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Ausgabe:

Juli/August/1996

Spalte:

659 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gibson, Jeffrey B.

Titel/Untertitel:

The Temptations of Jesus in Early Christianity.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1995. 370 S. 8o = Journal for the Study of the New Testament, Suppl. Series 112. Lw. £ 37.50. ISBN 1-85075-539-6.

Rezensent:

Petr Pokorn'y

G. sucht die älteste erreichbare Gestalt der Versuchungsgeschichte und der Perikopen, in denen die Gegner Jesus "versuchen" (peirazein), wobei er gleich am Anfang für die ursprüngliche Verbindung sowohl der markinischen als auch der Q-Fassung der Versuchungsgeschichte mit der Taufperikope argumentiert. Die beiden (bei Markus auffällig kurzen) Perikopen sind durch die Gestalt des Geistes (pneuma) verbunden und bilden (Mk 1,9-13) bzw. bildeten (Q) eine Einheit, deren zweiter Teil ein theologisches Gegenüber des ersten ist. In der Logienquelle gab es also auch eine Taufgeschichte, deren Spur der westliche Text von Lk 3,22 sein kann. Beide Fassungen sind unabhängig von einer gemeinsamen Quelle abgeleitet (25-41).

Mk 1,9-13 ist von der redaktionellen Arbeit des Evangelisten praktisch unberührt (48). Die Untersuchung des Themas "Versuchung" und "Wüste" in der zeitgenössischen jüdischen Literatur verrät, daß die Versuchung Jesu seine Gottestreue prüfen soll (69). Es handelt sich um die Treue der Sendung gegenüber, welche Jesus bei der Taufe durch die Himmelsstimme erhielt. Durch die Bezeichnung Jesu als des geliebten Sohnes Gottes wird er (a) zum messianischen König Israels, der sein Volk von bösen Kräften befreit, (b) zum jesaianischen leidenden Knecht Gottes und gleichzeitig (c) zum geopferten Isaak (vgl. LXX Gn 22,2.12.19) - offensichtlich im typologischen Sinne - erklärt (73 ff.). Das Motiv des neuen Adams, dessen Elemente die markinische Fassung zu enthalten scheint, spielt da also keine Rolle (79).

Auch nach der Q-Fassung der Versuchungsgeschichte wird nicht die Tatsache, sondern die Art der Messianität Jesu auf die Probe gestellt (118). Das ist etwa auch das Ergebnis der Untersuchung der Geschichte über die Zeichenforderung (Mk 8,11-13; Mt 12,38-40; Mt 16,1-2a.4; Lk 11,16.29-30), die sowohl Markus als auch der Redaktor von Q auf ihre Weisen bearbeitet haben, die jedoch einen deutlichen gemeinsamen Kern in der ablehnenden Aussage Jesu (Mk 8,12b Parr.) hat: Jesus lehnt ein Beweis bringendes Zeichen (semeion) ab, das seiner wahren Sendung widerspräche (vgl. Mk 13,22 mit 15,2). Das Widersprüchliche wäre die Begrenzung des Heils auf die Juden. Dies kann dem Wort vom Jona-Zeichen (Q-Fassung) entnommen werden. Durch das Zeichen in Jon 4 wurde nämlich die Gnade Gottes bestätigt, die auch den Heiden gilt.

Eine Versuchungsgeschichte ist nach G. auch die Erzählung vom Petrusbekenntnis, die G. - unter Berufung auf E. Dinkler (Bultmann FS 1964) - direkt mit dem Satanswort aus 8,33 verbindet. Das Wesen der Versuchung kann aus der Abwehrreaktion Jesu bestimmt werden und in der parallelen Logiengruppe in Mk 10,32-45 ist es in der Bitte der Söhne des Zebedäus direkt ausgedrückt: Es handelt sich um das irdische Herrschen als Heilsweg (212-237).

Die Gethsemane-Perikope (Mk 14,32-42 parr.) ist durch Theologie und literarische Komposition des Markus beeinflußt, wenn auch die älteren Elemente deutlich erkennbar sind: das Gebet Jesu (V.36) und sein Wort an die Jünger (V.38). Jesus hat die Versuchung abgelehnt, ein herrschender statt ein leidender Messias zu werden (253).

Auch die Versuchung, welche die Frage nach der Ehescheidung repräsentiert (Mk 10,1-12 parr.), hängt nach G. mit der politischen Auffassung der Messianität zusammen. Die Bestätigung und Verschärfung des Scheidungsverbots mußte eine unmittelbare Bedrohung seitens Herodes Antipas zu Folge haben (vgl. Mk 6,17-18).

Die Zinsgroschenfrage (Mk 12,13-17 parr.), deren Grundgehalt dem Thomasevangelium (Log.100) zu entnehmen ist, betrifft nach Markus die für die römische Staatskasse bestimmte Kopfsteuer (Mk 12,14), welche für Juden aus religiösen und politischen Gründen beleidigend war. Vom Messias hat man ihre Abschaffung erwartet. Mit seiner Antwort lehnt Jesus die Frage als eine falsche Alternative ab.

Zusammenfassend sagt G., daß die in den erhaltenen Texten als Versuchung bezeichneten Geschichten alle ein gemeinsames Thema haben, nämlich die Ablehnung des machtpolitischen Messianismus, dessen positives Gegenüber die Aufforderung zur Feindesliebe ist. Solche Einstellung sei schon in der Tradition verankert, welche Markus und die Logienquelle direkt oder mindestens in ihrer Intention widerspiegeln. Der von Jesus abgelehnte Weg hat zum Jüdischen Krieg geführt, in dessen Verlauf Markus neu entdeckte, wie gefährlich dieser Weg ist.

Der Beitrag dieser Studie liegt in der Hervorhebung eines bedeutenden Themas, in der Strategie seiner methodischen Bearbeitung und in vielen Einzelergebnissen der redaktions-, form- und quellenkritischen Arbeit. In der Deutung der exegetischen Ergebnisse sind allerdings manche überraschende Inkonsequenzen zu beobachten. Einiges habe ich schon angedeutet. Auffällig ist z. B., daß nach einer sorgfältigen Analyse der literarischen Gestalt und der Vorgeschichte von Mk 1,9-13 die himmlische Stimme als Ausdruck der spezifischen Messianität Jesu erklärt wird, in der drei verschiedene jüdische Traditionen (bzw. Motive) gipfeln. Das kann man der Aussage kaum entnehmen und die Exegeten, welche es doch behaupten, schreiben es der markinischen Redaktion zu (z. B. Kazmierski, auf den sich G. beruft). Für die Bestimmung der ursprünglichen Intention der Perikope (81) spielt das keine Rolle.

Daß Jesus sich mit der Versuchung einer machtpolitisch aufgefaßten Messianität auseinandersetzen mußte, bezweifle ich nicht. Allerdings ist dadurch kaum das Wesen aller Versuchungen ausgedrückt. In der Perikope über die Zeichenforderung, in der Disputation über die Ehescheidung, aber auch in Mk 1,12-13 (s. o.) steht dies Problem nicht in der Mitte. Die zwei Stellen aus dem Hebräerbrief, die G. zur Abfassung dieser Studie angeregt haben, nämlich Hebr 2,17 und 4,15-16, sprechen für eine Tradition der Versuchungen, die tiefer verankert ist, so daß wir die Ablehnung des machtpolitischen Messianismus nur für eine ihrer Gestalten halten müssen, wenn es auch die historisch bedeutendeste ist. Um das Gemeinsame der Versuchungen zu finden, müßten wir sie mit der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu konfrontieren.

Trotz alledem eine inspirierende Arbeit.