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Ausgabe:

Mai/1996

Spalte:

455–457

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Trumbower, Jeffrey A.

Titel/Untertitel:

Born from Above. The Anthropology of the Gospel of John.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1992. XI, 170 S. gr.8o = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 29. Lw. DM 138,-. ISBN 3-16-145806-0.

Rezensent:

Udo Schnelle

Diese in Chicago angefertigte Dissertation hat sich zum Ziel gesetzt, einen Beitrag zum Verständnis der joh. Anthropologie und damit auch zum umstrittenen Verhältnis Johannesevangelium - Gnosis zu liefern. Dabei lautet die Grundthese der Arbeit folgendermaßen: "when the principal Gospel author is trying to understand and explain the phenomena of belief and unbelief, he does so in terms of what shall be called the 'fixed origins of human beings': 'origins', because so much of the gospel's language has to do with human origins from above or from God or from Jesus' sheep: 'fixed', because when the author uses such language, he is referring to categories which were already fixed before the coming of Jesus, and which cannot change. The term 'proto-gnostic' as a description of the gospel's anthropology is apt, because the language used in John is characterized by a strong sense of the pre-salvation affinity between the believer and the divine realm" (4). Zur Absicherung dieser These wendet sich der Vf. zunächst der Frage zu, ob Herakleon oder Origenes die joh. Anthropologie zutreffend interpretiert hat. Während die valentianische, durch Herakleon vertretene Anthropologie von festgelegten Ursprüngen ("fixed origins") für das Handeln des Menschen ausgeht, verteidigt Origenes die Möglichkeit der Bekehrung des Menschen, also einer grundlegenden Verhaltensänderung. Die Position des Origenes wurde von fast allen neueren Exegeten aufgenommen, allein A. Hilgenfeld (Das Evangelium und die Briefe Johannis, Halle 1894) schloß sich der Johannesinterpretation des Herakleon an und sah bei Johannes eine gnostische Anthropologie. Es geht somit um die Frage, ob die von Herakleon vertretene ,gnostische' Anthropologie sich auch bei Johannes selbst findet. Der Vf. ist davon überzeugt, und versucht seine These in zwei Schritten zu erhärten. In einem ersten Abschnitt (14-56) wird zunächst die Prädestinationssprache in verschiedenen Überlieferungsbereichen untersucht. Der Vf. zieht Texte aus den Hodajot, dem Römerbrief, dem Epheserbrief und dem ,Evangelium der Wahrheit' aus den Nag-Hammadi-Texten heran. Eine wirklich gnostische Anthropologie findet der Vf. nur im ,Evangelium der Wahrheit', darüber hinaus versteht er andere Nag-Hammadi-Texte im Sinn der valentianischen Gnosis (vgl. NHC I 104,4-108,12). Als These ergibt sich aus diesen Untersuchungen: "the Fourth Gospel author, while occasionally using election language of the 1QH/Pauline type, nonetheless usually attributes the phenomena of belief and unbelief to the fixed origin of the human being, in categories similar to those of Valentinian Gnosticism, although he does not presuppose as well-defined a system as do those like Heracleon who later make use of his work. We may see the work of the Fourth Gospel as an important step toward the later fixedness of the Valentinian speculation" (30). Der Vf. untersucht noch kurz die Konzeption der ,festgelegten Ursprünge' im Altertum (30-46) und die Diskussion der Frage seit Origenes (46-56), um sich dann der Verifikation seiner These an den joh. Texten zuzuwenden.

Als Schlüsseltexte erweisen sich für den Vf. Jo 3,3 und Jo 8,37-47. Jo 3,3 wird so interpretiert, daß Johannes "means one must belong to a fixed category of persons in order to see the Kingdom of God" (72). Für diese Interpretation werden vier Gründe angeführt. 1) Eine den Ursprung betonende Sprach- und Vorstellungswelt findet sich auch sonst im Evangelium (vgl. Jo 1,13; 3,20 f.; 7,7; 8,41-47; 10,3 ff.; 17,14-16; 18,37); 2) An allen anderen Stellen bedeutet ôÓÂÓ auch "von oben" (vgl. Jo 3,31; 19,11.23); 3) Im Urchristentum werde die ,Wiedergeburt' in anderen Termini wiedergegeben; 4) Nikodemus wird von Jesus nicht zu einer angemessenen Erkenntnis geführt, weil er nicht zu dem vorherbestimmten Personenkreis gehört. In der Diskussion zwischen Jesus und den Juden in Jo 8,37-47 können die Juden Jesu Wort nicht verstehen, weil sie nicht von Gott, sondern vom Satan abstammen. Ein vergleichbarer Gedanke wird in 1Jo 3,6-9 entfaltet. Die ungläubigen Juden können Jesu Wort nicht hören, und sie müssen deshalb in ihren Sünden sterben. Es gibt für sie keine Möglichkeit, durch eine Entscheidung ihre durch den Ursprung festgelegte Ausrichtung zu korrigieren. Der Hauptautor des Johannesevangeliums vertritt deshalb eine ,proto-gnostische' Position, seine Botschaft wird von der Vorstellung geprägt, "that the believers could consider themselves, already before the savior's arrival, a special group set apart by their origin from God" (143). Diese Position konnte später in gnostischen Kreisen aufgenommen werden, weil sie im Johannesevangelium be-reits angelegt war.

Die Untersuchung zeichnet sich insgesamt durch eine umsichtige Argumentation aus; der Vf. sieht durchaus, daß es Texte gibt, die mit seiner Interpretation nur schwer zu vereinbaren sind (vgl. Jo 6,27a; 12,36.46; 20,31). Ihm ist auch zuzugestehen, daß zahlreiche Texte im Johannesevangelium und im 1Jo von einer Festlegung der Menschen nach ihrem jeweiligen Ursprung sprechen. Diese Spannung läßt sich nicht wirklich auflösen, die jeweilige Gesamtinterpretation des Johannesevangeliums entscheidet letztlich darüber, welcher Vorstellung und welchen Texten ein Vorrang eingeräumt wird. Die Lese- und Verstehensanleitung Jo 20,31 spricht m.E. gegen eine dezidierte Festlegung auf einen jeweiligen Ursprung, denn das Evangelium will Glauben wecken. Auch die Reden Jesu (vgl. z.B. Jo 8,12; 10,5) sind von ihrer Argumentation her auf Zustimmung aus. Sie konstatieren nicht, sondern wollen eine Veränderung herbeiführen. Zudem rechnet Jo 6,66 mit einer Abkehr vom Glauben, d.h. der menschlichen Entscheidung kommt eine grundlegende Bedeutung zu. Insofern wird man die joh. An-thropologie nicht als ,proto-gnostisch' bezeichnen können, auch wenn sie für spätere Gnostiker leicht rezipierbar war. Von der joh. Anthropologie hin zur gnostischen Menschenklassen-Lehre ist ein weiter Weg.