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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

666–668

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Metzner, Rainer

Titel/Untertitel:

Die Rezeption des Matthäusevangeliums im 1. Petrusbrief. Studien zum traditionsgeschichtlichen und theologischen Einfluß des 1. Evangeliums auf den 1. Petrusbrief.

Verlag:

Tübingen: Mohr 1995. X, 340 S. gr.8o = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe, 74. Kart. DM 108,-. ISBN 3-16-146378-1.

Rezensent:

Eduard Schweizer

Läßt sich im 1Pt keinerlei literarische Abhängigkeit erweisen (N. Brox) oder muß man mit der von Mt doch ernsthaft rechnen (U. Luz)? (1. Einleitung, 1-5). Die Entscheidung fällt in Kap. 2 (7-106). An fünf Beispielen werden methodisch richtig der redaktionelle Charakter bei Mt, dann 2.1 die (davon abhängige?) Stelle im 1Pt untersucht und Abweichungen begründet (7-33): Mt 5,10 und 1Pt 3,14 preisen die "um der Gerechtigkeit willen Verfolgten/Leidenden" selig. Das ist, auch jüdisch und hellenistisch parallelenlos! Makarismen gibt es freilich viele, sachlich vergleichbar der des Angefochtenen in Jak 1,12. Der Ausblick auf den Lohn ("Himmelreich") fehlt in 1Pt 3,14; doch ist in 3,9 auf das "Erbe des Segens" hingewiesen (31). Ebenso fehlt (außer dem AT-Zitat 3,11) der Wortstamm "verfolgen" (Mt 5,10.11.12!), vgl. noch unter 2.4 - vielleicht, weil kein Feindbild gezeichnet werden soll (31 f.), wobei nicht ganz klar wird, ob "gerichtliche Verantwortung vor Behörden" oder nur "gesellschaftliche Diskriminierung" (26 f.) vorausgesetzt wird. Die 3,16 empfohlene "Sanftmut" könnte Erinnerung an die Seligpreisung Mt 5,5 sein (das Adjektiv im NT nur in Mt und 1Pt 3,4: 28). Doch ließe sich auch das Fehlen von Parallelen zu "um der Gerechtigkeit willen" im NT damit erklären, daß bei Paulus und in seinem Einflußbereich "Gerechtigkeit" fast durchweg die von Gott geschenkte bezeichnet. Nun stimmt das ethische Verständnis von Gerechtigkeit sicher mit Mt zusammen (20-24); doch ist das traditionell (20 f.) und an der anderen Stelle 1Pt 2,24 ("frei von Sünden der Gerechtigkeit leben") ist sogar Röm 6,18 "der Gerechtigkeit dienen" statt (6,11) "der Sünde leben" am nächsten verwandt. Es ist kaum mehr zu beweisen, als daß "auf traditionelles Material" zurückgegriffen wird (21).

Kap. 2.2 (34-48): Mit Mt 5,11 f. ist 1Pt 4,13 f. zusammen gemeinsam: Heilszuspruch mit Angabe des Grundes, Aufruf zur Freude mit Hinweis auf Lohn (in verschiedener Reihenfolge), was höchstens in Jak zu finden wäre, wenn man 1,2 und 12 kombinierte (35). 1Pt 4,13 ist freilich durch eine "stärker christologisch gedeutete Leidenstheologie" (46) als Teilnahme an Leiden und Herrlichkeit (doxa nicht in Mt 5, doch im Makarismus Tob 3,16) formuliert, wie sie z. B. Phil 3,10 f. (vgl. 21) kennt. Terminologisch stimmen überein: "sich freuen, jubeln, verleumden, selig".

Kap. 2.3 (49-68): Nur Mt 5,16 und 1Pt 2,12 verbinden im NT das "Sehen" der "guten Werke" mit der "Verherrlichung Gottes" durch Außenstehende, sachlich freilich auch TestNaph 8,4 (vgl. Benj 5,1-3 "Licht guter Werke" wie Mt 5,16).

Kap. 2.4 (69-93): Schwieriger sind Mt 5,38-48 und 1Pt 3,9. Gewiß kennen beide das Verbot des Widerstands und den Ruf zum "Lieben/Segnen"; doch läge die enge Verbindung beider Gedanken und das Wort "segnen" (wie das nur dort und 1Pt 3,16 vorkommende "schmähen") in Lk 6,28 f. vor. Mt hat Q in zwei Antithesen zerlegt (82); hat 1Pt sie wieder zusammengefaßt (in 5,9 trennt er Jak 4,7 umgekehrt in zwei Sätze, 96)? Röm 12,17a und 1Thess 5,15 zeigen, daß "die Sprache aus der paränetischen Gemeindetheologie entnommen ist" (76). Auch aus Mt? Das Fehlen der Feindesliebe ließe sich wie das des Verfolgungsmotivs erklären. Dabei fällt auf, daß Röm 12,14; 1Kor 4,15 wie Lk 6,28 "Verfolgen" mit dem 1Pt 3,9 genannten "Segnen" verbinden. Did 1,3-5 und JustAp I 15,9-13 zeigen auch, daß Lk- und Mt-Fassung vermischt vorlag, wobei freilich nur 1Pt die 5. vor der 6. Antithese anführt (83). Im 1Pt 1,15 f. sind auch Abhebungs- (gegenüber der Welt) und Imitationsmotiv verbunden (84 f.), sprachlich aber sehr verschieden ("vollkommen" in 1Pt nur adverbiell in 1,13 von der Hoffnung). Mehr als "vermuten" (92) läßt sich Abhängigkeit von Mt hier nicht.

Kap. 2.5 (94-106): Fraglich bleiben auch Mt 4,1-11/1Pt 5,6-9, weil Jak 4,6-10 eine nahe Parallele bietet. Der Gehorsam (Jesu) in Mt 4 steht schwerlich hinter 1Pt 5,6 f. (gegen S. 101, s. u. 3.3 zu S. 215 f.) Der Aufruf zur Demut ist auch in Jak 4,6.10 mit dem Zitat Spr 3,34 (1Pt 5,5) verbunden (ich vermute sogar, daß der neue Abschnitt in 1Pt 5,5b mit "Die Demut..." beginnt), ebenso mit dem Widerstand gegen den Teufel. Auch die Kenntnis von Mt 6,25 ff. ("Sorget nicht...") läßt sich mit 1Pt 5,7 nicht beweisen (103-106).

Einigermaßen beweiskräftig sind die Kapitel 2.1-2 und vielleicht 2.3. Von da aus rechne ich mit U. Luz ernsthaft mit Abhängigkeit von Mt 5 als Möglichkeit. Mehr läßt sich kaum sagen. Da auch Jak besonders Material aus Mt 5-7 (Q und MtS/LkS) verwendet (99), könnte (trotz der sorgfältigen Bestimmung der Vorlagen als matthäische Redaktion) an eine (mündliche?) Sonderfassung der Bergpredigt (dazu Th. Bergemann, Q auf dem Prüfstand, FRLANT 158, 1993) gedacht werden, die Mt beeindruckt und auch an anderen Stellen seines Evangeliums beeinflußt hätte. Die lobenswerte, sorgfältige Untersuchung des Einflusses mt Theologie bleibt notwendig so allgemein, daß sie höchstens diese Möglichkeit beweist (Kap. 3, 107-263).

Was dabei häufig zu kurz kommt, ist die Gegenprobe, z. B. in Kap. 3.1 (Petrusbild). Die Verbindung von Petrusamt und Leiden Christi (in 1Pt nie "Jesus" ohne Zusatz) in 1 Pt 5,1/Mt 16,18-23 (111) ist Mt durch Mk 8,31-33 vorgegeben, "paschein (pathema)" verwenden auch Mk 8,31 (38), Lk 24,26, Phil 3,10(21), Hebr 2,9 neben "doxa" wie 1Pt 1,11, 4,13, 5,1. Die Nennung von Absendergemeinde, Mitarbeitern und Freunden (115) ist paulinische Tradition, für Rücksichtnahme auf Außenstehende (117) ist traditionelle Paränese Röm 6,18.21 ein besseres Beispiel als Mt 17,27 (vgl. skandalizein 1Kor 8,13). An die Freiheit der Kinder Gottes (Mt 17,27; 116-118) erinnert eher Gal 4,30 f. als 1Pt 3,16, und an die freien Knechte Gottes dort eher Röm 6,18 als Mt 17,27. Zurückhaltung bei der Nennung des Petrus als Auferstehungszeuge hingegen ist Mt 28,7 wie 1Pt 5,1 festzustellen (119 f.). "Bruderliebe" (1Pt 3,8; Röm 12,10!) paßt gewiß zu Mt 18,21 f. (122); ist aber wie 1Pt 4,8 auch Jak 5,20 mit Spr 10,12 begründet. Richtig ist, daß Petrus bei Mt als Garant der Lehrtradition erscheint, aber fast alle S. 130 genannten Stellen zur Nachfolge Christi (1Pt 2,21) stehen schon in Mk.



In Kap. 3,2 (Ekklesiologie) ist zum Motiv der Demut (146) das oben zu S. 101 Gesagte zu vergleichen. Das Hirtenbild (152-155) ist weitverbreitet und zu 1Pt 5,1-5 (128) bildet Apg 20,28 die nächste Parallele. "Heiliges Volk" in 1Pt 2,9 f. hat als Teil des Zitats kaum etwas mit Mt 21,43 (164) zu tun. Die Verbindung von Ex 19,5 f. mit Jes 43,20 f., Hos 2,3.25 (auch Röm 9,25!) und die Kombination von "Eigentumsvolk" (Ex 19,5) mit "guten Werken" (1Pt 2,9.12, Tit 2,14!) sind traditionell. Das damit verbundene Bild vom Hausbau (176-181) ist oft verwendet (Eph 2,19-22!), und ekklesia (Mt 16,18; 18,17) fehlt gerade in 1Pt. Der "Eckstein" aus Ps 118,22 ist nicht nur Mt 21,42 (= Mk 12,10 f.) und 1Pt 2,7 zu finden, sondern auch Apg 4,11 (vgl. Eph 2,20!); außerdem sind Jes 28,16 und 8,14 (Grundstein und Stolperstein) in Röm 9,33 wie in 1Pt 2,6.8 kombiniert (Mt 16,18.23, 133, beeinflußt das also kaum).

"Die Christologie (3.3) ist von der Geschichte Jesu her entworfen" (197), aber nicht vom irdischen Wirken oder auch der mt Passionsgeschichte her. Jes 53 klingt in 1Pt 2,21 ff.; 3,18 wohl an (199), erscheint aber bei Mt spezifisch nur auf Jesu Heilungen bezogen (8,17, vgl. 12,17) - abgesehen von der Zufügung der häufigen Formel "zur Vergebung der Sünden" (aphesis fehlt in Jes 53) zum Kelchwort 26,28. Für das Hirtenbild (s. o.) gilt Ähnliches (zu 207). Der Term "Gutes tun" (210) steht im NT nur je 3mal in Lk und 1Pt plus 3Joh 11 (vgl. Mk 3,4, nicht in Mt). Vom "Gehorsam" Christi (s. o. 2.5) reden Röm 5,19; Phil 2,8; Hebr 5,8, von dem der Gemeinde 1Pt 3mal (bei Mt nur 8,27: Winde), während der Nachfolgegedanke (1Pt 2,21) in allen Evangelien vorkommt (zu 215-218, auch 101).

Eschatologisch (3.4) erscheinen die Wortstämme apokalypt- Lk 17,30; 1Kor 1,7; 2Thess 1,7, phanero- Kol 3,4 (auch mit doxa verbunden); 1Joh 3,2, nie in Mt (beide in 1Pt, 230 f.). "Schöner Wandel" (1Pt 2,12, vgl. 3,16, 252) steht auch Jak 3,13, ebenfalls mit "Werken" verbunden (zu 1Pt 5,5, 255). "Das Reich erben" (Mt 25,34, 260) ist 1Kor 6,9; 15,50 wörtlich wiederholt, "Segen erben" (1Pt 3,9) hingegen steht auch Hebr 12,17 ("Heil" 1,14, vgl. 1Pt 1,4 f.). Von Aufbewahrung im Himmel (1Pt 1,4) wird jüdisch und christlich oft gesprochen. (261, Anm. 313).

Kap. 4 bietet eine hilfreiche knappe Zusammenfassung der Bezeugungen des Matthäusevangeliums in frühchristlichen Schriften.

Die relativ lange (und leicht zu verlängernde) Liste möglicher Gegenproben wirkt in dieser Knappheit unfair und wird dem positiv zu Sagenden nicht gerecht, muß aber meine verbleibenden Zweifel begründen. Dennoch: Das Hauptverdienst ist, daß die Frage wieder unausweichlich gestellt ist, mit reicher Literaturbenützung (Verzeichnis, 296-313), Stellen- und Sachregister (314-340). Das oben abschließend zu Kap. 2 Gesagte gilt! Doch scheinen neuere Untersuchungen zu zeigen, daß die ganze Entwicklung weit komplexer verlaufen ist und das Schema linearer Abhängigkeiten, mit denen wir Redaktionsgeschichtler bisher rechneten, nicht mehr alles erklären kann. Das ist auch hier zu bedenken.