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Ausgabe:

Juli/August/1997

Spalte:

673 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, Paul

Titel/Untertitel:

Tradition und Situation. Studien zur Jesus-überlieferung in der Logienquelle und den synoptischen Evangelien.

Verlag:

Münster: Aschendorff 1995. VII, 390 S. gr.8 = Neutestamentliche Abhandlungen, NF 28. Kart. DM 93,-. ISBN 3-402-04776-4.

Rezensent:

Claus-Peter März

Unter dem Titel "Tradition und Situation" legt der Bamberger Neutestamentler P. Hoffmann eine Sammlung von zwölf Aufsätzen aus den Jahren 1967-1994 vor, die sich auf je unterschiedliche Weise mit der vorsynoptischen Jesusüberlieferung und den synoptischen Evangelien befassen. Auch wenn die Aufsätze über einen längeren Zeitraum hin entstanden sind, unterschiedliche Textbereiche aufnehmen und durchaus auch unterschiedliche forschungsgeschichtliche Hintergründe erkennen lassen, vermittelt der Band doch insgesamt den Eindruck einer weitreichenden sachlichen Einheit, insofern er sich durchgänging mit der Frage des "Rezeptionsprozesses der Jesusüberlieferung" befaßt und die einzelnen Beiträge wie "Fallstudien" erscheinen, "die an zentralen Stellen der Jesus-Überlieferung entscheidende Stadien dieses Rezeptionsprozesses in den Blick nehmen" (1). Der Band sammelt im ersten Teil Aufsätze unter dem Thema "Von der Verkündigung Jesu zu den Evangelienschriften" (3-189); der zweite bietet Beiträge speziell zur Frage "Jesus und der Menschensohn" (193-278); im dritten Teil finden sich Studien "Zur neutestamentlichen Osterüberlieferung" ( 280-372).

Exemplarisch sei auf den ersten und umfänglichsten Beitrag (3-61) verwiesen, der dem Band den Namen gegeben hat und in intensiven exegetischen wie hermeneutischen Analysen nach der ",Verbindlichkeit' des Gebots der Feindesliebe in der synoptischen Überlieferung und in der gegenwärtigen Friedensdiskussion" (3) fragt. Der Vf. erörtert die Orientierung der entsprechenden Texte in Q, bei Lk und Mt und fragt nach ihrer Bedeutung im Rahmen der Verkündigung Jesu. Seine exegetische Untersuchung zeigt zunächst einmal, "wie in vielfältiger Variation Tradition und Situation sich gegenseitig herausfordern und die Tradenten unter den jeweils neuen soziokulturellen Verhältnissen ihrer Gemeinde zu einer differenzierten Auslegung und Neuorientierung christlicher Praxis führen" (53). Darüber hinaus vermerkt er freilich durchaus einen Differrenzierungsprozeß, insofern die "politisch-gesamtgesellschaftliche Dimension der Forderung, die sie bei Jesus und Q zumindest auch besaß,... mehr und mehr aus dem Blick" gerät (54). Dieser exegetische Befund verlangt nach H. danach, auch theologisch nach der politisch-gesellschaftlichen Relevanz der Botschaft Jesu zu fragen bzw. "das Ethos Jesu nicht als Gemeinde-Ethos, sondern als Welt-Ethos auszulegen" (55). Die konkreten Folgerungen des 1984 zuerst veröffentlichten Aufsatzes stehen zwar im Horizont der damaligen Rüstungsdebatte, fordern aber auch und gerade in einer gewandelten politischen Situation zur Diskussion heraus. An den Aufsatz schließen sich drei Aufsätze zu den Sprüchen vom Sorgen (Q-Text, vorsynoptische Überlieferung, Jesus und die Nachgeschichte in der synoptischen Überlieferung), eine Studie zu Redaktion und Tradition von Lk 13,22-30 und Überlegungen zur Rezeption von Q 6,22 durch Lukas.

Der zweite Teil kreist um die Menschensohnproblematik und orientiert sich dabei vornehmlich auf Ansätze der Q-Forschung. Hier ist neben Studien zur Versuchungsgeschichte und zur Menschensohnüberlieferung in Mt 10,32 f. par v. a. auf den jüngsten Aufsatz der Sammlung (Erstveröffentlichung 1995) hinzuweisen: "QR und der Menschensohn. Ein vorläufige Skizze" (243-278) In Form eines Literaturberichtes erörtert der Vf. verschiedene übergreifende Entwürfe zu Q bzw. zur Q-Redaktion im Hinblick auf ihre Bewertung der Menschensohn-Christologie. Er plädiert dabei seinerseits gerade wegen der Menschensohn-Vorstellung für eine Spätdatierung der Q-Redaktion im Vorfeld des jüdischen Krieges. QR markiere in der Geschichte des palästinensischen Judentums jenen "Wendepunkt", da sich die christlichen Gruppen "aus der bis dahin selbstverständlich vorgegebenen nationalreligiösen Verbundenheit mit der jüdischen Volksgemeinschaft und der Konstituierung einer eigenen religiösen Gruppierung, die sich nun in der Zugehörigkeit zu Jesus, dem M(enschen)S(ohn)... ihrer eigenen Identität bewußt werden" (277). Der Aufsatz bildet eine Art "Zwischenbilanz" für die vom Vf. übernommene Gesamtauslegung von Q im Rahmen der Kommentierungen des EKK.

Der dritte, auf die neutestamentliche Osterüberlieferung be-zogene Teil bietet Studien zu Mk 8,31, zur matthäischen Ostergeschichte und schließt mit einer Erörterung der Anfänge der historisch-kritischen Osterdiskussion, die v. a. die Überlegungen von Reimarus und D. F. Strauß aufnimmt.

Der Vf. hat exegetische Studien mit dem theologischen An-liegen zusammengestellt, sowohl Einblicke in die geschichtliche Relativität des Traditionsgutes als auch die Wahrnehmung der kreativen Weitergabe und situativen Entfaltung desselben zu eröffnen. "Erst die Einsicht in solche ,historische Relativität' schützt vor einem fundamentalistischen Mißverständnis der Tradition und schafft die Voraussetzungen für einen schöpferischen Umgang mit ihr" (Einl.). Der mit Q Befaßte findet zudem in den ersten beiden Abschnitten wichtige Aufsätze des Vf.s zur Redequelle handlich zusammengestellt.