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Ausgabe:

September/1997

Spalte:

804–806

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klauck, Hans-Josef

Titel/Untertitel:

Die religiöse Umwelt des Urchristentums. II. Herrscher- und Kaiserkult, Philosophie, Gnosis.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1996. 206 S. gr.8 = Studienbücher Theologie, 9,2. Kart. DM 34.-. ISBN 3-17-013781-6.

Rezensent:

Dieter Sänger

Erfreulich schnell hat H.-J. Klauck nach dem ersten nun auch den zweiten und letzten Band seiner Darstellung der religiösen Um-welt des Urchristentums vorgelegt. Der Anlage des Sammelwerks entsprechend beschränkt er sich wiederum auf den griechisch-römischen Bereich, wobei er drei Schwerpunkte setzt. Den ersten bildet der Herrscher- und Kaiserkult (17-74), dessen hellenistische Variante von der römischen trotz Übereinstimmung im Grundsätzlichen - beidemal geht es um vergöttlichte Menschen - zu Recht unterschieden wird. Der nächste Abschnitt ("Auf der Suche nach dem Glück") behandelt die religiöse Dimension der Philosophie im frühen Prinzipat (75-143). Neben Epikur und seiner Schule, dem Kynismus sowie Plutarch als Vertreter des Mittelplatonismus - entgegen der Ankündigung (77) geht der Vf. auf den Neupythagoreismus nicht näher ein - gilt das Hauptaugenmerk der kaiserzeitlichen Stoa als der wichtigsten Vergleichsgröße für das entstehende Christentum. Das dritte Kapitel ("Rückkehr zum göttlichen Ursprung") befaßt sich mit den Erscheinungsformen der christlichen und außerchristlichen Gnosis (145-198).

Wie sein Vorgänger verfolgt auch dieser Teilband das Ziel, in konzentrierter Form textorientiert und exemplarisch in die jeweiligen Themen einzuführen (vgl. ThLZ 121, 1996, 1154-1156). Angesichts der Komplexität, Strittigkeit und Vielfalt der Probleme, die sich mit ihnen verbinden, keine eben leichte Aufgabe. K. meistert sie souverän und belegt eindrucksvoll, daß der relativ schmale Umfang des Studienbuches nicht mit einem Verzicht auf die notwendigsten Informationen erkauft worden ist. Stets be-zieht er die aktuellen Forschungspositionen in seine Darstellung ein und zeigt sich selbst auf Spezialgebieten bestens unterrichtet. Wo es die Gesprächslage erfordert, werden alternative Interpretationsansätze knapp skizziert, auf ihre Vorgaben hin geprüft und anschließend beurteilt. Dabei verliert K. nie sein eigentliches Anliegen aus den Augen: Studierenden das notwendige Basiswissen für ein sachgemäßes, und d. h. auch immer historisches Verstehen der Schrift zu vermitteln (5). Im folgenden greife ich nur einige mir wichtig erscheinende Aspekte heraus.

Der mehrphasigen und komplex verlaufenen Entwicklung vom hellenistischen Herrscher- zum römischen Kaiserkult, die aufgrund der unterschiedlich geprägten religiösen Voraussetzungen im Ost- und Westteil des Imperium Romanum keineswegs einheitlich vonstatten ging, trägt K. dadurch Rechnung, daß er zwar chronologisch vorgeht, innerhalb der Längsschnitte aber geographisch differenziert und darüber hinaus nach sozialen und politischen Großräumen (Polis, Land, Reich) gliedert. Die nicht erst seit Alexander d. Großen begegnenden Versuche, eine individuelle Gestalt schon zu Lebzeiten kultisch zu verehren oder sie postmortal zu divinisieren, werden zunächst auf dem Hintergrund des griechischen Heroen- und Wohltäterkults interpretiert (19 ff.).

Am konsequentesten betrieben die Ptolemäer die sakrale Überhöhung der Herrscherfamilie, um so ihre dynastischen Machtansprüche abzusichern (37 f.). Ihnen kam entgegen, daß sie zusätzlich Anleihen bei der altägyptischen Königsideologie machen konnten. Die später ausgebildete Form des Kaiserkultes ist vor allem mit den Namen Gaius Julius Cäsar und Octavian/ Augustus verbunden. Obwohl aus römischer Sicht ein Fremdelement, erhält er nun an der Wende von der Republik zum frühen Prinzipat den Rang eines politisch-religiösen Programms. Seine mit Caligula einen zweifelhaften Höhepunkt erreichende weitere Geschichte wird anhand des julisch-claudischen und flavischen Kaiserhauses bis hin zu Trajan knapp, aber aussagekräftig nachgezeichnet (45 ff.).

Besonders hervorzuheben sind die Überlegungen zur Breiten- und Tiefenwirkung des Kultes auf die Bevölkerung (62 ff) sowie die zahlreichen Verweise auf die literarisch noch faßbaren Reaktionen in atl. (Dan), frühjüdischen (PsSal, Weish, Jdt, Sib, Josephus, Philo) und ntl. Texten (Lk, Paulus, Apk) (17 f. 31. 39 f. 55 f. 57 f. 64 f. 68 ff. 73 f.). Mit Recht warnt K. vor einer Überschätzung des Kaiserkultes im Blick auf Christenverfolgungen. Pragmatisch gesehen war er primär ein Ordnungsfaktor in der antiken Welt, der die Loyalität der Untertanen gegenüber dem römischen Reich bündelte, ihr eine feste Ausrichtung gab und jedem seinen Platz zuwies. Auf eine prägnante Kurzformel gebracht läßt er sich daher als eine "institutionelle Metapher" bezeichnen (72).

Das zweite, der Philosophie gewidmete Kapitel akzentuiert noch stärker als das erste die geistes- und religionsgeschichtliche Verflechtung des frühen Christentums mit seiner paganen Um-welt. Hier wie dort geht es um Antworten auf Grundfragen menschlicher Existenz (Gottesvorstellung, Glaube und Aberglaube, Ethik, Todesproblematik, Heilshoffnungen), die zumeist miteinander konkurrieren, oft aber auch - vor allem auf ethischem Gebiet - erstaunliche Übereinstimmungen erkennen lassen. Diese Konvergenzen verraten jedoch keine bewußte Adaption. Sie erklären sich vielmehr daraus, daß die aus dem vorkonversionellen Leben der Christen mitgebrachten Codes sich aufgrund ihrer inneren Plausibilität auch weiterhin zu behaupten vermochten und so in die Substruktur christlichen Denkens eingingen (143). Bis auf die späte Stoa, deren Bedeutung für die ntl. Zeitgeschichte mit Seneca und Epiktet dokumentiert wird, stellt K. die übrigen philosophischen Strömungen jeweils nur anhand eines ihrer Vertreter vor. Die einzelnen Unterabschnitte sind einheitlich aufgebaut: Kurzbiographie, literarisches Werk, philosophiegeschichtliche Einordnung, Affinitäten und/oder charakteristische Unterschiede zu den zeitgenössischen Philosophien. Es schließen sich teils analytisch, teils eher deskriptiv angelegte Passagen an, in denen K. einen systemtheoretisch fundierten Überblick über die grundlegenden Lehrinhalte, Denkstrukturen und schulspezifischen Themen gibt, die er mit konkreten Textbeispielen illustriert (88 f. 95 f. 100 f. 118 f. 128 ff. 136 ff u. ö.).

In das vielschichtige Phänomen der antiken Gnosis auf etwas mehr als 50 Seiten einzuführen, längere Zitate und Literaturangaben inklusive, ohne vergröbernd zu pauschalieren oder Vorkenntnisse bei den Lesern vorauszusetzen, ist zweifellos ein Wagnis. K. versucht dieser Herausforderung gerecht zu werden, indem er das ihm wesentlich Erscheinende typisiert und auf seine Grundmuster reduziert. Er beginnt mit einer Phänomenbeschreibung (147 f.) und listet dann die wichtigsten der uns zur Verfügung stehenden Primär- und Sekundärquellen auf, wobei er es zu Recht ablehnt, die einschlägigen Nachrichten der Kirchenväter generell abzuqualifizieren und ihnen jeden historischen Erkenntniswert abzusprechen (150 ff.). Danach geht K. stichwortartig auf die in der Forschung strittig diskutierten Ableitungs- und Einordnungsmodelle ein (163 ff.) und referiert knapp, was heute als relativ gesichert gelten darf: Die Gnosis entstammt nicht dem Christentum, trat aber sehr rasch in eine enge Interaktion mit ihm. Neben der platonischen Philosophie gehören die jüdische Apokalyptik und Weisheit zu den geistigen Bedingungen für die Entstehung der Gnosis, bezeugen also deren synkretistischen Charakter (165ff.). Im Anschluß daran konzentriert er sich auf das Herausarbeiten der systembildenden Elemente und Mythologumena, die für gnostisches Denken konstitutiv sind (Kosmologie, Anthropologie, Soteriologie, Eschatologie, Ekklesiologie, Ethik) und in ihrer Konstanz eine Wahrnehmung der Gnosis als eigenständige religiöse Größe überhaupt erst ermöglichen (167 ff.). Als heuristische Leitlinie dient dabei die von Clemens Alexandrinus überlieferte Gnosisdefinition (Exc. ex Theod. 78,2 [146]), die themenbezogen sukzessive entfaltet wird.

Wie bereits der erste Teilband beeindruckt auch der zweite durch seinen Materialreichtum, seine sprachliche und gedankliche Prägnanz und nicht zuletzt durch die stets behutsam abwägende Argumentation, die zwar deutlich Position bezieht, aber nicht auf die eigene Sicht festzulegen versucht, sondern offen bleibt für andere Lösungs- und Erklärungsmodelle. Als Einführung in die religiöse Umwelt des Urchristentums gewinnt das Gesamtwerk auch dadurch Profil, daß es aufgrund seiner Konzentration auf den griechisch-römischen Bereich bisherige Darstellungen substantiell ergänzt und vorhandene Lücken schließen hilft. Daß z. B. im Gnosiskapitel forschungsgeschichtlich wichtige Etappen bisweilen gar nicht erwähnt oder lediglich en passant gestreift werden - aus ntl. Sicht ist etwa an die Interpretation des Johannesevangeliums zu denken oder an die lange Zeit im Vordergrund stehende Frage nach der hermeneutischen Valenz gnostischer bzw. gnostisierender Begrifflichkeit und Mythologumena -, fällt dagegen nicht allzu sehr ins Gewicht, zumal verlegerische Vorgaben den Vf. zu Konzessionen zwangen, um den Umfang des Ganzen in Grenzen zu halten (5 f.). Über seinen Gebrauchswert entscheiden aber zuerst die Adressaten, für die es konzipiert ist. Ich habe in einem Seminar mit Studierenden, mehrheitlich Lehramtskandidaten, den ersten Band durchgearbeitet. Die Resonanz war ausgesprochen positiv. Jedenfalls ha-ben mich die Seminarteilnehmer gebeten, auf diesem Weg dem Autor zu danken. Diesem Dank schließe ich mich gerne an.