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Ausgabe:

November/1998

Spalte:

1081–1083

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Barnett, Paul

Titel/Untertitel:

The Second Epistle to the Corinthians.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 1997. XXX, 662 S. gr.8 = The New International Commentary on the New Testament. Geb. $ 45.-. ISBN 0-8028-2300-9.

Rezensent:

Klaus-M. Bull

Der New International Commentary on the New Testament versteht sich als ein "critical yet orthodox commentary marked by solid biblical scholarship within the evangelical Protestant tradition". Der Text der Bücher des Neuen Testaments wird in der New International Version geboten. Verweise auf den griechischen Text und die Auseinandersetzung mit der wichtigsten exegetischen Fachliteratur finden sich bewußt beinahe ausschließlich im Anmerkungsapparat. Die neueren in der Reihe erschienenen Kommentare berücksichtigen in einem Umfang, der in der deutschen Forschung nicht immer selbstverständlich ist, aktuelle rhetorische und soziologische Erkenntnisse zum Neuen Testament.

Jetzt hat P. Barnett, anglikanischer Bischof von North Sydney, im NICNT die hier anzuzeigende Neukommentierung des 2. Korintherbriefes vorgelegt.

Er geht in seinem Kommentar davon aus, daß der 2Kor ein ursprünglich einheitliches Schreiben sei. "In our view 2 Corinthians is not a pastiche of letters of independent origin. Raher, the letter was always a unity, written in the cultural mode of an apologetic letter ..." (24). Die letzten Worte sind zentral für die Argumentation des Vf.s in diesem Punkt, gelingt es ihm doch auf diese Weise, die Kap. 10-13 als peroratio zu verstehen, d. h. ihren polemischen Ton als von der Form vorgegeben zu interpretieren. Anders als Chr. Wolff, U. Schnelle u. a. nimmt er auch nicht an, daß Paulus vor der Niederschrift dieser Kapitel (etwa von Titus) neue Informationen aus Korinth erhalten habe. Konsequenterweise muß er den Aorist in 2Kor 8,12.22 epistolarisch verstehen, was durch den Kontext nicht unbedingt nahegelegt wird. Auffällig ist, daß der Vf. die in der deutschsprachigen Forschung häufig vertretene These, 2Kor 10-13 sei mit dem "Tränenbrief" identisch bzw. ein Fragment desselben, nicht zur Kenntnis genommen hat. Jedenfalls fehlt jede Auseinandersetzung mit ihr. Mir scheint diese Annahme jedoch immer noch die beste Lösung der Spannung zwischen 2Kor 1-9 und 10-13 zu sein. Nur am Rande soll vermerkt werden, daß der Vf. auch 2Kor 6,14-7,1 für einen authentischen Bestandteil des Briefes hält, da er "may reasonably be seen as a logical continuation of Paul’s exhortations in 1 Corinthians" (a. a. O.).

Die Einleitung bietet nach einem kurzen Referat der überlieferten Informationen über die Verhältnisse im antiken Korinth und den schon referierten Ausführungen zu literarischen Fragen eine relativ ausführliche Darstellung der Entwicklung der Beziehung zwischen Paulus und der von ihm gegründeten Gemeinde. Der Vf. macht auf diese Weise deutlich, daß die zur Zeit des 2Kor offenbar eskalierten Konflikte zu einem guten Teil auf Spannungen zwischen dem Apostel und (Teilen) der korinthischen Gemeinde zurückgehen, die schon im 1Kor erkennbar sind. Hier ist zunächst, wie der Vf. im Anschluß an E. A. Judge betont, die paulinische Ablehnung finanzieller Unterstützung durch die Korinther zu nennen, die den Statusstolz der sozial besser gestellten Gemeindeglieder empfindlich verletzt haben dürfte. Darüber hinaus vermutet der Vf., daß die Wirksamkeit von Apollos in Korinth dazu geführt habe, Paulus’ rhetorische Fähigkeiten in Frage zu stellen, während die Ankunft Petri die generelle Frage nach der Legitimität des paulinischen Apostolats aufbrechen ließ, die dann den Hintergrund aller weiteren Auseinandersetzungen bildete (10). Einen weiteren wichtigen Konfliktpunkt sieht er in der paulinischen Forderung an die Korinther, sich der Teilnahme am kultischen Leben Korinths mit seinen sexuellen Implikationen zu enthalten (11f.). Seiner Ansicht nach hat die Unnachgiebigkeit des Apostels in dieser Angelegenheit zum Eklat während des sogenannten "Zwischenbesuches" geführt (28 f.). Ob man allerdings der Ansicht des Vf.s folgen sollte, daß auch das in 1Kor 1-4 behandelte Problem der "Parteien" in der korinthischen Gemeinde noch bestand, wage ich zu bezweifeln. Es ist doch ein erheblicher Unterschied, ob Paulus wie im 1Kor die Gruppenbildung in der Gemeinde zum Problem macht oder wie in 2Kor 2,6 damit rechnet, daß eine Minderheit weiterhin seinen Beleidiger unterstützt.

Der 2Kor belegt dann die Eskalation der vorhandenen und das Aufbrechen neuer Probleme. Paulus wurde der Vorwurf gemacht, er nutze die Kollekte, um sich trickreich doch von der Gemeinde finanzieren zu lassen (vgl. 2Kor 12,16b-18). Die Ankunft der "Superapostel" (2Kor 11,5; 12,11) und ihr wachsender Einfluß in der Gemeinde führte dazu, daß das paulinische Apostolat in Korinth als inferior betrachtet wurde. Kann aber mit dem Vf. wirklich gesagt werden: "The problem was not that they denied Paul’s apostleship" (36)?

Die Kollekte für die Jerusalemer war ganz zum Erliegen gekommen, was wohl ursächlich mit dem Eklat beim "Zwischenbesuch" des Apostels zusammenhing.

Bis hierher wird man der Rekonstruktion des Vf.s weithin folgen können, auch wenn man die Akzente im Detail möglicherweise anders setzen würde und die Apg nicht so zuversichtlich als historische Quelle nutzen möchte wie er. Kaum zuzustimmen ist aber m. E. dem Versuch des Vf.s, die Identität und Botschaft der "Superapostel" genauer zu bestimmen. Dabei ist unstrittig, daß es sich um hellenistische Juden gehandelt haben dürfte. In dieser Hinsicht sind die paulinischen Aussagen in 2Kor 11,22 f. und ihr Kontext eindeutig. Der Vf. meint dann aber, aus 2Kor 3 schlußfolgern zu können, daß es sich um Judaisten gehandelt habe (35, vgl. die Auslegung zu 2Kor 3,1 ff.), die mit Hilfe eines Netzwerkes von Gemeinden, die ihnen Empfehlungsbriefe ausstellen sollten, eine "countermission" (163) zu Paulus zu etablieren suchten. "Possibly the source of recommendation lay with Greek-speaking members of the Pharisaic brotherhoods who were within the orbit of the churches of Judaea and who were profoundly disturbed by what appeared to be antinomian emphases in Paul’s Gentile mission" (ebd.). Die "Superapostel" sehen den alten Bund noch in Kraft. Sie halten die anhaltende Herrlichkeit des Mose der offenbaren Armseligkeit des Paulus entgegen. Der Vf. hält es sogar für möglich, daß die Frage der Beschneidung auch in Korinth eine Rolle gespielt habe, obwohl Paulus sie im 2Kor nicht erwähnt (36). Im Grunde sieht der Vf. Paulus also im 2Kor an derselben Front kämpfen wie im Röm (und Gal) (36). Deshalb kann er auch vermuten, daß der Röm auf in Korinth gehaltene "lectures" zurückgehe (14).

Meines Erachtens hat der Vf. hier das - prinzipiell kaum zu vermeidende, aber methodisch immer problematische - Instrument einer "Mirror exegesis" (27) bei 2Kor 3 über die Gebühr strapaziert. Es ist doch verwunderlich, daß der postulierte theologische Hintergrund der "Superapostel" in der Polemik des Apostels in 2Kor 10-13 so gar keine Rolle spielt! Das gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, daß ein wesentliches Anliegen des 2Kor darin besteht, "to explain and defend his [i. e. Paulus’] new covenant ministry as nontriumphalist (2:14), yet, despite its sufferings, effective (3:6), the evidence of which is the presence among them of the Spirit of the living God (3:3,6,8,18; 5:5)" (24).

Überhaupt wirft die in diesem Kommentar gebotene Auslegung von 2Kor 3 manche Frage auf. Der Vf. meint z. B.: "That it [i. e. das Apostolat der Gegner] prooved to be a ’ministry of death ... of condemnation ... [and] was being abolished’ (vv. 7, 9, 11) was due not to that covenant in itself, nor to an absence of glory, but to the spiritual incapacity of the people to fulfill its just requirements" (180) und "The ’ministry of the Spirit’ is more glorious because the Spirit, as fulfilment of the prophetic promise and the prime blessing of the new covenant ..., is able to change otherwise rebellious hearts, inclining them ’now’ (cf. 5:16 [twice], 6:2) to hearken to the Law of God" (184). Trifft das wirklich die paulinische Akzentsetzung, oder wird hier nicht vielmehr Paulus von Jer 31,31 ff. und Ez 36 her interpretiert?

Hier kann natürlich nicht der Ort sein, die Einzelauslegung im Detail zu besprechen. So soll nur noch auf einige Grundzüge des Kommentars aufmerksam gemacht werden.

Um die paulinische Argumentation durchsichtig zu machen, bietet der Vf. im Zuge der Einzelauslegung immer wieder Textpassagen in Sinnzeilen gegliedert. Das ist ausgesprochen hilfreich, zumal auf diese Weise auch die Bezugnahmen etwa auf alttestamentliche Texte optisch gut nachvollziehbar werden.

Der Vf. weist zu Recht immer wieder darauf hin, daß die paulinische theologische Argumentation den unmittelbaren Anlaß des Briefes bzw. seine konkrete Situation transzendiert bzw. sogar bis zu einem gewissen Grad verhüllt (142 u. ö.). Er legt in der Auslegung deshalb den Akzent häufig auf die über die unmittelbare Situation hinausreichende Bedeutung der paulinischen Aussagen (vgl. den abschließenden Abschnitt der Einleitung und solche Formulierungen wie "What is the abiding significance ...?" [144]). Hier schlägt sich offenbar ein deutliches hermeneutisches und pastorales Interesse dieser Auslegung nieder.

Ausführliche Indices schließen den Kommentar ab, der sicher vielfach kritisch zu lesen ist, aber auch wertvolle Anstöße zu vermitteln vermag.