Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Mai/1996

Spalte:

453 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Burkett, Delbert

Titel/Untertitel:

The Son of the Man in the Gospel of John.

Verlag:

Sheffield: JSOT Press 1991. 199 S. 8o = Journal for the Study of the New Testament, Suppl.Series 56. Lw. £ 22.50.

Rezensent:

Udo Schnelle

Der Vf. untersucht die Menschensohn-Worte im Johannesevangelium, wobei er die synoptischen Überlieferungen nicht miteinbezieht, sondern allein vom Selbstzeugnis des 4. Evangeliums ausgeht. Gegenstand der Analysen ist dabei das 4. Evangelium in seiner überlieferten Gestalt. Im Anschluß an eine instruktive Darstellung der Forschungsgeschichte (16-37) formuliert der Vf. die in der aktuellen Exegese umstrittenen vier Grundprobleme: 1. Besteht bei ho hyios tu anthropu eine Verbindung zu Dan 7,13 und der apokalyptischen Tradition? 2. Wie lautet die korrekte Übersetzung von ho hyios tu anthropu? 3. Welchen Hintergrund hat die Abstiegs- und Aufstiegsterminologie im Johannesevangelium? 4. Aus welchem Traditionshintergrund leitet sich im Johannesevangelium die Bezeichnung ho hyios tu anthropu für Jesus ab? Als Antwort ergibt sich:

"(1) The title has no connection with Dan 7.13 or the apocalyptic tradition. (2) The correct translation of the designation is 'the son of the Man' or 'the Man's son'. (3) The sources of the descent/ascent terminology are three Old Testament passages: Gen. 28.12 (Jn 1.51), Isa 55.10-11 (Jn 6), and Prov. 30.4 (Jn 3.13). (4) The source of the expression itself is a christological interpretation of Prov. 30.1-4, in which Jesus is identified as 'Ithiel', the son of 'the Man'" (49 f.). Als Schlüsseltext erweist sich für den Vf. Prov 30,1-4, nach einer eingehenden Analyse der textgeschichtlichen Probleme wird der entscheidende V. 1 folgendermaßen übersetzt: "Store up my words, my son, receive the oracle, says the Man to Ithiel ('God is with me'), to 'God is with me so that I am able'" (51). Die sich anschließende umfassende Interpretation des Textes führt zu dem Ergebnis: "If 'the Man' is actually 'the Mighty One', i.e. God, then 'the son of the Man' is 'the son of the Mighty One' or 'the son of God'. If Jesus' self-designation 'the Son of (the) Man' is derived from Prov. 30.1-4, it could thus be understood as a veiled synonym for 'the Son of God'" (74). Zur Absicherung dieser Annahme werden die zentralen joh. Menschensohnworte analysiert, wobei sich Jo 3,13 als Schlüsseltext erweist. Alle Motive dieses Verses sind in Prov 30,1-4 verankert, als entscheidend erweisen sich die Identifikationen von Jesus mit 'Ithiel' und von Gott mit 'the Man'. Die joh. Verwendung des Titels ho hyios tu anthropu verdankt sich somit einer speziellen christologischen Interpretation von Prov 30,1-4. Zugleich verbinden sich aber im 4. Evangelium mit dem Titel ho hyios tu anthropu zahlreiche atl. Textkomplexe, die vom Vf. in jeweils überzeugender Einzelexegese herausgearbeitet werden (vgl. z.B. Jo 1,51 mit Gen 28,12; Jo 3,14 f.; 8,28; 12,23.28.34; 13,31-32 mit Jes 52,13 ff.; Jo 12,41 mit Jes 6,1 ff.; Jo 6,27-65 mit Jes 55,1-3.10-11; u. a. m.).

Die in diesen Texten deutlich sichtbaren Linien zu anderen christologischen Motiven werden vom Vf. nicht antithetisch interpretiert, vielmehr geht er von einer sehr engen Verbindung zwischen 'the Son of the Man' und 'the Son of God' aus. Beide Titel werden als äquivalent angesehen, sie dokumentieren nicht unterschiedliche Christologien, "but a single christology, a christology of the Son. This filial relationship to god is the central aspect of Jesus' identity in John. All other facets of his identity are subordinate to this central feature" (171). Die Sohnes-Christologie erscheint im Johannesevangelium in vielerlei Gestalt, für den 4. Evangelisten bildet sie eine Einheit, die sich traditionsgeschichtlich Prov 30,1-4 verdankt.

Insgesamt zeichnet sich die Studie durch sorgfältige Exegesen und eine in sich schlüssige Argumentation aus. Die Konzentration auf Prov 30,1-4 erweist sich dabei als Stärke und Schwäche zugleich. Einerseits kann gezeigt werden, daß Prov 30,1-4 den traditionsgeschichtlichen Hintergrund für zentrale Aussagen joh. Christologie bildet. Andererseits wird die Vielfalt der johanneischen Christologie und der ihr zugrundeliegenden atl. Bezüge nivelliert.