Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juni/1996

Spalte:

556–559

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

(1) Rius-Camps, Josep (2) Rius-Camps, Josep

Titel/Untertitel:

(1) El Exodo del hombre libre. Catequesis sobre el Evangelio de Lucas.
(2) De Jerusalén a Antioquía. Génesis de la Iglesia Cristiana. Comentario lingüístico y exegético a Hch 1–12.

Verlag:

(1) Cordoba: Ed. el Almendro 1991. 364 S. 8o = En torno al Nuevo Testamento, 11. ISBN 84-86077-87-7.
(2) Cordoba: Ed. el Almendro 1989. 390 S. gr.8o. ISBN 84-86077-76-1.

Rezensent:

Christoph Stenschke

In der spanischsprachigen ntl. Wissenschaft ist Josep Rius-Camps, Professor an der Facultat de Teologia de Catalunya in Barcelona, bekannt durch mehrere Artikel zu patristischen Themen und zum lukanischen Doppelwerk (vgl. 2.360), durch seinen Kommentar zu Apostelgeschichte 13-28 und als Gründer und Hg. der "Revista Catalana de Teología".

Die Kombination eines großen wissenschaftlichen Kommentars einer der Lukasschriften und einer eher populär gehaltene Auslegung zur jeweils anderen Schrift, wie etwa von Schneider oder Marshall(1), gibt es, wenn auch in deutsch- und englischsprachiger Forschung wenig bekannt, also auch in Spanien. Doch ähnelt das katalanisch-spanische ,Doppelwerk' keinem der erwähnten Bände. In seinen Bänden, jeweils mit unterschiedlichem Schwerpunkt, möchte R.-C. mit Lukas von den wechselnden Schicksalswegen erzählen, die die Botschaft von Jesus (Ev) bis zu ihrer vollen Realisierung in den christlichen Gemeinden (Apg) zurückzulegen hatte (II.15).

1. Unter Berücksichtigung verschiedener methodischer Zugänge entstand die Auslegung des Lukasevangeliums in gemeinschaftlicher Erarbeitung der Bedeutung für die seinerzeit angesprochenen Gemeinden und seiner heutigen Relevanz. Die sich über einige Jahre erstreckenden jährlichen ,Leseseminare' im Kloster Sant Pere de Reixac, deren Protokolle R.-C. zusammengefaßt, überarbeitet und in diesem Band herausgegeben hat, versuchten ferner, die Lebensumstände der frühen Christen mit denen heute Glaubender zu korrelieren.

Titel und Untertitel präsentieren programmatisch Inhalt und Schwerpunkt des Buches. Im "Auszug des freien Menschen" versucht R.-C. den einzigen Titel, den Jesus sich selbst beilegt, ,der Mensch' mit dem für R.-C. zentralen Motiv des lukanischen Doppelwerkes, nämlich des zweifachen Auszugs, zu verbinden: Es geht sowohl um den Ausgang des Messias von Jerusalem aus (Lk 9.31) als auch um den Auszug der von ihm begründeten Gemeinschaft aus einer Gesellschaft, die den Menschen versklavt und ihm Freiheit vorenthält. Letztere - beliebt gewordene und an gemäßigt befreiungstheologische Ansätze erinnernde - Perspektive führt zu interessanten Ergebnissen, ohne den Text zu sehr zu vereinnahmen. R.-C. bietet damit zu einem und hier vielleicht auf Kosten anderer betonten, bedeutenden Aspekt lukanischer Theologie anspruchsvolle und herausfordernde Bibellesehilfe für ein weites Publikum und reichliche Anregung für Verkündigung und Gesprächsgruppen.

Hinter der Entstehung und Anordnung des LkEv wird die katechetische Absicht seines Verfassers erkennbar (24). El Exodo ist kein wissenschaftlicher Kommentar (Bibliographie, An-merkungen, Index und Stellenregister fehlen, jedoch findet sich in der Diskussion des Prologs ein knapper Verweis auf die Zwei-Quellen-Hypothese, ohne daß Fragen nach Quellen in der Auslegung weiter berücksichtigt würden). R.-C. weiß aber um lukanische Forschung und der vertraute Leser wird auf Stellungnahmen des Autors stoßen. Neben einzelnen wichtigen Beobachtungen sind die Gliederung in sieben Abschnitte und deren Bezeichnungen ungewöhnlich (ausführliche Gliederung mit Überschriften und griffig formulierten Perikopentiteln, 7-16): Gottesgeburt unter Gewalt (1.5-2.52; 29-73); Johannes und Jesus - Der Auftrag (3.1-4.44; 77-89); Appell an das historische Israel (5.1-6.11; 93-102), Die Identität Jesu (6.12-9.50; 107-186); Die Reise nach Jerusalem (9.51-19.46; 191-298); Lehre und Polemik im Tempel (19.47-21.38; 301-321); Das letzte und endgültige Passafest (22.1-24.53; 325-362). Die kursiv gesetzten Einleitungen zu diesen Abschnitten zeigen die hinter der Gliederung stehenden großen Linien (27; 77; 91; 105-107; 189; 299; 323) und bieten mit den Einführungen zu den einzelnen Perikopen dem Leser Orientierung. Interessant in der Gliederung sind die von R.-C. identifizierten chiastischen Anordnungen in 6.12-9.17 (107-161) und 10.25-18.30 (203-282). Die zweite Gruppe konzentrischer Kreise wirkt weniger einsehbar und überzeugend (wohl zu große Einheiten, zu wenig parallele Bezugspunkte, keine erkennbare Logik in der Spannung zwischen Peripherie und Zentrum). Bereits in Lk 1-2 sieht R.-C. eine erste theologische Skizze (27) und wendet sich daher gegen den Begriff ,Kindheitsgeschichten', der bereits verrate, daß sie nur allzu oft als ,rein historiographische Berichte' verstanden und für die lukanische Theologie vernachlässigt würden. Hier präsentiert R.-C. (auch in Verbindung mit der im Actaband dargelegten Parallelgestaltung dieser Kap. zum Beginn der Apostelgeschichte), freilich mit anderen Exegeten, einen Gegenpol zur von Conzelmann herkommenden, nicht umsonst der ,Kinderlosigkeit' bezichtigten ,Lukasanalyse'.

2. Vertrauteren Charakters ist Rius-Camps wissenschaftlicher Kommentar zu den ersten zwölf Kapiteln der Apostelgeschichte, in dem er "Von Jerusalem bis Antiochien: Die Entstehung der christlichen Kirche" als Geschichte zweier Gemeinden nachzeichnet. Die übrigen Kap. der Apostelgeschichte hat R.-C. in seinem 1984 erschienen Band Paulus auf dem Weg zur Heidenmission behandelt(2).

Im dreiseitigen Vorwort zu unserem Band (15-17) verweist R.-C. auf den früheren Band und dessen Einleitung, aus der er einige Abschnitte zum gewählten methodischen Vorgehen zi-tiert (siehe unten). Der Interpretation des Prologes (1.1-14; S. 19-43) folgt die Auslegung von 1.15-12.25 in zwei großen Abschnitten. Kap. 1-5 der Apostelgeschichte behandeln Entstehung und Entwicklung der Jerusalemer Gemeinde (47-154). Kap. 6-12 zeichnen Entstehung und Entwicklung der Gemeinde in Antiochien nach (157-340). Mit Abschluß dieser zweifachen Entwicklung ist der Weg frei für den in den verbleibenden Kapiteln der Apostelgeschichte in die Heidenmission aufbrechenden Paulus. R.-C. schließt mit einem Anhang, der die Struktur von Lk 1-2 und Apg 1-2 behandelt und vergleicht (341-346). Der zweite Anhang ist dem sog. ,westlichen' Text und der Theologie der Apg gewidmet (347-351). Nach knappem Überblick über die bisherige Forschung plädiert R.-C. dafür, beide Textrezensionen nicht gegeneinander auszuspielen, sondern in der Einzelentscheidung internen Kriterien den Vorrang zu geben (z. B. 84-86). Den Anhängen folgen die angenehm kurze Bibliographie (353-361; Ortsangaben wie Londres, Gotinga, Colonia, Tubinga und Maguncia [Mainz] sind auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig!), Stellenregister, Autoren und Verzeichnis griechischer Wörter (363-390).

Geschickt verbindet R.-C. gründliche sprachliche Analysen, die oft ältere Kommentare auszeichnen, mit den Beobachtungen neuerer literarkritischer und rhetorischer Ansätze (was bei einem Mithg. der Zeitschrift Filología Neotestamentaria nicht überrascht). In der Auslegung beeindruckt R.-C. durch die starke Berücksichtigung der lexikalischen Bezüge zum Evangelium und zeigt darüber hinaus, wie Ereignisse des LkEv und dort angeklungene theologische Themen in der Apostelgeschichte wieder aufgegriffen und weiterentwickelt werden (1.1-14; z. B. 164-70). Neben der oben erwähnten chiastischen Anordnung im LkEv entdeckt R.-C. weitere chiastische Entsprechungen zwischen den letzten Kapiteln des LkEv und den ersten der Apg. R.-C. gelingt es, die in der Auslegung des LkEv zu Tage getretene Frische beizubehalten, ohne in diesem Band durch gewagte oder phantasiereiche Thesen, die gelegentlich neueren literarkritischen Ansätzen folgen, über den Text und die nachprüfbaren Ergebnisse philologisch sauberer Exegese hinauszugehen. Im Schnitt wird jede Seite (meist in den Anmerkungen) eine auf die wesentlichen Textzeugen beschränkte textkritische Diskussion zu den wichtigen Lesarten enthalten. R.-C. ist mit ausgewählter Sekundärliteratur in mehreren Sprachen vertraut und im Gespräch. Auch werden einige uns kaum bekannte spanische Beiträge durch Erwähnung und Diskussion zugänglich. Im Umfang des vorliegenden Bandes hat R.-C. meisterhaft den Weg "Von Jerusalem bis Antiochien" nachgezeichnet. Wäre R.-C.s Kommentar in deutscher oder englischer Übersetzung erhältlich, wäre sein Band auch in Mittel- und Nordeuropa eine gute Ergänzung oder gar Alternative zu Schneiders, Peschs oder Barretts Bänden(3).

Angenehm ist, daß R.-C. dem Benutzer nicht die (Zucht)Perlen wichtiger, interessanter und doch letztlich nicht zusammenhängender Einzelbeobachtungen einfach hinstreut - da Atomisierung das Entdecken des Einheit schaffenden theologischen Planes unmöglich macht (16) -, sondern diese in der Entwicklung "Von Jerusalem bis Antiochien" an einer durchgehenden und sichtbar bleibenden Perlenschnur aufreiht (R.-C. spricht von ,concatenación'). Von einer judenchristlichen Gemeinde geht es, verflochten durch die Präsentation dreier großer Gestalten (Philippus, Saulus, Petrus) zu einer Gemeinde überwiegend heidnischen Ursprungs. Faktoren in diesem Prozeß sind die Gläubigen der Diaspora (Hellenisten), das orthodoxe Judentum (in den Pharisäern) und die ,bodenständigen' aramäisch-sprechenden Christen (Zusammenfassung, 16). Es erscheint etwas gezwungen, manches in 6.1-11.18 Berichtete direkt als Vorspiel für Gründung und Entwicklung der antiochenischen Gemeinde zu sehen. Ferner wäre, wohl mit dem Forschungskonsens, zu fragen, ob, wenn in der lukanischen Darstellung in diesen Kapiteln eine Entwicklung zu sehen ist, diese nicht mit dem Jerusalemer Apostelkonzil ihren Höhepunkt erreicht - also gerade in der Lösung der durch die einsetzende Heidenmission aufgeworfenen Fragen. Müßte man eher "Von Jerusalem bis Jerusalem" sagen? Die von R.-C. im ersten Abschnitt vorgeschlagene Parallelgestaltung zwischen Auftrag und Dienst des Täufers und der Urgemeinde bietet, wenn auch nicht immer überzeugend, interessante Perspektiven. Doch wird die als Perlenschnur dienende These RCs nie so dominant, daß sie die Einzelauslegung in ihr Schema zu pressen beginnt.

Bereits auf dem Umschlag des El Exodo hat R.-C. ein vierbändiges Kommentarwerk zur Apostelgeschichte angekündigt. Inzwischen sind drei Bände dieses katalanischen ,Monumentalwerkes' erschienen (non vidi)(4). Zwei weitere Bände sollen folgen. ,Kostproben' findet man in einigen spanischen Artikeln des Autors in FilNT(5)und anderswo. Für dieses Projekt und die beabsichtigte Überarbeitung und Übersetzung ins Englische (die noch stärker den jüdischen Kontext der Apg berücksichtigen soll) würde man sich als Benutzer des früheren Bandes, unter Beibehaltung des philologischen, linguistischen und literarkritischen Ansatzes, mehr Berücksichtigung historischer Bezüge und Gegebenheiten (ruhig auch archäologischer Bezüge!) wünschen. Man denkt hier (neben den Arbeiten C. J. Hemers(6) und das in der Cambridger Serie The Book of Acts in Its First Century Setting I-V(7) aufgearbeitete Material) zum Beispiel auch an die hohen Zahlenangaben der ersten Kap. der Apostelgeschichte (z. B. 2.41; 4.4: 3000, bzw. 5000 neue ,Jünger'; vgl. 83, 112) und die in den letzten zwei Jahrzehnten immer zahlreicher bei Jerusalemer Grabungen zutage tretenden Funde jüdischer Ritualbäder (Mikva'ot)(8).

Wer in seinem Vorwort unter Verweis auf den lukanischen Prolog das kathexes (Lk 1.3) die ,ordentliche Reihenfolge', betont und für das Nachspüren der theologischen Einheit und des hinter der Perikopenanordnung liegenden Planes zur methodischen Vorgabe macht (16), darf - zumindest für den Rez. mit Büro im ehemaligen Wohnhaus von Sir W. M. Ramsay(9) -, historische Fragen nicht a priori mit wenigen Worten ausklammern oder nur gelegentlich streifen wollen. Wer kathexes sagt, müßte, zumindest in einem Kommentar dieser Länge, auch asphaleia sagen (Lk 1.4)! ,Gewißheit über die unter uns zu Erfüllung gekommenen Ereignisse' wird den ursprünglichen und heutigen Lesern schwerlich zu vermitteln sein, ohne daß Fragen nach Historizität und Glaubwürdigkeit des Berichteten aufgegriffen werden. Auch die ,innergemeindliche theologische Prägung der zukünftigen Evangelisten und Katecheten der Gemeinde, repräsentiert durch Theophilus' (16) wird an der Frage der Wahrheit des zu Predigenden und Lehrenden letztlich nicht vorbeigehen können! Daß Geschichte und Theologie im lukanischen Doppelwerk nicht unvereinbare Gegensätze konstituieren, hat I. H. Marshall gezeigt(10). So sehr das Herausarbeiten von Parallelgestaltungen und Bezügen zu begrüßen ist und dem Verfasser des Doppelwerkes den ihm gebührenden literarischen Tribut zollt, wird man dennoch fragen müssen, welche Freiheit in der Gestaltung seiner Erzählung sich dieser Verfasser leisten wollte und konnte. Dies berührt freilich die noch unentschiedenen heiklen Fragen nach den hinter der Apostelgeschichte stehenden Quellen und nach der Gattung des zweiten Bandes. Doch scheinen diese m. E. nicht unproblematischen Ausklammerungen neueren literarischen Ansätzen beinahe inhärent zu sein. (Man denkt an das ansonsten hilfreiche ,Doppelwerk' von R. C. Tannehill(11).)

Leider erschwert das wenig übersichtliche Seiten-Layout die Verwendung zum schnellen Nachschlagen. Anstelle der üblichen Kopfzeile mit Angabe der auf der jeweiligen Seite behandelten Verse findet man die ungewöhnliche Unterteilung des gesamten Bandes in vierhundert Paragraphen. Zur Orientierung muß man auf die Auflistung der Actastellen im ,Índice de citas bíblicas' (370-380) zurückgreifen. Bei der Gliederung (7-12) möchte man Kap.- und Versangaben ergänzen.

Auch mit Spanisch als Fremdsprache wird man beiden Bänden - wenn auch mit etwas Anstrengung - mit Gewinn folgen können. Qualität von Papier, Druck und Bindearbeiten sind vorbildlich. Beide Bände sind bemerkenswert frei von Druckfehlern. Das Preis-Leistungsverhältnis dürfte beim Acta-Band kaum zu schlagen sein.

Fussnoten:

1 Vgl. G. Schneider (ÖTK; HThKNT) und I. H. Marshall (NIGTC; TNTC).

2 El camino de Pablo a la misión de los paganos (Anderer Verlag (!): Madrid: Ediciones Cristianidad).

3 HThKNT V.1,2; EKK V/1.2; ICC (Band I [zu Apg 1-14] 1994 bei T & T Clark, Edinburgh erschienen).

4 Verleger: Facultat de Teologia de Catalunya - Editorial Herder.

5 Z. B. FilNT 6 (1993) 59-68, 219-29.

6 The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History, hrsg. C. H. Gempf, WUNT II.49 (Tübingen: Mohr/Siebeck 1989).

7 Verschiedene Hgg. und Titel (Carlisle: Paternoster, Grand Rapids: Eerdmans; 1993 ff.).

8 Vgl. z. B. B. Pixner, Wege des Messias und Stätten der Urkirche: Jesus und das Urchristentum im Licht neuer archäologischer Erkenntnisse, ed. R. Riesner, SBAZ 2 (Gießen, Basel: Brunnen, 1991) 197-201, 216-217 und D. Kotlar, 'Mikveh', EJ XI (1972) 1534-1544.

9 Vgl. dessen St. Paul the Traveller and Roman Citizen (London: Hodder & Stoughton, 1895).

10 Luke: Historian and Theologian, 3. Aufl. (Exeter: Paternoster, 1988) 21-76.

11 The Narrative Unity of Luke-Acts: A Literary Interpretation: The Gospel according to Luke, 1986; The Acts of the Apostles, 1990 (beide Phila-delphia; Minneapolis: Fortress Press).