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Ausgabe:

Juni/1996

Spalte:

550–552

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Huber, Konrad

Titel/Untertitel:

Jesus in Auseinandersetzung. Exegetische Untersuchungen zu den sogenannten Jerusalemer Streitgesprächen des Markusevangeliums im Blick auf ihre christologischen Implikationen.

Verlag:

Würzburg: Echter 1995. 499 S. gr.8° = Forschung zur Bibel, 75. Kart. DM 56,-. ISBN 3-429-01641-X.

Rezensent:

Wolfgang Fenske

Diese geringfügig veränderte Dissertation, angenommen von der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, wurde unter der Betreuung von Prof. Dr. P. Martin Hasitschka SJ angefertigt. Der Aufbau entspricht einer Proseminararbeit, d. h. der Vf. führt an Texten, die den "Jerusalemer Streitgesprächen" zugeordnet werden, die exegetischen Methoden ausführlich durch. Detailliert legt er Mk 11,27-33; 12,13-17.35-37 mit Hilfe der Textkritik, der "Einzelauslegung der Textelemente", der Lite-rarkritik, des synoptischen Vergleichs, der Traditionskritik usw. aus. Die verbleibenden Perikopen Mk 12,18-27.28-34 stellt der Vf. in einem weniger detaillierten Überblick vor, während er Mk 12,1-12, ein Text, über den er seine Magisterschrift angefertigt hat, weitgehend ausklammert (s. 138 ff.) Ein Literaturverzeichnis und ein Stellenregister schließen das 499seitige Werk ab. Die Arbeit beinhaltet einen Exkurs, der im Inhaltsverzeichnis nicht genannt wird: "Zur Identifizierung des von Johannes Angekündigten" (68 ff.)

Die untersuchten Texte bilden die "sogenannten Jerusalemer Streitgespräche". Von "Streitgesprächen" spricht der Vf., weil diese Perikopen spätestens seit M. Albertz, Die synoptischen Streitgespräche. Ein Beitrag zur Formengeschichte des Urchristentums, Berlin 1921, dieser Gattung zugeordnet wurden. Von "sogenannten" Streitgesprächen spricht der Vf., weil nicht alle Texte den Streitgesprächen, sondern z. T. auch den Lehrgesprächen/Schulgesprächen (vgl. 316) zugehören.

Das Ziel dieser exegetischen Darlegung liegt nicht darin, in diesen Kapiteln eine vormarkinische Sammlung zu erweisen, davon geht der Vf. in gewisser Weise aus (vgl. 12; 147), sondern es ist inhaltlich orientiert. Der Vf. möchte die "christologischen Implikationen" der "sogenannten Streitgespräche" herausarbeiten. Dieses christologische Interesse durchzieht die Textauslegungen und wird, das jeweilige Kap. abschließend, in folgenden Punkten zusammengefaßt: Jesus der Lehrer, Jesus als Prophet, Jesu Selbstverständnis, Jesu Umkehrforderung, die christologischen Implikationen im Zusammenhang von Passion und Sterben Jesu, die Art und Weise der Verkündigung. Zuletzt wird das Geheimnis in den Antworten Jesu angesprochen. Das bedeutet, daß alle Texte in gewisser Weise ein vergleichbares Ziel haben: Darstellung der "christologischen Implikationen". Aber nicht allein der Evangelist verfolgt ein entsprechendes Ziel, sondern Jesus selbst möchte sein Selbstverständnis in indirekter Weise darlegen. So ordnet der Vf. die Zusammenstellung der jeweiligen Perikopen alter Tradition zu, die eine Reihe von Auseinandersetzungen (wohl) im Tempel von Jerusalem getreu wiedergibt (die "Einheitlichkeit der Überlieferung auch bei den beiden Seitenreferenten spricht jedenfalls eher für den Kontext der Jerusalemer Auseinandersetzung im Tempel..." [249]); entsprechend spiegelt die Nennung der jeweiligen Gegenspieler Jesu die Wirklichkeit wider, die Admirationsnotiz von Mk 12,17 ist "eher eine Erinnerung an den tatsächlichen Eindruck, den Jesus (auch auf seine Gegner) gemacht hat" (221; vgl. 253). In diesem Werk ist die Ebene des Erzählers, des Redaktors kaum mehr von der Jesu oder der Situation selbst zu unterscheiden (vgl. 251; 405).

Das in den Texten ausgesprochene Selbstverständnis Jesu ist laut Vf. nur indirekt vorhanden (vgl. 247). So impliziert Jesus in der Perikope Mk 12,35-37 seine Gottessohnschaft (391) usw. Durch die Hervorhebung "indirekter", "implizierter" Aussagen, vermag der Vf. vieles zwischen den Zeilen der Perikopen zu erkennen. Wenn Jesus z. B. die Anrede "Lehrer" nicht zurückweist, dann zeigt das an, daß er Lehrer sein möchte. So staunt der Vf. selbst über das, was er in den Texten impliziert sieht: "Innerhalb der wenn auch summarisch erfolgten Darstellung der beiden Perikopen Mk 12,18-27 und Mk 12,28-34 wurde an verschiedenen Stellen bereits auf in ihnen enthaltene und deutlich werdende christologische Aussagegehalte aufmerksam gemacht. Das ist umso beachtenswerter, als in diesen beiden Gesprächen weder die Person und Identität Jesu direkt verhandelt werden, noch Jesus seinerseits einen irgendwie gearteten Selbstanspruch explizit geltend macht..." (317 f.).

Diese Untersuchung fügt sich in die Reihe der Arbeiten ein, die starkes Vertrauen in die Überlieferung setzen. Trotz Methodenspiels scheinen die Ergebnisse schon vorher festgestanden zu haben. Die spannende Frage nach der Authentizität einzelner Worte und Begebenheiten wird zwar immer wieder aufgegriffen, jedoch nur halbherzig und nicht detailliert genug einer Lösung zugeführt (vgl. 288 ff; vgl. auch 311 f.). Somit harrt die in diesem Werk gestellte Frage nach dem Selbstverständnis Jesu in den "Jerusalemer Streitgesprächen" noch einer objektiven Untersuchung (auch wenn sie vielleicht zu ähnlichen Ergebnissen zu kommen vermag).

Nach dieser Vorgehensweise sagt der Vf. folgerichtig, daß die Christologie des Markusevangeliums der jesuanischen entspricht. "Hier wie dort geht es um den Aufweis Jesu als vollmächtig Lehrender und Handelnder, als Messias und Sohn Gottes..., der erst in Verbindung mit Leiden und Tod und in glaubender Annahme vollgültig zu erkennen ist" (446-448; vgl. schon Kap. 1 Abschnitt 4.3).

In der Darlegung der einzelnen Methodenschritte hätte die Arbeit konzentriert werden können. Textkritik, synoptischer Vergleich usw. sollten eigentlich nur dann in die Arbeit hineingenommen werden, wenn sie für das Ergebnis wirklich relevant sind. Nichtsdestotrotz bietet das Werk durch die Einzelauslegungen vielfältigen Überblick und Literatur über wichtige Fragestellungen, z. B. Pistis (84 ff.), Vollmacht (46 ff.), die einzelnen Gegner, z. B. Pharisäer (158 ff.), der Vergleich von Mk 12,14 mit Maleachi 2,8 f. (178 f.); Gesalbter (350 ff.); Sohn Davids (357 ff.); Psalm 110 (372 ff.) u. a.

Mit den "Jerusalemer Streitgesprächen" hat der Vf. ein Thema aufgegriffen, das in der Exegese noch nicht erschöpfend bedacht wurde. Weiterhin hat er sich mit der Frage nach dem Selbstverständnis Jesu auf ein steiniges Feld begeben - dem gebührt Anerkennung.