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Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

676–678

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Strecker, Georg

Titel/Untertitel:

Theologie des Neuen Testaments. Bearb., erg. u. hrsg. von F. W. Horn.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1996. XIV, 741 S. 8 = De-Gruyter-Lehrbuch. ISBN 3-11-012674-5.

Rezensent:

Eduard Schweizer

F. W. Horns Verdienst ist hoch zu schätzen. Nach G. Streckers Tod hat er, ohne dessen Sicht zu verändern, in entsagungsreicher Arbeit alles Vorhandene ergänzt und korrigiert. Unter den Nachpaulinen stechen z. B. 2Thess., Jud., 1/2Petr., die er allein bearbeitet hat, an Gründlichkeit deutlich hervor. Stets sind reichliche Literaturlisten vorangestellt.

Die Einleitung (1-9) grenzt gegen bloße urchristliche Religionsgeschichte und naive Voraussetzung einheitlichen Denkens ab und versteht die Aufgabe redaktionsgeschichtlich (V). Das Konzept einer "biblischen Theologie" wird nach einer lehrreichen Forschungsgeschichte bis zu Barth und Bultmann hin (zu?) kritisch beurteilt. Eingesetzt wird bei den sieben unbestrittenen Paulusbriefen (A, 11-229).

"Fundamentale" Scheidung vom Judentum (24) ist für Paulus, der sich fünfmal geißeln ließ, ohne sich von ihm loszusagen, doch wohl einseitig ausgesagt; aber in Abgrenzung gegen W. Vischer und R. Bultmann (39 f.) wird richtig festgehalten, daß für sein Schriftverständnis das Christusgeschehen oberste Norm ist. Hilfreich sind Aussagen zur Sophia und jüdischen Ethik (41-54). Einflüsse von Mysterienreligionen (57-59, vgl. 325, 465, 582) und (vor)gnostischen Ideen (63-69) beurteile ich noch kritischer. In ausführlicher Diskussion mit anderen werden vorpaulinische Formeln (Röm 1,3 f.; Phil 2,6-11; 1Kor 15,3-5) besprochen (69-84). Das gilt auch für den Abschnitt über "Die Person des Christus" (84-124). Abweichende Meinungen werden verzeichnet, zum Kyriostitel gegen Bousset Tetragramm, Anrede des Irdischen und maranatha genannt (91-98), die Forschung zu "Jesus und Paulus" sorgfältig dargestellt (102-112) und gegen H. Braun das "Extra nos" betont (122). Zu fragen wäre, ob das Bild vom "göttlichen Menschen" (als Göttersohn) damals schon existierte (89, 319, 372-376, 393) und ob für Paulus Jesus nur "der menschgewordene mythische Christus" ist (112, A.79). Läßt sich in der Soteriologie (124-190) "Sünde" so stark als dämonische Macht beschreiben (z. B. 141, 149)? Ist sie für Paulus mehr als die grundlegende Falschorientierung des "sich rühmenden" Menschen (so 139, 153), von der Christus endgültig befreit, dem auch alle konkreten "Verfehlungen" jetzt anheimgestellt sind. Sie sind deutlich von "der Sünde" unterschieden, wogegen neben ca. 50 singularischen Stellen der (141 erwähnte) Plural in Röm 7,5 (abhängig von "Leidenschaften") und 1Kor 15,17 (wo V. 3 nachwirkt) nichts aussagt. Käsemanns Protest gegen Bultmann wird im Abschnitt "Rechtfertigung" (Vorpaulinisches: 156-159) besprochen (159-166). Der Titel "Übereignung der Freiheit" zu Verkündigung, Taufe und Herrenmahl (167-185) leitet sehr schön über zur Behandlung der "ekklesia" als "Gemeinschaft der Freien" (190-222) und der Eschatologie als "Zukunft der Freien" (222-229). So fremd mir der Trend ist, Judentum und Christentum (fast) zu identifizieren, betonte ich S. 193 und 221 f. "Aufgebot Jahwes" als Vorbild der ekklesia (Gal 1,13) und vor allem Röm 11,25 f. stärker.

S. 231-336 behandelt die vorsynoptische Periode (B): Täufer (231-241), Gottesherrschaft (241-279: Entwicklung von Reimarus bis Fuchs 245-264), palästinische und hellenistische Gemeinde, Herrenmahl und Taufe (279-328) und Q (328-336; Existenz von Q-Gemeinden zu Recht angezweifelt und ge-schichtliche Sicht des Christusgeschehens betont). Ich bin weithin einig, nähme wohl die historische Rückfrage wichtiger, nicht nur das "Glaubst du, so hast du" (269), sähe bei den Osterereignissen Lk 5,1-11 prioritär zu Joh 21,1-14 (281) und zweifelte nicht an der Jüngerflucht, da keiner für die Bestattung Jesu sorgt (285). Bultmanns "Auferstehung in das Kerygma" (292) genügt mir nicht, und zur richtigen Sicht der Urgemeinde als apokalyptisch wäre die Diskussion mit G. Klein (TRE X, 274-277) zuzufügen (298-303). Gab es in Jerusalem wirklich noch keine "Problematisierung des Gesetzes" (Apg 6 f., gegen S. 313) und verliert "Gottessohn" in der hellenistischen Gemeinde durchwegs seinen funktionalen Sinn (317)?

Die Besprechung der Synoptiker (C, 337-438) setzt sehr schön ein bei den Problemen "Kerygma und Historie" (339-345), "Parusieverzögerung" (345-354), "Evangelium" (355-361). Meine Fragen beträfen die Kombination von Gottesgeschichte und Prophetie, also die "Anrede durch das Medium der Historie" im AT, wo auch ein "Held" wie Abraham, Mose, David erscheint, als Vorbild der Gattung "Evangelium" (341 f.: keine jüdische Parallele), die (zu?) starke Betonung der Parusieverzögerung (345-354) und die nur marginale Nennung von Jes 41,27; 52, 7 (übrigens auch Ps 67,12 LXX) für den Term "Evangelium" (356). Markus (361-384) wird als Evangelium der "geheimen Epiphanien" geschildert, in dem "Jesus Glauben zumutet, weil er durch seine Existenz Glauben ermöglicht" (383). In 4,10-13 sähe ich keine schroffe "praedestinatio in malum" (366), sondern im (redaktionellen!) Vers 13 die Ansage der radikalen, auch die Jünger einschließenden Verlorenheit des Menschen, aus der allein Jesu Gleichnisrede (und deren Vermittlung durch die Jünger, vgl. 4,22.30-32) rettet (4,33 f.).

Skeptisch bin ich gegenüber einem Inthronisationsschema (378). Matthäus (384-412) betont das endgültige Ausscheiden Israels (387-391: 27,25 dann nur noch "Juden"). Wie das singuläre "Reich des Menschensohns" (395) zu begrenzen ist, ist nicht gesagt. Zu den Seligpreisungen (397-399) wäre anzumerken, daß im AT Zuspruch in 2. Person ebenso selten ist wie Reihen, die aber in der Gesetzespraränese zu Hause sind.

Gewiß ist "Gerechtigkeit" hier Forderung, nicht primär Gabe, aber erwartet Mt wirklich "quantitativ-totale" Erfüllung, wenn doch "Liebe" nicht im Widerspruch dazu steht (402-404)? Und weisen Taufe und Herrenmahl die matthäische Bruderschaft (23,8) als Institution aus (411)? Die Sicht des Lukas (412-438) ist stark von H. Conzelmann beeinflußt, obwohl "der Schluß der Zeit Jesu... weniger eindeutig ist" und "das Leben Jesu sich in einer kontinuierlichen Linie fortsetzt" bis in die "Zeit der Kirche" hinein (418, 429, vgl. zu Flender 423, A.11). Die "satansfreie Zeit" des irdischen Jesus (427) scheint mir schon an Lk 22,28 zu scheitern. Und sind wirklich "Tod und Auferweckung Jesu... lediglich heilvolle Begebenheiten neben andern" (432, vgl. Lk 24,46; Apg 2,36; 5,30 usw.)?

Die Folge der johanneischen Schule (D, 439-573) 2/3Joh-1Joh-Joh (440-443) überzeugt mich nicht, auch nicht die Deutung von 2Joh 7-11 auf eine (chiliastische, vgl. 458, 570 f.) Parusie Jesu "im Fleisch" (446-449): H. J. Klauck. EKK XXIII/2, 1992, 54 f.! Antidoketisch (458 f., zu den Sakramenten 473 f.) lehrt der 1Johannesbrief ( 455-477) eine (hellenistisch verstandene) Zeugung aus Gott (463-466, unter Einfluß des paulinischen "in Christus"?), der "die Liebe ist" (nur hier so, 470), und die "Salbung" der Gemeinde (473). Die Spannungen im (ins 2. Jh. zu datierenden) Evange-lium (477-541) werden (gegen Bultmann, zu Recht) auf übernommene Tradition zurückgeführt (479-481). Gegen Culpepper, Barrett (440) und andere (485-487; E. Ruckstuhl, Jesus im Horizont der Evangelien, 1988, 355-401: ein Jerusalemer Essener) wird der Lieblingsjünger als ideale Größe verstanden (tritt er in Joh 21 wirklich "eindeutig" hinter Petrus, d. h. zugunsten der Großkirche zurück, 489 f.?).

Die Forschung zum Prolog wird S. 490-508 ausführlich diskutiert und Käsemanns These eines johanneischen Doketismus richtig auf die Tradition eingeschränkt. Im Exkurs zu den "Ju-den" (514-520) wäre noch zu betonen, daß, sobald nachösterliche Zeit in Frage kommt (in Kap. 13-17), diese überall (13,33 = vorösterlich) durch "der Kosmos" ersetzt werden. Weiter zu diskutieren wären auf S. 533-535 1Joh 2,27 (Ämter nicht aus-schließend?) und 5,5-8 (vor Joh 19,34?). Die Seiten 541-573 behandeln die Offenbarung, S. 543-547 ihr Verhältnis zur jüdischen Apokalyptik und zur Johannesschule. Die Kapitel 13-14/17-19 gelten (mit Bornkamm, 549) als Parallelergänzungen zu den Siebenerreihen. Christologisch ist die Begrenzung durch den Monotheismus (mit T. Holtz, 552, darf man dann 564 vom "Christus-Menschensohn" reden, da 1,13; 14,14 rein bildlich sind?) anzumerken, ekklesiologisch die Sicht von Propheten und Aposteln als Gemeindeämter (560-562) zu diskutieren. Wichtig ist die Zusammengehörgikeit von Gegenwart und Zu-kunft (565-571). Die Datierung (im Blick auf die johanneische Schule!) unter Trajan müßte gegenüber anderen (auch der Deutung von 666 auf M. Nerva durch H. Kraft, HNT 16a, 222) gründlicher gesichert werden (568).

Die Deuteropaulinen (E) sind als "Weg zur Großkirche" beschrieben. Beim Kolosserbrief (576-594) ist die Grundtendenz einer stärker präsentischen Eschatologie richtig bestimmt (594), auch in 1,15-20 Tradition und Redaktion unterschieden (578-585). Doch fehlen die verschiedenen Versuche, die Irrlehre theologisch zu bestimmen (590 f.), besonders R. E. DeMaris, JSNT Suppl. 96, 1994 (dazu und zu J. L. Martyn 1995: E. Schweizer, ThLZ 120, 1995, 240-242: Sind z. B. die Engel in 2,18 vollendete Seelen oder böse Mächte?). Auch müßte S. 694, A.16 (und 582, A.16) zur Sophiatradition neben F. Christ unbedingt M. J. Suggs (Wisdom, Christology and Law in Matthew's Gospel, Cambridge MS 1970) zitiert werden. Unsicher bleibt die Auslegung von 1,24 (Paulus als "Christus prolongatus", 589) und die vorpaulinische Herkunft des "mit Christus Auferstandenseins" (592). Der Epheserbrief (595-606) entfaltet die Sicht der Kirche als Leib Christi (Kol 1,18), dem dieser als Haupt gegenübersteht (den ontologischen Hintergrund bei Paulus betonte ich eher noch stärker, 586 f., 598 f.). Gegen Lindemann wird neben der räumlichen auch die zeitliche Kategorie betont (606). Relativ kurz werden die Pastoralbriefe behandelt (607-625).

In der 1Tim 3,16 zitierten Tradition (610-613) bleibt mir mit J. Roloff, EKK XV, 192 f. der Wechsel von irdischem und himmlischem Geschehen immer noch am wahrscheinlichsten. Wesentlich sind die Bemerkungen zur Gemeindeordnung S. 617-625; ob schon in Richtung monarchisches Bischofsamt gedacht ist (619), bleibt freilich fraglich. Unechtheit und Absicht des 2Thessalonicherbriefs (625-635), die verschiedenen Lösungen für 2,2 und die Kombination von Antichrist (Dan 11,36) und Lügenprophet (Dtn 13,2-6) in 2,3-12 werden in Auseinandersetzung mit der Forschung geklärt.

Unter den Katholischen Briefen (F, 637-719) wird im He-bräerbrief (637-653) 1,1-5 besonders besprochen, dann die Hohepriestervorstellung (inkl. Melchisedek), die spärlichen Be-züge auf den irdischen Jesus (ist 13,12 "außerhalb des Tors" nicht historisch verstanden, 646?), das wandernde oder wartende Gottesvolk. Die zweite Buße ist erwähnt und Sachkritik leise angedeutet (652 f.). Beim 1Petrusbrief wird intensiv mit der Forschung diskutiert. Die christologischen Stellen 1,18-21; 2,21-25; 3,18-22 (V. 19 eher = Gerichtsankündigung als Evangelium für Verstorbene!) sind einzeln analysiert. Ähnliches gilt für Judas- und 2Petrusbrief (675-689). Gegner sind späte Pauliner. Der Vorwurf des Frühkatholizismus (Schulz, 683) ist nur bedingt richtig. Sachkritik (Käsemann) bleibt notwendig; doch wird die "Vergottung" von 2Petr1,3 f. weder gnostisch noch sakramental vorgestellt, und 2Petr ist mehr als nur Apologie ur-christlicher Eschatologie (687-689).

Den Abschluß bildet S. 689-719 der Jakobusbrief, zu dem auch G. Streckers Beitrag in EKL3 II, 1989 vorliegt. Abgehandelt werden die Probleme der Herrenwortüberlieferung, des hellenistischen Einflusses, der Neugeburt, der Sophia, des Gesetzes und des Liebesgebots. 2,14-26 setzen die paulinische Alternative "Glaube/Werke" aufgrund von Gen 15,6 voraus (708: in 2,25 gegen Jos 6,25 "gerechtfertigt"!), wahrscheinlich indirekt vermittelt (trotz stilistischer Parallelen, 710f.). Konventikelhafte Armenfrömmigkeit liegt nicht vor (713-718), und angegriffen ist ein unpaulinischer "Glaubens"-Begriff (712, vgl. 719).

Auf über 750 Seiten wird so eine Fülle wertvoller Informationen und Anregungen geboten, für die wir beiden Forschern dankbar sind.