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Ausgabe:

November/1998

Spalte:

1083–1085

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hofius, Otfried u. Hans Christian Kammler

Titel/Untertitel:

Johannesstudien. Untersuchungen zur Theologie des vierten Evangeliums.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1996. VII, 256 S. 8 = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 88. Kart. DM 88,-. ISBN 3-16-146571-7.

Rezensent:

Martin Rese

Der Band enthält 6 Studien, 4 von Hofius (eine neu), 2 von seinem Schüler Kammler. H.: "Struktur und Gedankengang des Logos-Hymnus in Joh 1,1-18" (1-21). "’Der in des Vaters Schoß ist’ Joh 1,28" (24-32); "Das Wunder der Wiedergeburt. Jesu Gespräch mit Nikodemus Joh 3,1-21" (33-80; neu!); "Erwählung und Bewahrung. Zur Auslegung von Joh 6,37" (81-86)/K.: "Jesus Christus und der Geistparaklet. Eine Studie zur johanneischen Verhältnisbestimmung von Pneumatologie und Christologie" (87-190); "Die ’Zeichen’ des Auferstandenen. Überlegungen zur Exegese von Joh 20,30 u. 31" (191-211). Außerdem gibt es 4 Register: Stellen- (215-239), Autoren- (240-243) und Sachregister (244-249) sowie ein "Register griechischer Begriffe und Wendungen" (250-251).

Im Vorwort (V-VI) heben die beiden Verfasser zwei Punkte zur Methode und Zielsetzung ihrer Arbeit hervor und sagen außerdem, was sie zur Theologie des JohEv herausgefunden haben. (1) "Mit der gründlichen philologischen Textanalyse (sei) jeweils das Bemühen (verbunden), den theologischen Gehalt der johanneischen Aussagen möglichst präzise zu erschließen." (2) "Bei der Exegese (müsse) ... die textimmanente Interpretation den sachlichen Vorrang haben", und deshalb würden "die Texte ... primär aus ihrer internen Argumentationsstruktur interpretiert". (3) Zur Theologie halten die Verfasser fest, es sei "ein exegetisch eindeutiger Textbefund", daß im JohEv die "beide(n) Gedanken" der "Gottheit Jesu Christi" und der "Prädestination" vorlägen: Das "Bekenntnis zur wahren Gottheit Jesu Christi" bilde die "Grundlage für die soteriologischen Aussagen", in denen "das Heil des Menschen ... allein" an "Jesu Person und Werk" gebunden und "ausschließlich in dem prädestinierenden Handeln Gottes begründet" werde.

Im einzelnen hält Hofius in Joh 1,1-18 mit "einem relativ breiten Konsensus der Forschung" (2) die Verse 6-8.12d.13.15.17-18 für Zusätze des Evangelisten zum christlichen Logos-Hymnus; dieser bestehe aus vier Strophen, die ersten zwei (V. 1-3 und V. 4-5.9) redeten vom "Logos asarkos", die zwei letzten (V. 10-12c und V. 14.16) vom "Logos ensarkos". In der "Anmerkung" V. 6-8 richte sich der Evangelist "polemisch gegen Täuferkreise" (Johannes ist nicht das "Licht"!) und stelle hier wie in V. 15 klar, daß "der Mensch Johannes ... ausdrücklich die Präexistenz und damit die wahre Gottheit Jesu Christi" bezeugt (18 f. Anm. 114). Mit V. 12d werde V. 12a kommentiert, mit V. 13 dann V. 12b.c expliziert: Die Gotteskindschaft der Glaubenden verdanke sich "nicht menschlichem Wollen und Entscheiden, sondern ausschließlich dem Wunder der Geburt aus Gott" (2), ein Gedanke, den "die Nikodemus-Erzählung 3,1 ff. ... näher entfalte(n)" (2 + Anm. 11) - eben dem geht H. in seiner dritten (neuen) Studie (33-80) ausführlich nach, entdeckt dabei "eine(r) trinitarische(n) Struktur" in 3,1-21 und findet das ",Wie’ der Neugeburt" als ",Werk des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes’" beschrieben (78); insgesamt gelte, "vom Menschen her" gehöre dieser zur "massa perditionis", "einzig und allein von Gott her" gebe es "Wunder der den Prädestinierten im Glauben widerfahrenden Neugeburt" (68). In V. 17-18 negiere der Ervangelist "jede Heilsrelevanz des Mose und der durch Mose gegebenen Sinai-Tora" und betone, "daß die Heilsfülle Gottes ... einzig und allein in dem menschgewordenen Logos beschlossen liegt" (3 + Anm. 17) - diese Deutung unterstreicht H. in seiner zweiten Studie (24-32) durch die traditionsgeschichtlich begründete These, in V. 18 b werde mit den Worten "der in des Vaters Schoß ist" (so sei zu übersetzen und nicht wie üblich: "der an der Brust des Vaters ruht") in Polemik gegen das zeitgenössische Judentum "genau das von Jesus Christus ausgesagt", was nach einer relativ alten rabbinischen Auslegung von Prov 8,30 "von der präexistenten Tora gilt" (29): Nicht die Tora, "sondern einzig und allein ... der ,einziggeborene Sohn’ ... (vermag) das Wesen des Vaters zu erschließen" (32). - In seiner vierten Studie (81-86) geht es H. darum, daß in Joh 6,37b nicht über die "Bekehrung" (81) geredet wird, sondern über die "perseverantia sanctorum" (82); Calvin habe in der Institutio von 1559 neben Joh 6,39 f.+10,27-29 auch Joh 6,37 für diese Lehre herangezogen und das sei "ein exegetisch wohlbegründetes Urteil" gewesen (86).

Manchmal etwas umständlich, gelegentlich auch nicht frei von Pathos, auf jeden Fall sehr ausführlich (87-190) arbeitet Kammler in seiner "monographische(n) Studie zum Verhältnis von Pneumatologie und Christologie" (V) das heraus, was jeder Leser des JohEv schon seit je weiß, nämlich, daß der Paraklet, der Geist, im JohEv christologisch eingebunden ist. Im einzelnen ist ihm besonders wichtig, daß "die Parakletsprüche ... in unerhörter Weise das sola scriptura ein(schärfen), indem sie die Bindung des Geistparakleten an das im Johannesevangelium lautwerdende apostolische Christuszeugnis herausstellen" (124; vgl. 183). Um dieses "apostolische Christuszeugnis" geht es ihm auch in seiner zweiten Studie (191-211). Joh 20,30-31 sei nur auf die in Joh 20,19-29 erzählten Ostergeschichten zu beziehen, und zwar ekklesiologisch und hermeneutisch; ekklesiologisch insofern, als "sich die Selbsterweise des Auferstandenen ... in exklusiver Weise vor dem Kreis seiner auserwählten Zeugen vollzogen ... (hätten): Ihnen ... allein ... (habe) Jesus das Geheimnis seiner Person und den Sinn seines Heilswerkes in unmittelbarer, grundlegender und suffizienter Weise erschlossen, weshalb die Gemeinde Jesu Christi bleibend auf ihr christologisches und soteriologisches Zeugnis angewiesen" sei (202; vgl. 210); hermeneutisch insofern, als das "im Lichte der österlichen Selbsterschließung Jesu" verfaßte JohEv nun auch "von Ostern her (zu) lesen und zu verstehen" sei (210).

Die Konzentration der vorliegenden "Johannesstudien" auf die Theologie des JohEv ist durchaus zu begrüßen, vor allem im Unterschied zu einigen neueren Arbeiten, in denen versucht wird, das Rätsel des JohEv durch historische Hypothesen über seine Entstehung zu lösen.

Wie immer solche Hypothesen zu beurteilen sind, in der augenblicklichen Forschungslage ist es auf jeden Fall berechtigt, sich auch auf die Theologie des JohEv zu konzentrieren. Dabei ist freilich sehr genau darauf zu achten, wie das nun geschieht und welche Akzente dabei gesetzt werden. Wenn Hofius und Kammler häufig spätere dogmatische Aussagen und Formeln (wie "Gottheit Jesu Christi", "Prädestination", "trinitarische Struktur", "perseverantia sanctorum", "sola scriptura", "apostolisches Christuszeugnis") verwenden, so stehen sie in der Gefahr, den theologischen Ertrag ihrer Textanalysen überzubelasten und von einem System her zu beurteilen, das nicht das des frühen Christentums ist, sondern das sich erst in dessen Geschichte langsam ausbildete. Was die starke Betonung der "Gottheit Jesu Christi" im JohEv betrifft, so wäre es auch denkbar, daß sie sich nicht sorgfältiger Reflexion über die (dogmatisch richtige) Christologie und Trinität verdankt, sondern dem Bemühen des JohEv, Jesus "gnostisierend" (in einem "naiven Doketismus") als den "über die Erde schreitenden Gott" darzustellen - Ernst Käsemann (Jesu letzter Wille nach Johannes 17, 3. Aufl., Tübingen 1971) meinte das ja. Sicher verfehlt ist es, wenn Kammler im Zusammenhang mit dem JohEv die Formel "sola scriptura" verwendet und im JohEv "das apostolische Christuszeugnis" findet. Der Ausdruck "die Schrift(en)" bezieht sich im JohEv wie überhaupt weithin im frühen Christentum auf das Alte Testament und auch wenn diese "Schriften" nach Joh 5,39 und den zahlreichen Schriftzitaten im JohEv von Jesus zeugen, so ist es im JohEv nach Joh 2,22 allenfalls Jesu Wort, das neben die Schrift tritt, nicht aber das "apostolische Christuszeugnis". Nur in Joh 21,24 (das H. und K. wie das ganze Kapitel Joh 21 für sekundär halten), wo das JohEv als das schriftliche Zeugnis des Jüngers, den Jesus liebte, hingestellt wird, findet sich eine Argumentation, die vielleicht mit dem zu tun hat, was man "apostolisches Christuszeugnis" nennt. Doch "apostolisch" ist dieses Zeugnis im JohEv gerade nicht; denn das Wort "Apostel" kommt im JohEv nur einmal im Singular vor, in Joh 13,16, und es gilt dort entweder nicht eindeutig im technischen Sinn den von Jesus/Gott berufenen "Aposteln" oder es soll diese kritisieren. Auch sonst ist zu bezweifeln, daß der Geistparaklet im JohEv an das "apostolische Christuszeugnis" gebunden wird.