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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

766–768

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Breitmaier, Isa

Titel/Untertitel:

Das Thema der Schöpfung in der Ökumenischen Bewegung 1948 bis 1988.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1995. 345 S. 8o = Europäische Hochschulschriften, Reihe XXIII: Theologie, 53O. DM 95,-. ISBN 3-631-48287-6.

Rezensent:

Günther Gaßmann

Das christliche Verständnis der Schöpfung fand zunächst keinen Platz auf der Tagesordnung ökumenischer Reflexion und Aktion. Für das Ringen um christliche Einheit war das Thema der Schöpfung irrelevant, da es nicht zum Kreis der kirchentrennenden Faktoren gehörte, noch fand dieses Thema einen Platz im Bemühen um die Erfüllung des gemeinsamen Zeugnisses und Dienstes. Erst seit den achtziger Jahren ist das Thema der Schöpfung in Reaktion auf die ökologische Krise zu einem wichtigen Bestandteil ökumenischer Überlegungen und Projekte geworden. Diese Entwicklung zeichnet die Vfn. in ihrer bei Lukas Vischer und Christian Link angefertigten Dissertation nach. Methodisch hat sie eine Reihe von historischen und systematischen Längs- und Querschnitten gewählt, um mit deren Hilfe Aspekte des Schöpfungsverständnisses in der ökumenischen Bewegung, und hier speziell in der Arbeit des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK)zwischen 1948 und 1988, aufzusuchen. Doch die Arbeit geht weit über die im Titel und Vorwort ausgesprochene Zielsetzung hinaus, "die Gedanken zum Thema der Schöpfung, die in den ersten vier Jahrzehnten nach seiner Gründung im Ökumenischen Rat der Kirchen und seinem Umfeld veröffentlicht wurden, zu sammeln und zu systematisieren" (9).

Nur der erste der beiden Teile des Buches befaßt sich konzentriert mit dieser Zielsetzung. In der Abfolge von vier Zeitabschnitten, die jeweils durch eine übergreifende Perspektive und einen "Höhepunkt" charakterisiert werden, sucht die Vfn. unter Heranziehung von Konferenzberichten, Studien und Vorträgen die Aussagen über die Schöpfung in der Arbeit des ÖRK von 1948 bis 1988 auf und ordnet und analysiert diese systematisch. (1) 1948-196l: Ekklesiologische Perspektive, vor allem in der Arbeit von Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order), und "Höhepunkt" mit Joseph Sittlers Rede in Neu Delhi 1961 "Zur Einheit berufen", in der von einer kosmologischen Christologie her eine Zusammenschau von Schöpfung und Erlösung gesucht wurde. (2) 1963-1968: Heilsgeschichtliche Perspektive, ebenfalls vor allem in Glauben und Kirchenverfassung, und "Höhepunkt" mit deren Studie über "Gott in Natur und Geschichte", 1967. (3) 197O-1979: Ethische Perspektive, vor allem in der Arbeit der ÖRK-Unterabteilung "Kirche und Gesellschaft", und als "Höhepunkt" der Vortrag von Charles Birchin Nairobi 1975 über "Schöpfung, Technik und Überleben der Menschheit", in dem wegweisend der Zusammenhang zwischen Unterentwicklung und ökologischem Raubbau herausgestellt und eine Ausweitung des Verständnisses von Erlösung und Heil auf die nichtmenschliche Natur gefordert wurde. (4) 1983-1988: Ökologische Perspektive, einsetzend mit der Vollversammlung 1983 in Vancouver und der nach ihr beginnenden Diskussion über den Zusammenhang von Bewahrung der Schöpfung und dem Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden.

Der zweite und längere Teil der Arbeit, "Systematische Entfaltung des Themas", umfaßt ein breites Spektrum an theologiegeschichtlichen und systematischen Überblicken zum Schöpfungsthema, deren Inhalte als Hintergrund für und Einflüsse auf die im ersten Teil beschriebenen ökumenischen Entwicklungen oder auch ohne solche Bezüge entfaltet werden: 1. Die Ge-schichte des theologischen Schöpfungsverständnisses von den biblischen Grundlagen bis hin zu 2. gegenwärtigen Überlegungen und Konzeptionen zum Gottes-und Menschenbild, zur Ethik der Schöpfung, Theologie der Natur, Verknüpfung von Schöpfung und Erlösung, zum Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft und Technik, zur Spiritualität der Schöpfung. Sodann werden 3. "Stimmen aus den Konfessionen" zum Thema der Arbeit zusammengestellt und 4. "Anregungen für ein modernes ökumenisches Schöpfungsverständnis" bei Teilhard de Chardin, Choan-Seng Song, Gustavo Gutiérrez, im afrikanischen, prozeßtheologischen und feministischen theologischen Denken und im Schöpfungsverständnis anderer Religionen aufgesucht. In den abschließenden knappen Zusammenfassungen und weiterführenden Thesen betont die Vfn. u. a. die Entfaltung eines neuen Naturbegriffs (Mensch und Natur als "Mitgeschöpfe"), die wechselseitige Beziehung von Widerstand gegen Ausbeutung der Natur und Einsatz für Gerechtigkeit, eine deutlichere trinitarische Fassung der Schöpfungstheologie im Rahmen eines trinitarisch entfalteten Gottesverständnisses, das Gottes mitleidende Liebe für seine Welt, sein unabgeschlossenes, prozeßhaftes Schöpfungshandeln, aber auch seine vorgegebenen (Schöpfungs)Ordnungen einschließt. Dies alles findet für die Vfn. sein Zentrum oder Ziel in der These: "Das Lob Gottes ist Grund und Ziel des Schöpfungsglaubens." Damit verbunden ist die Folgerung: "Ethik beginnt beim Lob Gottes angesichts seiner Schöpfung und begründet von daher die Ehrfurcht vor allem Geschaffenen" (318).

Die Vfn. benutzt für Zitate und Verweise in mehreren Fällen die englischen Ausgaben von Konferenzberichten und Studiendokumenten, die auch auf deutsch veröffentlicht worden sind, z. B. Lund 1952, Bristol 1967, Accra 1974, Nairobi 1975 (Vorträge), Sheffield 1981, die Studienarbeit über "Christus und die Kirche" 1963. Für den Dialog mit anderen Religionen wurde in Rom des Sekretariat für die Nichtchristen (statt "Nicht-Gläubigen", 296) geschaffen. Die vorläufige Fassung des Studiendokuments von Glauben und Kirchenverfassung "Den einen Glauben bekennen" wurde nicht 1985 in Stavanger verabschiedet (94), sondern 1987 in Madrid. Auch könnte man fragen, warum als zeitliche Begrenzung der Arbeit 1988 und nicht 1991 gewählt wurde, da von den großen Konferenzen im Rahmen des Prozesses über Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung 1989 in Basel und l99O in Seoul und von der Vollversammlung des ÖRK 1991 in Canberra sowie in der endgültigen Fassung - "Gemeinsam den einen Glauben bekennen", Frankfurt/Paderborn 1991 - des oben erwähnten Studiendokuments von Glauben und Kirchenverfassung wichtige ökumenische Aussagen zum Schöpfungsthema vorgelegt wurden.

Dieses Buch ist beeindruckend und hilfreich. Es ist beeindruckend durch den Reichtum des herangezogenen und gesichteten Materials, das systematisch geordnet, zueinander in Beziehung gesetzt und mit beachtlicher theologischer Kraft durchgängig beurteilt wird, so daß wesentliche Aspekte für die Weiterarbeit an einer "ökumenischen Schöpfungstheologie" (der Begriff ist vielleicht zu weitgehend) deutlich hervortreten. Das Buch ist hilfreich, weil es, vor allem in seinem ersten Teil, bisher wenig beachtete Stränge der ökumenischen Reflexion über die Schöpfung neu ans Licht bringt und kritisch sichtet und mit seinen beiden materialreichen Teilen vielfältige Zugänge für die verschiedensten Formen der Beschäftigung mit dem Schöpfungsthema eröffnet.