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Ausgabe:

September/1996

Spalte:

834 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Heil, John Paul

Titel/Untertitel:

Blood and Water. The Death and Resurrection of Jesus in John 18–21.

Verlag:

Washington: The Catholic Biblical Association of America 1995. XI, 196 S. gr. 8o = The Catholic Biblical Quarterly, Monograph Series, 27. Kart. $ 9.-. ISBN 0-915170-26-4.

Rezensent:

Hans-Josef Klauck

Der Haupttitel der vorliegenden Studie spielt mit "Blut und Wasser" auf Joh 19,34 an, doch kommt dieser Stelle im weiteren Verlauf gar nicht die zentrale Bedeutung zu, die man aufgrund der Überschrift erwarten würde.

Vielmehr versteht sich der vorliegende Beitrag insgesamt als ein Beispiel für angewandte narrative, leserorientierte Kritik bzw. besser Interpretation des Neuen Testaments (vgl. 1: "narrative criticism with an emphasis upon the responses of the implied reader or audience"). Eine echte theoretische und me-thodologische Fundierung wird durch die wenigen einleitenden Seiten (1-15) nicht geleistet, zumal diese sich zur Hauptsache um eine sehr detaillierte und komplizierte Aufgliederung von Joh 18-21 in viermal sechs und einmal drei Szenen, die sandwichartig ineinander geschachtelt sind, bemüht (dieses Vorgehen erinnert ein wenig an Ernst Lohmeyers obsessive Suche nach Siebenerstrukturen im johanneischen Schrifttum und überzeugt manchmal mehr, manchmal weniger).

Man kann dieser auffälligen Zurückhaltung im methodischen Bereich auch positive Seiten abgewinnen: Der Autor hat anderwärtig bereits ähnliche Versuche vorgelegt (vgl. u. a. The Death and Ressurection of Jesus: A Narrative-Critical Reading of Matthew 26-28, Minneapolis 1991), und zu viel Theorie schreckt oft ab und verdeckt die Texte selbst. Aber wenn man sich durch das Buch durchgearbeitet hat, fragt man sich erneut, ob sich dahinter nicht doch gewisse Schwächen der gewählten Methodik verbergen, denn auf die Einzelauslegungen trifft nach meinem Empfinden zu, was Stephen Moore - wahrlich ein unverdächtiger Kritiker - so formuliert hat: "... reader-oriented exegeses can often read disappointingly like the familiar renditions of the given biblical passage, lightly reclothed in a reader vocabulary" (Literary Criticism and the Gospels: The Theoretical Challenge, New Haven 1992, 107).

Der Hauptteil des Buches (16-167) besteht aus einer schrittweisen, sehr genauen Lektüre ("close reading") von Joh 18-21, die streng auf der Ebene des Endtextes verbleibt, ohne jeden Seitenblick auf mögliche Vorstufen, auf die diachronen Abläufe, auf synoptische Parallelen, auf Zeitumstände oder reale Produktions- und Rezeptionsbedingungen. Es folgt noch eine vierseitige Zusammenfassung (168-171), ehe Bibliographie, Autorenregister und Schriftstellenregister (im Inhaltsverzeichnis in umgekehrter Reihenfolge genannt) den Band beschließen (172-196).

Die Einzelexegese erweist sich durchgehend als sehr hellhörig für symbolische Obertöne des Textes. Herausgearbeitet werden sie mit Hilfe des Aufweises einer subtilen Verschränkung der einzelnen Textabschnitte, durch ausgiebige Konkordanzarbeit, die für die einzelnen Vokabeln ihr Vorkommen in ganz unterschiedlichen Kontexten im Gesamtevangelium heranzieht, und durch ständiges Achten auf die Verwendung von Motiven aus dem Alten Testament. Greifen wir nur ein Beispiel heraus, nämlich die Verteilung der Kleider Jesu in Joh 19,23 f. (88-93):



Daß die vier römischen Soldaten Jesus kreuzigen und seine Kleider wegnehmen, erinnert unmittelbar daran, daß die Juden ihn zuvor in 19,16 übernehmen, um ihn zu kreuzigen. Zu weiteren Konnotationen zählen das Ablegen des Obergewandes durch Jesus in 13,4, das "Niederlegen" (ÙËÛÈÓ) des eigenen Lebens durch den guten Hirten in 10,11 und die Bekleidung Jesu mit dem Königspurpur in 19,2. Die Schlußfolgerung geht dahin, daß die Soldaten unwissentlich mit den Kleidern die lebensspendenden Effekte von Jesu Sterben entgegennehmen, und zwar individuell und als Heiden (darauf deutet die Vierteilung des Untergewandes hin). Die Symbolik des nahtlosen Obergewands, das unzerteilt bleibt, entfaltet H. in verschiedener Richtung: Daß es "von oben herab" gewebt ist, hat mit Jesu Herabkunft von oben zu tun (19,11). Zum Gewebtsein selbst ist das Gewand des Hohenpriesters zu vergleichen, dessen Beschreibung in alttestamentlichen Texten der Vf. Revue passieren läßt. Während es unter den Juden ein "Schisma" hinsichtlich der Person Jesu gab (7,43; 9,16; 10,19), befördern die Soldaten durch ihren Verzicht auf Teilung (schizein) die Einheit der neuen Gemeinschaft, die im Tod Jesu, des Hirten, Königs und einzigen Hohenpriesters, ihren Ursprung hat und die u.a. bereits in Jo 10,15 f.; 11,50-52 und 17,20 f. Thema war. Außerdem erfüllen die Soldaten die Schrift, indem sie Ps 22,19 in Aktion umsetzen. Das steht, so H., in ironischem Kontrast zum Schreiben der Königsinschrift durch Pilatus in 19,19 und zur jüdischen Forderung, diese Schrift wieder auszulöschen, in 19,21.

Manches ist hier sicher richtig beobachtet, anderes wirkt sehr kühn oder gar gewaltsam. In sehr genauem Hinsehen nicht nur auf die johanneische Passionsgeschichte, sondern auch auf ihre Erklärung durch H. müßten Schritt um Schritt die Beobachtungen überprüft und gewichtet werden, und dabei wäre, um ein biblisches Bild zu bemühen, immer wieder Spreu vom Weizen zu trennen. Daß die Arbeit von H. zu dieser Beschäftigung mit dem Text zwingt und auch da anregen kann, wo sie Widerspruch provoziert, wird man ihr ohne weiteres zugute halten.