Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/1997

Spalte:

806–808

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Läger, Karoline

Titel/Untertitel:

Die Christologie der Pastoralbriefe.

Verlag:

Münster: LIT 1996. IX, 221 S. = Hamburger Theologische Studien, 12. Kart DM 48,80. ISBN 3-8258-2748-8.

Rezensent:

Alfons Weiser

Die vom Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg angenommene Dissertation ist einem Thema gewidmet, das bei der Erforschung der Pastoralbriefe (= Past) lange Zeit nur am Rande behandelt wurde. Im Vordergrund standen die Fragen nach der Echtheit, den Kirchenordnungen und der Irrlehrerbekämpfung. Wie der forschungsgeschichtliche Überblick zeigt (3-21), ist die Christologie der Past bisher noch nie monographisch dargestellt worden.

Bei der Behandlung des Themas in Exkursen von Kommentaren und in Aufsätzen bestehe bisher ein Konsens darin, daß die vielfältigen christologischen Aussagen der Past "auf Traditionen zurückgreifen" (20) und daß sie streng theologisch ausgerichtet seien. Im Umgang mit weiteren Fragen gehen die Antworten auseinander. Manche Exegeten bevorzugen die diachrone Textanalyse. Sie erachten die christologischen Aussagen der Past vorwiegend als disparate Nebeneinanderstellung vor- bzw. unpaulinischen Traditionsgutes (so u. a. Holtzmann, Windisch, Dibelius/ Conzelmann; z. T. auch Brox, Trummer, Roloff). Andere meinen, durch synchrone Textuntersuchung doch ein eigenes Konzept der Christologie der Past freilegen zu können (so u.a. Klöpper, Hasler, Oberlinner, Marshall). Da die Vfn. die letztere Forschungsrichtung für sachgemäß hält, aber in den bisherigen Beiträgen sowohl noch manche Defizite im Detail feststellt als auch genauere Textanalysen vermißt, nimmt sie sich vor, diese Desiderate aufzuarbeiten, um noch überzeugender das Eigenprofil der Christologie der Past zu erweisen und es in seinem "literarischen" sowie "historischen Kontext darzustellen" (21).

Dementsprechend werden im Hauptteil der Arbeit zunächst die christologischen Texte der Past untersucht (27-104). Es sind dies die Präskripte (1Tim 1,1 f.; 2Tim 1,1 f.; Tit 1,1-4); die Aussagen über das Gekommensein Jesu zur Rettung der Sünder (1Tim 1,15) und über seine Erlösungsmittlerschaft (1Tim 2,5 f.); der poetische Text über das Geheimnis der Frömmigkeit (1Tim 3,16); der Hinweis auf das Zeugnis Jesu vor Pilatus (1Tim 6,11-16); die Texte über das Erscheinen des Retters (2Tim 1,9 f.), über den Auferstandenen und Davididen (2Tim 2,8-13), über den künftigen Richter (2Tim 4,18), über das Erscheinen der Gnade Gottes und der Herrlichkeit des großen Gottes und Retters (Tit 2,11-14) sowie der Abschnitt über das Erscheinen der Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes (Tit 3,3-7). Die Vfn. erläutert jeweils den Kontext, klärt das Verhältnis von Tradition und Redaktion und versucht vor allem, die Funktion und den Sinn der jeweiligen christologischen Aussage auf der synchronen Textebene zu erschließen. Unmittelbar auf diese Exegesen folgt ein kurzer Abschnitt über den Gebrauch der christologischen Titel in den Past (104-107). Die einzelnen Arbeitsschritte sind sachkundig durchgeführt. Sie führen zu dem Ergebnis, daß der Verfasser der Past in manchen Fällen Zitate aufgenommen (1Tim 2,5.6a; 3,16b; 2Tim 2,8; Tit 2,14), an anderen Stellen "traditionelle Vorstellungen und Motive" verarbeitet (1Tim 1,15b; 6,13b; 2Tim 1,9f; 2,11b-13; 4,18; Tit 3,3-7) und im übrigen "weitestgehend selbständig formulier[t]" habe, wie z. B. in den Präskripten, in den z. T. durch traditionelle Elemente geprägten Abschnitten (2Tim 1,9 f.; Tit 2,11-14; 3,3-7) und in den Einleitungen bzw. Rahmungen der Texte 1Tim 1,12-17; 2,4-7; 3,14-16; 6,11-16; 2Tim 2,8-13 (110 f.).

In den weiteren Teilen der Arbeit wird der Charakter der Redaktion und die Gemeindesituation, der sie zugeordnet ist, genauer dargestellt (109-170). Terminologisch komme der re-daktionelle Anteil vor allem in den Worten âÈÊÓÂÈ und ÛÙÚ zum Ausdruck, wobei âÈÊÓÂÈ weder punktuell die Inkarnation noch die Parusie, sondern nach L. Oberlinner "die Gesamtheit des helfenden Eingreifens Gottes" umfasse (116 u. ö.) und ÛÙÚ auf den soteriologischen Akzent der Christologie der Past hinweise, der sich auch sonst durchgehend zeige. Beide Ausdrücke verdanken sich dem Hellenismus. Der Ausdruck ÛÙÚ lasse auch LXX-Einfluß erkennen (120). Seine Anwendung in den Past auf Gott und auf Jesus zeige zusammen mit anderen Beobachtungen, daß in der Christologie der Past nicht über das genauere Verhältnis Jesu zu Gott reflektiert werde. Ein weiteres Charakteristikum der soteriologisch akzentuierten Christologie sei die Bindung an Paulus. Sie werde zum einen darin deutlich, daß auf synchroner Textebene Paulus nicht nur als Verkündiger (z. B. 1Tim 2,7), sondern sogar als urbildhafte Verkörperung des rettenden Heilshandelns Gottes in Jesus Christus (z. B. 1Tim 1,15 f.) erscheine (128-131), zum anderen darin, daß die diachrone Betrachtung zeige, wie sowohl paulinische als auch nichtpaulinische Sprachtraditionen vom Verfasser der Past einheitlich "dem Paulus zugeschrieben werden" (134) und so ihren Einheitsgrund erhalten (137; 155-160). Stärker als eine organisierte Paulusschule scheinen paulinisch geprägte Gemeinden Anteil am Zustandekommen der Past und ihrer Christologie gehabt zu haben (141). Aus der Gegner-Polemik der Past lasse sich entnehmen, daß es Gemeinden waren, die unter den Spannungen konkurrierender Paulus-Interpreten litten (148). Inhaltlich seien die gegnerischen Positionen kaum zu fassen. Es scheine aber eher um Fragen der Ethik als der Christologie gegangen zu sein (146), möglicherweise mit Tendenzen der Gegner, wie sie sich später ausgeprägt in den apokryphen Paulusakten finden (149 f.). Insgesamt zeige sich, daß der Verfasser der Past zwar keine "systematische Christologie" angestrebt, aber dennoch den christologischen Aussagen "durch die soteriologische Konzeption", durch "seine Epiphaneia-Terminologie" und durch die Paulinisierung ein unverkennbares Eigenprofil ge-geben habe (181-183).

Die Vfn. hat eine lehrreiche und in ihren Hauptergebnissen überzeugende Studie vorgelegt. Weiterer Diskussion bedürftig erachte ich "die soteriologische Funktion des Paulus" (176 u.ö.); m. E. unterscheidet der Verfasser der Past das allein von Gott durch Christus gewirkte Heil deutlicher von dem, was Paulus bedeutet, als L. es darstellt. Eine weitere Anfrage betrifft das Thema Auferstehung. Müßte es entsprechend der m. E. redaktionellen Betonung in 2Tim 2,8 und angesichts des Eingehens auf die gegnerische Behauptung, "die Auferstehung [sei] schon geschehen" (2Tim 2,18), christolologisch nicht doch stärker gewichtet und beim Herausarbeiten der "Frontstellung" nicht doch mehr berücksichtigt werden als es bei L. geschieht (145-148 u. ö.)? Ähnliches gilt m.E. für die redaktionelle Betonung des Menschseins Jesu in 1Tim 2,5 (42 u. ö.). Unbeschadet derartiger Einwände gegen manche Teilergebnisse darf man sagen, daß die vorliegende Arbeit eine Lücke in der bisherigen Erforschung der Past schließt. Sie trägt dazu bei, dem Eigenprofil dieser Schriften besser gerecht zu werden und sie nicht nur unter dem Gesichtspunkt ihrer Relation zu Paulus auszulegen.