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Ausgabe:

Juni/1996

Spalte:

552–554

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Piper, Ronald A. [Ed.]

Titel/Untertitel:

The Gospel behind the Gospels. Current Studies in Q.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1995. XI, 411 S. gr.8o = Supplements to Novum Testamentum, 75. Lw. hlg. 200.-. ISBN 90-04-09737-6.

Rezensent:

Claus-Peter März

Seit Ende der 60er Jahre hat sich die Q-Forschung mehr und mehr als eigener und inzwischen mit erheblichem Aufwand betriebener Bereich der ntl. Exegese etabliert. Dabei ging es schon in den Anfängen dieses neuen Fragens nach Q - in Deutschland stehen dafür die Namen D. Lührmann, P. Hoffmann, S. Schulz und A. Polag - nicht mehr nur um die Existenz der "Quelle", sondern immer schon um deren literarische und theologische Struktur, um ihre Entstehungsgeschichte sowie um die Verankerung der Q-Tradition in der frühen Gemeinde. Eine erste "Zwischenbilanz" dieser Arbeit stellte ohne Zweifel das "Colloquium biblicum Lovaniense 1981" dar, das sich unter dem Titel "Logia. Les Paroles de Jésus - The Sayings of Jesus" wesentlich auch mit der Q-Problematik befaßte.(1) Inzwischen ist die Forschung in vielfacher Weise weiter fortgeschritten und in neue Fragehorizonte vorgestoßen (weisheitliche oder eschatologisch-apokalyptische Prägung, kynische Ausrichtung, unterschiedliche Traditionsschichten usw.). Nach wie vor spielen dabei freilich die Grundfragen nach der Begründung bzw. dem Umfang der Quelle eine erhebliche Rolle. Das von der Society of Biblical Literature und dem Claremont Institut for Antiquity and Christianity getragene "Internationale Q-Projekt" hat dabei entscheidende Ansätze gebündelt und gerade für das Bemühen um eine Rekonstruktion des Q-Textes neue Anstöße vermittelt.

Der hier zu besprechende, von R. A. Piper herausgegebene Band, nimmt diesen weiten Horizont der gegenwärtigen Frage nach Q auf. Er sucht in der Auswahl der Themen einen "Querschnitt" der gegenwärtigen Q-Forschung zu entwerfen, bei dem sowohl jene Probleme, die die heutige Nachfrage bestimmen, als auch die unterschiedlichen Lösungsansätze und Grundorientierungen sichtbar werden.

Nach der Einleitung von A. Piper, "The Quest of Q: Direction of Q Studies" (1-18) geht der Aufsatz von M. Tuckett, "The Existence of Q" (19-47) der Möglichkeit einer Benutzung des Mt durch Lk nach und setzt sich kritisch mit der Grießbach-Hypothese wie dem Entwurf von M. Gouldner auseinander. F. Neirynck, "The minor agreements and Q" (49-72), setzt ebenfalls bei einem für die Q-Forschung neuralgischen Punkt an und geht dem Problem der kleineren Übereinstimmungen zwischen Mt und Lk diff Mk nach. Angesichts der Tendenz in der Forschung, immer mehr Texte für Q zu reklamieren, ist er um methodologische Klarstellungen bemüht: "in triple-tradition passages where Matthew's and Luke's independent redactions provide a satisfactory explanation of their agreements against Mark there is no need to suggest of a second non Markan source (Q)." (54) J. Lamprecht, "The Great commandment pericope and Q" (73-96), sucht Verbindungen zwischen Markus und Q aufzuweisen und wählt mit Mk 12,28-34/Lk 10,25-28/Mt 22,34-40 einen Text, an dem eine solche Rückfrage bislang noch kaum erprobt wurde. Er stellt fest: "Mark has most probably known and used this Q pericope as well." (95) D. Lührmann, "Q: Saying of Jesus or Logia?" (98-116), bietet eine forschungsgeschichtliche Annäherung an Q und weist darauf hin, daß die Entfaltung der Zweiquellentheorie wie die Vorstellungen der Redequelle von wechselnden forschungsgeschichtlichen Gegebenheiten bestimmt waren, die ihrerseits erheblichen Einfluß auf die Ausprägung der Theorie gehabt haben. W. Cotter, "Prestige, Protection and Promise: A Proposal for the Apologetics of Q2" (117-138), sucht die unterschiedlichen "Schichten" in Q näher zu beleuchten. Sie schließt sich dabei der Vorstellung von J. Kloppenborg an und untersucht beide von ihm für die Quelle angenommenen "Schichten" - Q1(weisheitliche Grundschrift) und Q2 (eschatologisch-apokalyptische Bearbeitung) - im Hinblick auf ihren sozio-kulturellen Hintergrund. Dabei hebt sie beachtliche Unterschiede im Selbstverständnis der jeweils im Hintergrund stehenden Gruppe hervor. Mit M. Sato, "Wisdom Statements in the Sphere of Prophecy" (139-158), kommt einer der Kritiker eines weisheitlichen Verständnisses von Q zu Wort. Er untersucht die für Q reklamierten Weisheitsworte und zeigt auf, daß diese einem prophetischen Gesamtverständnis der Quelle keineswegs widersprechen: "...we may conclude that the existence of numerous sapiential statements in Q... does not contradict the fundamental character of Q as a prophetically oriented book..." (157) Der Aufsatz von P. Hoffmann, "The Redaction of Q and the son of man: A preliminary sketch" (159-198 - die engl. Übersetzung des Beitrags zur Festschrift für F. Neirynck) bietet - weithin eindrucksvoll mittels eines detaillierten Forschungsberichtes argumentierend - einen Entwurf, der die Q-Redaktion (und die christliche Rezeption des Menschensohntitels für Jesus) mit dem Ende des jüdischen Krieges in Verbindung bringt. Dies bedeutet eine Spätdatierung der Q-Redation, die diese nach Meinung von H. auch in besondere Nähe zu Mt stellen würde. L.E. Vaags, "Q and Cynicism: On comparison and social Identity" (199-229), argumentiert in Auseinandersetzung mit Chr. Tuckett ("A Cynic Q?") und mit vielen Modifizierungen für die kynische Prägung von Q: "...the formative stratum of Q was for all intents und purposes a 'Cynic' document." (228) Dem korrespondiert - weit vorsichtiger in den Ergebnissen - der Aufsatz von R. Uro, "John the Baptist and the Jesus Movement: What does Q tell us?" (231-257). U. ordnet die in Lk 3 par Mt aufgenommenen Texte im Anschluß an Kloppenborg der eschatologisch- apokalyptisch geprägten zweiten Schicht in Q (=Q2) zu. Damit ergibt sich für die frühen Texte ein anderes Täuferbild: "...the common comparisons between the dark message of Johannes an the more merciful proclamation of Jesus are not as firmly grounded as has been thought." (255) In einem ganz anderen Horizont versucht J. M. Robinson, "The Jesus of Q as Liberation Theologian" (259-274), Entwicklungslinien im Q-Material aufzuweisen. Das frühe Stadium der Q-Tradition verweist auf eine Bewegung, "that had its original focus on re-evaluating the status of all victims of fate" (274) Die weitere, an den späteren Interpretationen der entsprechenden Texte in Q ablesbare Entwicklung charakterisiert R. so: "The church had become aware of itself as the distinct people of God. An original liberation theology was transmuted into the social concerns of the Church." (274) J. Kloppenborg, "Jesus and the Parables of Jesus in Q" (275-319), untersucht in einer umfänglichen Studie die einzelnen in Q enthaltenen Parabeln auf dem Hintergrund der von ihm angenommenen zwei "Schichten" in Q. Die Parabeln, für die schon die Einbindung in größere Textzusammenhänge eine entscheidende Umprägung hinsichtlich ihrer Funktion bedeutet, werden in den einzelnen Schichten der Quelle unterschiedlich eingesetzt: In Q1 fungieren die Parabeln mehr als "witnesses" (319), für Q2 gilt: "...the parable had become familiar enough to function in general argumentation - the polemic against this generation." (319) B. H. McLean, "On the Gospel of Thomas and Q" (321-345), vergleicht das Q und die von Kloppenborg vorgegebenen Schichten Q1 und Q2 mit dem Thomasevangelium. Q1 wäre dabei von der Gattung her dem Thomasevangelium am nächsten ( "logoi sophon"). Für die weitere Entwicklung gilt: "...while GThom remained true to its Gattung, the Q2 redactor subjugated the Q1 sapiential sayings to apocalyptic themes."(343). L. Schottroff, "Itinerant prophetesses: A feminist analysis of the sayings source Q" (347-360), erhebt für die Quelle eine Fundamentalkritik am patriarchal bestimmten jüdischen Haushalt und sieht nicht nur Wanderpropheten, sondern auch "itinerant prophetesses" im Hintergrund von Q: "While a critical reading of the texts of the saying source points to the existence of itinerant prophetesses who followed Jesus, it is apparent that the sayings source's androcentric perspective also obscured the extent of the liberation of women." (360) Die für S. wichtigen Texte von der Spaltung der Familien nimmt auch der Aufsatz von A. D. Jacobson, "Divided Families and christian origins" (361-380) auf. Er sieht die Auseinandersetzung freilich eher in einer "antifamiliären" Haltung der Quelle begründet.

Die kurze Übersicht, die freilich nur wenige Aspekte andeuten kann, zeigt, daß der Band ein weites Spektrum von Meinungen, Forschungsrichtungen und Problemfeldern bietet. Als eine Art kumulativer "Werkstattbericht" vermittelt er einen unmittelbaren und hilfreichen Überblick über die Fragen und Probleme, die derzeit die Q-Forschung bewegen. Sichtbar werden dabei nicht nur die speziellen Ansätze bei einzelnen Autoren, sondern auch die durchaus unterschiedliche Akzentuierung der Q-Forschung in Europa und den USA (vgl. etwa die Frage des kynischen Einflusses auf Q, die Beurteilung der weisheitlichen Prägung, der Einschätzung der "Schichtung" in Q usw.). Die Einführung von A. Piper stellt die einzelnen Beiträge in den Gesamtrahmen der Forschung und macht den Band so in der Tat zu einer hilfreichen Präsentation des gegenwärtigen Stands der Q-Forschung.

Fussnoten:

1 Vgl. J. Delobel [Hrsg.], Logia. Les Paroles de Jésus - The Sayings of Jesus (BETL LIX), Leuven 1982.