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Ausgabe:

Juni/1996

Spalte:

603 f

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Cantalamessa, Raniero

Titel/Untertitel:

Maria – ein Spiegel für die Kirche. Ins Deutsche übertr. von G. Stein.

Verlag:

Köln: Adamas 1994. 311 S. 8o. Kart. DM 34,-. ISBN 3-925746-70-6.

Rezensent:

Ulrich Wickert

Dies mit Imprimatur versehene Buch eines gelehrten Kapuziners über Maria ist den "protestantischen Brüdern" gewidmet (die Schwestern sind selbst bei einem so weiblichen Thema wieder einmal vergessen). Die Hoffnung wird ausgesprochen, daß die Herrenmutter "nicht länger als Streitobjekt und Anlaß zur Spaltung unter den Christen angesehen" werde, vielmehr als "Chance zur Einheit und Brüderlichkeit"; zumal sie, historisch betrachtet, als "Zeichen" einer noch nicht in Juden- und Heidenchristen gespaltene Kirche zu gelten habe. Dieser ökumenische Aspekt wird durch den Hinweis auf den vom Zweiten Vatikanischen Konzil (über Otto Semmelroth von Ambrosius) geborgten marianischen Titel "Urbild der Kirche" unterstrichen; welcher Begriff durch die erbauliche, in den Buchtitel aufgenommene Wendung "Spiegel der Kirche" dann leider verunklart wird (13).

Die Mutter Christi hat, bei der Menschwerdung, im (das Leiden am Kreuz implizierenden) Ostergeheimnis und beim Pfingstwunder präsent, die Nachfolge Christi in ihren Hauptstationen (und im gesamtkirchlichen Horizont!) vorgelebt. Von daher handelt es sich hier um eine Anleitung, wenn man so will, zu marianischer praxis pietatis auf der Grundlage von Schrift und - zumeist katholischer - Tradition (gelegentlich werden die drei großen Reformatoren zur Bekräftigung herangezogen). Nicht geht es um das, was man früher einen mariologischen (dogmatischen) Traktat nannte; und erst recht nicht um eine historisch-kritische Aufbereitung der Quellen. Die Beiziehung von Dichtern macht klar, daß das Gemüt Nahrung erhalten soll. Vier Ikonen sind begegeben (nach 272).

Der Menschwerdung, dem Ostergeheimnis und dem Pfingstwunder widmet der Vf. jeweils einen der drei Teile des Buches. Jeder Teil ist wieder in drei Kap. untergliedert, in welchen jeweils ein (in der Regel marianisches) Kernwort des Neuen Testaments (Voll der Gnade. Selig ist die, die geglaubt hat. Du wirst empfangen und einen Sohn gebären/Was willst du von mir, Frau? Bei dem Kreuz stand Maria, seine Mutter. Frau, siehe, dein Sohn/Im Gebet verharren mit Maria, der Mutter Jesu. Der Heilige Geist wird über dich kommen. Und er neigte das Haupt und gab seinen Geist auf) in fünf bis acht Paragraphen durch meditative Gedanken und theologische Reflexion kommentiert wird, mit Zitaten aus Bibel und Kirchenlehrern gesättigt.

Marianische Texte sind im Neuen Testament nicht allzu reichlich gesät. Wie kommt darüber ein Buch von über 300 Seiten zustande? Die Methode des Vf.s ist die, eine Fülle von Texten und Überlegungen, die für den Uneingeweihten mit Maria gar nicht zu tun haben, zu dieser derart in Beziehung zu setzen, daß sie als ein in seiner Singularität omnipräsentes Glied der Kirche, ja als eine Art Person gewordenen Kompendiums der Heilsgeschichte zum Vorschein kommt. Das ist katholisch empfunden und in diesem Sinne völlig legitim. Wer als Protestant diese Ausführungen goutieren will, sollte zwei Bedingungen erfüllen: mit dem altkirchlichen Dogma d'accord sein, ohne welches eine gesunde kirchliche Mariologie nicht zu haben ist; und womöglich dazu gekommen sein, Maria zu lieben - nicht lediglich die in der Vergangenheit "exemplarisch" zurückgebliebene Mutter Jesu des Neuen Testaments, an die sich der Vf. um seiner Adressaten willen grundlegend hält; sondern auch die als Maria praesens empfundene Assumpta, die immer (auch beim Vf.) im Spiele ist, wo ein Herz für Maria schlägt.

Im übrigen liefert das Buch manchen klugen exegetischen und dogmatischen Aspekt. Daß im vierten Evangelium nicht lediglich die Mater dolorosa, sondern zumal die von der Herrlichkeit des Erhöhten Überglänzte unter dem Kreuz steht, ließe sich interpretatorisch noch viel gründlicher erweisen (155). (Man wundert sich, daß ein solcher Text bei der Begründung des Assumptiodogmas keine Rolle gespielt hat!) Daß der Vf. es wagt, den Christushymnus des Philipperbriefs im Sinne einer Selbstentäußerung auf Maria hin umzudeuten (197), wird jeden Christen schockieren, der in der marianischen Lebenswelt nicht zu Hause ist. Von innen gesehen ist aber Maria als Immaculata von Anfang an im Christusgeschehen "mit drin" und in der imitatio Christi ihrem Sohn unvergleichlich nahe gekommen. Hier greift, was der Vf. die "Analogie von unten" nennt (12). Daß Pneumatologie und Mariologie in ihrem Wechselverhältnis neu zu bedenken sind, wird zu Recht unterstrichen (239 ff.).

Für die "Ökumene" unmittelbar dürfte von diesem Buch nicht allzu viel Wirkung ausgehen. Die Art, wie sich der Vf. - auch darin ein treuer Sohn seiner Kirche - unentwegt auf das Zweite Vatikanum zurückbezieht, läßt einen Durchbruch nicht zu. Man hat es seinerzeit auch von protestantischer Seite begrüßt, daß Maria von diesem Konzil in die Kirchenkonstitution verwiesen, also ekklesiologisch eingebunden wurde. Man hat übersehen, daß damit die Gottesmutter zusätzlich noch einmal romanisiert worden ist. Das Mysterium Marianum kann universalkirchlich erst wirksam werden, wenn es das Papsttum in eine spezifische Selbstentäußerung geleitet. Das geht mit dem Christenhymnus (s. o.), aber nicht mit dem Imprimatur.