch heutzutage unter Verheirateten oder Ordensleuten ebenso wie unter den sogenannten Singles, und unter jeder äußeren Lebensform, ob sie nun geglückt ist oder nicht, kann sich eine nachdenkliche, religiöse oder gläubige Existenz verbergen.

Unter dieser Rücksicht wäre auch die Teilnahme am äußerlichen Kult zu sehen: Sie sollte gewiß nicht abgewertet, aber auch nicht überschätzt werden. Gerade die katholische Eucharistiefeier ist ja nicht nur ein Fest der Freien, die sich in Freiheit versammeln (11), sondern auch ein durch Sakralgesetzgebung (kanonisches Recht und Rubriken) fixiertes Ritual, von dem bestimmte Personenkreise ausgeschlossen sind, z. B. Menschen, die in einer von der Hierokratie (mit sehr zweifelhafter theologischer Begründung) als illegitim angesehenen Verbindung leben. Nicht erst bei den mittelalterlichen Ketzern, sondern schon seit den Zeiten der Alten Kirche gibt es Formen "geistlichen" Sakramentenempfangs, die eine volle Teilnahme an der res sacramenti ermöglichen.

Die Vorstellung, die der Vf. von den Ketzern, die im Mittelalter "ihr Unwesen" trieben, vermittelt (141), trägt groteske Züge und kann nur durch bare Unkenntnis der religions- und kulturgeschichtlichen Zusammenhänge der damaligen Zeit erklärt werden. Zu den Waldensern nur soviel: Ihre fractio panis war eine Art Not-Eucharistie, die analog der ebenfalls von Laien, auch Frauen, gespendeten Nottaufe von Gemeinschaften ohne Priester ge-feiert wurde. Bei der Wiederaufnahme von Teilen der Waldenser in die Römische Kirche hat Innocenz III. ihre Gültigkeit keineswegs bestritten; die mit der Kirche versöhnten Waldenser mußten sich nur verpflichten, sie in Zukunft nicht mehr zu praktizieren (Ep. 94; MPL 216,291 BC).

Auch die Katharer bezweifelten nicht den eucharistischen Glauben an sich, sondern hatten eine andere kultische Praxis und ein anderes Verständnis der Eucharistie, als es in der mittelalterlichen Kirche üblich war. Nach eigenem Zeugnis weihten sie bei ihren täglichen Mahlzeiten nach dem Vorbild Christi und der Apostel ihre Speise und ihren Trank durch das Gebet des Herrn zu Christi Leib und Blut. "Albigenser" ist im übrigen ein anderer Name für die Katharer des Languedoc und bezeichnet keine von ihnen verschiedene häretische Gemeinschaft. Die Katharer haben zum Entstehen des Dogmas von der Transsubstantiation immerhin soviel beigetragen, daß es nur auf dem Hintergrund der katharischen Vorstellung von Schöpfung und Erlösung, insbesondere dem (Sünden-)Fall der Geister in die Materie zu erklären ist. Von daher wird auch der überragende Anteil des heiligen Franziskus von Assisi an der Geschichte dieses Dogmas verständlich. Da diese Zusammenhänge den neueren systematischen Theologen (ebenso wie schon den Reformatoren) nicht mehr bekannt waren, konnte die vermutlich bedeutendste geistige Errungenschaft der mittelalterlichen Kirche, die Vorstellung von der Verwandlung der Materie in geistige, göttliche Substanz, in das theologische Abseits gestellt werden.

Die Pest kann schwerlich, zusammen mit den Häresien, die soziale Ordnung im 12. Jh. gefährdet haben, da ihr erstes Auftreten in Westeuropa für das Jahr 1347 bezeugt ist.

Unbeschadet der hier angemeldeten Kritik an dem Umgang des Vf.s mit der historischen Seite seines Themas ist das vorliegende Werk doch ein wertvoller Beitrag zur gegenwärtigen in-terkonfessionellen Diskusssion über eine zeitgemäße Feier des Abendmahls.