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Ausgabe:

Mai/1996

Spalte:

452 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Baudoz, Jean-François

Titel/Untertitel:

Les Miettes de la Table. Études synoptique et socio-religieuse de Mt 15,21–28 et de Mc 7,24–30.

Verlag:

Paris: Gabalda 1995. 451 S. gr.8o = Études Bibliques, 27. Kart. fFr 340.-. ISBN 2-85021-076-5.

Rezensent:

Walter Rebell

Die zu besprechende Arbeit ist eine unter der Leitung von Charles Perrot angefertigte Dissertation (angenommen 1993 vom Institut Catholique de Paris). Analysiert werden zwei neutestamentliche Texte, in denen es um Heidenmission geht: Mt 15,21-28 und Mk 7,24-30. B. kommt zu dem Ergebnis, daß sich in den beiden Texten unterschiedliche judenchristliche Missionspraktiken spiegeln; ferner führt der methodische Ansatz Baudoz' dazu, daß nachdrücklich die Zwei-Quellen-Theorie in Frage gestellt und in die Diskussion des synoptischen Problems ein soziologischer Gesichtspunkt eingebracht wird.

B. geht von der Tatsache aus, daß die Integration von Heiden in das nicht-paulinisch bestimmte Urchristentum ein großes Problem war. Dem Judenchristentum, das sich den Heiden öffnen wollte, standen (gemäß B.) drei Optionen offen: 1. Unter welchen Bedingungen konnte man die Heiden tolerieren? Mußte man sie zunächst die Einweihungsriten des Judentums durchlaufen lassen und sie also beschneiden? 2. Konnte man die Heiden akzeptieren, wie sie waren, aber war ihnen dann ein bestimmter, auf sie zugeschnittener Vorschriftenkatalog aufzuerlegen (wie er z. B. in Apg 15 dokumentiert ist)? 3. Konnte man die Heiden aufnehmen, ohne von ihnen irgendeine Sonderleistung zu fordern?

Aus der Exegese der beiden Perikopen Mt 15,21-28 und Mk 7,24-30 ergibt sich für B. folgende Einordnung der matthäischen bzw. markinischen Gemeinde in den aufgestellten Optionen-Katalog: Der Matthäus-Bericht spiegelt zum einen die 1. Option wider, hinter ihm steht "un judéo-christianisme pur et dur"; der Bericht läßt aber zum anderen auch die 2. Option erkennen: "La communauté judéo-chrétienne s'ouvre maintenant aux Nations." (404) Mit dieser Einschätzung liegt B. in etwa auf der Linie von U. Luz, den er häufig zitiert (von dem ein wichtiger Aufsatz zur Entwicklung der matthäischen Gemeinde auch in französischer Sprache vorliegt). - Der markinische Bericht spiegelt, anders als der matthäische, eine Haltung zwischen der zweiten und dritten Option wider; B. findet in diesem Bericht eine großzügigere Haltung gegenüber der um Hilfe für ihre Tochter bittenden Heidin, sie habe "droit au pain, c'est-à-dire au repas chrétien." (405)

Soweit die exegetischen Ergebnisse der weit ausholenden und sorgfältig gearbeiteten Studie. Für die Diskussion des synoptischen Problems fällt folgender Ertrag ab: Matthäus hängt in 15,21-28 nicht literarisch von Mk 7,24-30 ab: "À partir d'une analyse précise du vocabulaire et du plan des récits parallèles, nous en sommes venu à constater l'indépendance littéraire des deux textes et à postuler l'existence d'une tradition commune, dont se sont inspirés tant un Marc qu'un Matthieu." (13) An die Stelle der somit zerstörten Zwei-Quellen-Theorie setzt B. allerdings nicht eine neue, doch er stellt für die Erarbeitung einer umfassenden Theorie eine Forderung auf: Beachtet werden müsse nicht nur die Beziehung zwischen Texten, sondern auch die Beziehung zwischen den urchristlichen Gemeinschaften - "L'indépendance littéraire entre Mc 7,24-30 et Mt 15,21-28 n'est pas seulement un fait littéraire: elle montre surtout que, à la question de l'intégration des païens, les communautés marcienne et matthéenne ont répondu indépendamment l'une de l'autre." (406)